

FOTO: KAPUZINER/CHRISTIAN ALBERT
Albanien: Abwanderung mit dramatischen Folgen
Immer mehr junge Albaner wandern nach Deutschland aus – eine bessere Zukunft im Blick. Diese Abwanderung hat dramatische Folgen für das Leben in Albanien. Zurück bleiben die Alten, die Dörfer sterben aus.
Ein Bergdorf, im Norden Albaniens: Die 48-jährige Mrika wohnt hier mit ihrem Mann und der Schwiegermutter. In ihrem Haus, das am Rande des Ortes liegt, ist es still geworden. Ihre Kinder sind nicht mehr vor Ort. Sohn Arben lebt illegal in Deutschland und arbeitet schwarz auf Baustellen, ihr jüngster Sohn Edvin (alle Namen geändert) hat im vergangenen Jahr die Schule beendet und studiert nun in Tirana. Seitdem ist er nur gelegentlich an den Wochenenden bei seinen Eltern. Mrika befürchtet, dass auch er bald ins Ausland gehen will.
Das Dorf, in dem sie leben, zählt noch zu den bevölkerungsreichsten in der Region um Fushë-Arrëz. Doch auch hier ist die stetig zunehmende Abwanderung deutlich zu spüren. Immer mehr junge Menschen sehen in ihrer Heimat keine Zukunft.
„Das Leben in unserem Dorf hat sich verändert“, berichtet Mrika. „Als meine Kinder noch klein waren, gab es hier viele Kinder und junge Leute, es war ein lebendiges Dorf. Jetzt sind alle weg.“ Schulen auf den Dörfern schließen aus Mangel an Schülern, von den kleinen Geschäften, in denen man sich auch in den abgelegenen ländlichen Regionen mit dem Nötigsten versorgen konnte, existieren die meisten nicht mehr.
Weltweit einmalige Migration
So wie der Familie von Mrika geht es vielen Menschen in Albanien. Das Problem der Abwanderung hat sich in den letzten Jahren verschärft, ist aber nicht neu. Schon in den 90erJahren verließ die Hälfte der Wissenschaftler das Land. Diese Entwicklung hatte und hat auch eine positive Seite, denn die im Ausland arbeitenden Albanerinnen und Albaner überweisen bis heute Gelder in signifikanter Höhe an ihre Angehörigen im Land. Die Weltbank schätzte vor einigen Jahren, dass diese Gelder fast zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes des Landes ausmachen.
Dennoch: Die Landflucht entvölkert ganze Landflächen. „Die moderne albanische Migration gilt als weltweit einmalig aufgrund ihrer Intensität“ schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung.
Das Thema Asyl spielt kaum eine Rolle. Wer in Deutschland arbeiten will, benötigt dafür in der Regel einen Aufenthaltstitel. Geregelt ist das in der sogenannten „Westbalkan-Regelung“. Für Branchen, in denen Deutschland besonders profitiert, gelten spezielle Regelungen. Auch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz bietet Chancen für qualifizierte Einwanderer. Andere arbeiten – wie Arben – illegal in EU-Ländern.
Die deutsche Wirtschaft profitiert von dieser Zuwanderung, Unternehmen fordern weitergehende Regelungen. Auch die Politik hat das Thema entdeckt, regelmäßig gehen Politiker auf Tour und starten „Abwerbeoffensiven“.
Die albanische Regierung will gegensteuern: So gilt mittlerweile ein Gesetz, das die Abwanderung von Ärzten stoppen soll. Medizinstudierende müssen nach dem Studium fünf Jahre im Land arbeiten – oder 40.000 Euro an den Staat zahlen. Ob diese gesetzlichen Gegenmaßnahmen bei gleichbleibend schlechten Rahmenbedingungen im Land wirklich erfolgreich sind, das wird sich noch zeigen.
Arben arbeitet illegal in Deutschland
Einer derjenigen, die ihr Glück in Deutschland versuchen, ist Arben. Er ist mit einem Touristenvisum in Deutschland eingereist, das ihm einen 90-tägigen Aufenthalt ermöglicht. Arbeiten ist ihm damit nicht gestattet. Trotzdem arbeitet er in Berlin auf einer Baustelle. „In Berlin ist es leicht, Arbeit zu finden“, berichtet er.
Arben ist nicht zum ersten Mal im Land. Seit knapp drei Jahren reist er nach Deutschland, arbeitet schwarz im Baugewerbe und kehrt mit Ablauf des Touristenvisums nach drei Monaten wieder nach Albanien zurück. Bei seinen Eltern im Dorf bleibt er nur für kurze Zeit, um dann wieder mit einem Touristenvisum für weitere 90 Tage nach Deutschland zu gehen. Für Arbens Eltern bedeutet dies, dass sie auch in Zukunft auf sich allein gestellt sind.
Die Geschichte der Familie zeigt: Die Folgen dieser Entwicklung sind dramatisch. Die Kapuziner, die in den Bergen in Fushë-Arrëz leben, sehen die Auswirkungen der Abwanderung ganz konkret. Ganze Dörfer sterben aus, vielerorts bleiben alte Menschen zurück, die vorher in einem Familienverbund gelebt haben. Mit dem Alter können sie Dinge wie Einkaufen, Kochen und Putzen nicht mehr erledigen. Wenn die Jungen wegziehen, dann schwinden die Perspektiven in der alten Heimat. Mrika bringt es auf den Punkt: „Unser Dorf wird leerer und wir Zurückgebliebenen einsamer.“
Text: Br. Christian Albert und Tobias Rauser
Der Artikel ist zu erst in cap! erschienen, dem Magazin der Kapuziner.