News
24. Okto­ber 2025

Der Sonnengesang und seine biblischen Geschwistergesänge

Von Schwes­tern und Brü­dern singt der Son­nen­ge­sang. Doch auch das Werk selbst hat Geschwis­ter: Ein Blick der Theo­lo­gin Vero­ni­ka Bach­mann auf drei bibli­sche Lie­der, deren Klän­ge das berühm­te Gebet von Fran­zis­kus aufnimmt. 

Gene­sis 1,1–2,3 oder: Ein Schöp­fungs­hym­nus als Auf­takt der Bibel 

Gleich vor­weg: Gene­sis 1, der Auf­takt der jüdi­schen und christ­li­chen Bibel, schil­dert nicht his­to­risch zuver­läs­sig, wie Gott die Welt in sechs Tagen erschaf­fen hat. Schon allein der Blick auf die Erzäh­lung, die in Gene­sis 2,4 folgt, kor­ri­giert ein sol­ches Miss­ver­ständ­nis: Hier wird noch­mals in ande­rer Form auf Got­tes Erschaf­fung der Welt Bezug genom­men. Bei­de Tex­te, Gene­sis 1 und Gene­sis 2–3, erzäh­len Unter­schied­li­ches. Nicht, um sich zu rela­ti­vie­ren, son­dern um die Gedan­ken, in wel­chem Ver­hält­nis die Welt und ihre Lebe­we­sen zuein­an­der und zu Gott ste­hen, zu erweitern.

Wie beim Son­nen­ge­sang des Franz von Assi­si han­delt es sich bei Gene­sis 1 um einen Hym­nus, der in meh­re­ren Stro­phen Got­tes Grö­ße besingt. Blickt der Son­nen­ge­sang – von einem Auf- und Abge­sang gerahmt – auf unter­schied­li­che Geschöp­fe, durch die das Welt­gan­ze kos­misch auf Gott hin lebens­för­der­lich zusam­men­ge­hal­ten wird, so spielt Gene­sis dich­te­risch kunst­voll ein Wer­den durch, bei dem Gott greif­bar wird als Erschaf­fer einer Welt, die allen Geschöp­fen beson­de­re Lebens­räu­me zur Ent­fal­tung bie­tet. Von den Schöp­fungs­wer­ken ist nicht als Brü­der und Schwes­tern die Rede. Aber auch Gene­sis 1 benennt, was sie zusam­men­hält, näm­lich dass Gott ihnen allen durch das Ord­nen eines ursprüng­lich lebens­feind­li­chen Cha­os (Gen 1,2: «Die Erde war wüst und leer») Raum zum Wir­ken, Wach­sen und Wim­meln geschenkt hat. Im Bild von sechs Tagen wer­den sechs Pha­sen des Wer­dens beschrie­ben. Mehr­fach wird betont, dass «Gott sah, dass es gut war», am Ende gekrönt durch die Aus­sa­ge: «Gott sah alles an, was er gemacht hat­te: Es war sehr gut» (Gen 1,31).

An die­sem Punkt wird beson­ders deut­lich, wozu der Hym­nus die­je­ni­gen, die ihn lesen, sin­gen und beten, anlei­ten will: Es geht um eine Hal­tung, posi­tiv, stau­nend und dank­bar auf die Welt und den gesam­ten Kos­mos zu bli­cken. Obwohl den Men­schen eine beson­de­re Rol­le im Ver­hält­nis zu ande­ren Geschöp­fen ein­ge­räumt wird (Gen 1,26 –28), kom­men sie als Teil einer guten Schöp­fung in den Blick, für die sie – als Got­tes Eben­bild geschaf­fen – eine beson­de­re Ver­ant­wor­tung tra­gen. Sich die Erde unter­tan zu machen und über die Tie­re zu herr­schen (Gen 1,26.28) wird über den Gedan­ken der Gott­eben­bild­lich­keit kana­li­siert: Es geht um ein Herr­schen, das kein Unter­gra­ben von Got­tes Zuwen­dung zur gesam­ten, wun­der­ba­ren Schöp­fung zulässt.

Wel­che Bedeu­tung kommt dem Rhyth­mus des Wer­dens in sechs Tagen zu? Auf­schluss­reich ist hier­für, dass der sieb­te Tag als Ruhe­tag Got­tes besun­gen wird, den Gott beson­ders seg­net (Gen 2,2–3). Damit ver­schränkt der Hym­nus All­tag und Glau­ben der Men­schen, für die er kom­po­niert wor­den ist, mit­ein­an­der. Kon­kret setzt er die Kennt­nis eines Sie­ben­ta­ge-Rhyth­mus vor­aus. Gene­sis 1 ver­leiht die­sem Rhyth­mus theo­lo­gi­sche Tie­fe und Wei­te: Das sechs­tä­gi­ge Arbei­ten der Men­schen erin­nert vor die­sem Hori­zont unmit­tel­bar an die Welt als wun­der­ba­res Geschenk Got­tes, der sieb­te Tag, den Men­schen als Sab­bat ver­traut, lässt sich als beson­de­rer (Zeit-)Raum ver­ste­hen, die­sen Gott in Dank­bar­keit und Ehr­furcht zu loben.

Von Gott, der sich wun­der­bar um alle Geschöp­fe küm­mert: Psalm 104

Die For­schung ist sich einig, dass sich der Son­nen­ge­sang in beson­de­rer Wei­se an gewis­se bibli­sche Psal­men anlehnt, so an Psalm 19, 96 und 148. Hier soll mit Psalm 104 auf einen ande­ren Psalm geblickt wer­den. Er sticht unter den bibli­schen Schöp­fungs­tex­ten durch sei­ne Län­ge her­vor. Auch hier haben wir einen Hym­nus auf Gott vor uns, dies­mal aus der Per­spek­ti­ve eines Indi­vi­du­ums, das die Grös­se Got­tes besingt.

Als Auf­takt wird auf kos­mi­sche Phä­no­me­ne Bezug genom­men, die Gott im Bild eines Königs erschei­nen las­sen, wie es ihn irdisch nie geben kann: Die Bal­ken sei­nes Palas­tes wer­den als in den (Ozean-)Wassern ver­an­kert ima­gi­niert (V. 3), Wol­ken wer­den als sein Wagen, Win­de als sei­ne Boten umschrie­ben. In den fol­gen­den Ver­sen (V. 5–9) wird die­sem kos­mi­schen König die Erschaf­fung der Welt zuge­schrie­ben – hier durch majes­tä­ti­sches Ein­däm­men und Kana­li­sie­ren der Urwas­ser. Wei­te Pas­sa­gen die­ses Psalms sind span­nend zu lesen, weil sie beschrei­ben, wie Gott auch nach der «crea­tio pri­ma» wei­ter zu sei­nen Geschöp­fen schaut. Theo­lo­gisch spricht man in die­sem Zusam­men­hang von der «crea­tio con­ti­nua». Die Men­schen, das ist bemer­kens­wert, sind nur am Ran­de im Blick. Sie gehö­ren zur Gesamt­heit der Geschöp­fe mit dazu, neben den Wild­eseln, den Vögeln, den Stein­bö­cken oder den jun­gen Löwen. Zu ihnen allen, so besingt es der Psalm, schaut Gott in beein­dru­cken­der Für­sorg­lich­keit; ihnen allen hat er pas­sen­de Lebens­räu­me zuge­teilt. Wie in Gene­sis 1 und im Son­nen­ge­sang wer­den Son­ne und Mond genannt (V. 19–23). Ver­gleich­bar mit Gen 1 steht ihre rhyth­mi­sie­ren­de Funk­ti­on im Vor­der­grund – für Men­schen kann der Rhyth­mus von reli­giö­sen Fest­zei­ten mit­ge­dacht werden.

Anders als Gene­sis 1 benennt der Psalm ins hym­ni­sche Lob ein­ge­bet­tet auch Punk­te, die aus mensch­li­cher Sicht auf den ers­ten Blick düs­ter wir­ken: Gott ist die Macht, die Leben schafft, aber den Lebe­we­sen den Atem auch wie­der nimmt (V. 27–30). Hier lässt sich eine Ver­bin­dung zur expli­zi­ten Erwäh­nung von Schwes­ter Tod im Son­nen­ge­sang ent­de­cken. Auch die Rea­li­tät von mensch­li­chen Ver­feh­lun­gen und ihren destruk­ti­ven Fol­gen sind The­ma (V. 35). Die Visi­on einer fried­li­chen Welt wird aller­dings noch ohne Bezug­nah­me auf die erst spä­ter ent­wi­ckel­te Hoff­nung auf Auf­er­ste­hung arti­ku­liert, wie sie in der Son­nen­ge­sang-Stro­phe zum Tod mani­fest wird. Zen­tral bleibt, sich im Hier und Jetzt über Gott zu freu­en und umge­kehrt für Gott eine Freu­de zu sein (V. 31–34). Dass dazu das Respek­tie­ren aller Lebe­we­sen und ihrer Lebens­räu­me gehört, ist selbstredend.

Das «Lau­da­to si‘» im Daniel­buch (Dani­el 3)

Das Daniel­buch erzählt in Dan 3 davon, wie Nebu­kad­nez­zar ein gol­de­nes Stand­bild machen liess und befahl, dass sich alle vor ihm nie­der­zu­wer­fen und es zu ver­eh­ren hät­ten. In der Erzäh­lung tre­ten sodann Baby­lo­ni­er auf, die beim König drei jun­ge Judä­er anschwär­zen, Hanan­ja, Asar­ja und Mischaël. Der König reagiert zor­nig auf deren Wei­ge­rung, das Stand­bild zu ver­eh­ren, und lässt sie als Stra­fe in einen Feu­er­ofen wer­fen. Vor ihrer Hin­rich­tung mer­ken die drei an, dass sie einem Gott die­nen, der sie ret­ten kön­ne, fügen aller­dings an: «Und falls nicht, so sei dir, König, kund­ge­tan, dass wir dei­nen Göt­tern nicht die­nen und das gol­de­ne Stand­bild … nicht ver­eh­ren» (V. 18). Der Fort­gang bekräf­tigt die Ret­tungs­macht ihres Got­tes: Das Feu­er ver­mag sie nicht zu töten, der König ist beein­druckt und erkennt, dass sie «Die­ner des höchs­ten Got­tes» sei­en (V. 93; ev. Bibel­aus­ga­ben: V. 26).

In der grie­chisch­spra­chi­gen Ver­si­on der Erzäh­lung wird die Situa­ti­on der drei jun­gen Män­ner im Feu­er­ofen u. a. durch ein Gebet der drei Män­ner aus­ge­schmückt. Es ist ein Lob­preis Got­tes, der mit einem sechs­ma­li­gen «Geprie­sen bist du …» ein­steigt (gr.: eulo­ge­tos ei …; lat.: bene­dic­tus es) und sodann mit einem Auf­ruf zum Got­tes­lob an alle Schöp­fungs­wer­ke fort­fährt (gr.: eulogei­te …; lat.: bene­di­ci­te). Alles, was im Him­mel ist, von den Engeln bis zu den Ster­nen, alle Natur­ge­wal­ten, vom Regen bis zu den Blit­zen, alle Schöp­fungs­wer­ke auf der Erde, von den Ber­gen bis zu den Flüs­sen, sowie alle irdi­schen Lebe­we­sen, von den Mee­res­tie­ren bis zu den Men­schen, wer­den im Rah­men die­ser Auf­for­de­rung auf­ge­zählt. Bei den Men­schen ange­langt, wer­den am Ende nament­lich auch die drei Judä­er zum Lob(segnen) auf­ge­for­dert. Erst bei ihnen folgt eine Begrün­dung: «Denn er hat uns der Unter­welt ent­ris­sen …» (V. 88). Ein all­ge­mei­ner Auf­ruf zu Dank und Lob, hier begrün­det mit Ver­weis auf die ewig wäh­ren­de Güte Got­tes, bil­det den Abschluss.

Beim Gebet der drei judäi­schen Jüng­lin­ge erin­nert der lita­nei­ar­ti­ge Cha­rak­ter an den Son­nen­ge­sang. Dani­el 3 setzt jedoch noch stär­ker als Letz­te­rer auf die Kraft der Auf­zäh­lung: Es ist die Auf­zäh­lung allein, die den Zusam­men­hang zwi­schen Him­mel und Erde, zwi­schen Mensch, Tier und Umwelt schafft: Alle gehö­ren im Got­tes­lob zusam­men. Dass die drei Jüng­lin­ge am Ende ihre Namen ein­set­zen, lädt zur Nach­ah­mung ein: Schaf­fen wir es wie sie, unse­ren Namen expli­zit ein­zu­set­zen und einen kon­kre­ten Grund für unser Got­tes­lob – ein­ge­bun­den ins Lob der gesam­ten Schöp­fung – zu artikulieren?

Die­ser Arti­kel von Vero­ni­ka Bach­mann ist zuerst in ITE erschie­nen, dem Maga­zin der Kapu­zi­ner in der Schweiz. Vero­ni­ka Bach­mann ist Theo­lo­gin und in Luzern gebo­ren. Sie ist seit April 2025 Pro­fes­so­rin für Bibli­sche Ein­lei­tung und bibli­sche Hilfs­wis­sen­schaf­ten an der Uni­ver­si­tät Würzburg. 

Pressekontakt

Bei Fra­gen zu die­ser Mel­dung oder zur Auf­nah­me in den Pres­se­ver­tei­ler mel­den Sie sich per Mail oder Tele­fon bei Tobi­as Rau­ser, Lei­ter Pres­­se- und Öffent­lich­keits­ar­beit: Tele­fon: +49 (0)160–99605655 oder

KAPNEWS

Der News­let­ter der Kapuziner
Wol­len Sie über die Kapu­zi­ner und ihr Enga­ge­ment  infor­miert blei­ben? Dann mel­den Sie sich kos­ten­los für unse­re monat­li­chen „KAPNEWSan.
www.kapuziner.org/newsletter

Pressekontakt

Bei Fra­gen zu die­ser Mel­dung oder zur Auf­nah­me in den Pres­se­ver­tei­ler mel­den Sie sich per Mail oder Tele­fon bei Tobi­as Rau­ser, Lei­ter Pres­­se- und Öffent­lich­keits­ar­beit: Tele­fon: +49 (0)160–99605655 oder

KAPNEWS

Der News­let­ter der Kapuziner
Wol­len Sie über die Kapu­zi­ner und ihr Enga­ge­ment  infor­miert blei­ben? Dann mel­den Sie sich kos­ten­los für unse­re monat­li­chen „KAPNEWSan.
www.kapuziner.org/newsletter