
FOTO: FRANZISKANER
BR. HELMUT SCHLEGEL
wurde 1943 in Riedlingen/Donau geboren. Seit 1963 ist er Franziskaner.
„Der Weg des Gebetes führt in den Alltag“
Wie komme ich konkret ins Gebet? Was ist, wenn ich Gott nicht spüre? Der Franziskaner, Priester und Buchautor Br. Helmut Schlegel gibt im Gespräch auf kapuziner.org einige konkrete Tipps.
Wie hat Franziskus gebetet?
Mich spricht ein Satz an, der, wenn ich es richtig weiß, von Bonaventura, einem der ersten Biographen des heiligen Franziskus, stammt. Sinngemäß: Franziskus war weniger ein Betender als vielmehr selbst ein Gebet. Franz verstand demnach alles, was er dachte, sagte, lebte, tat, als ein Sein-vor-Gott. Das war für ihn Gebet. Er fühlte sich einfach eingehüllt von Gott. Paul Watzlawick hat einmal gesagt: Man kann nicht nicht kommunizieren. Auf Franziskus hin übersetzt möchte ich sagen: Er konnte nicht nicht beten. Menschsein war für ihn einfach ein Sein-vor-Gott.
Gibt es eine franziskanische Tradition des Gebets?
Es gibt einige typische Gebetsformen, die franziskanischen Ursprungs sind: Das meditierende Gehen des Kreuzwegs Jesu, die Verehrung des Namens Jesu, das Beten des Sonnengesangs und andere. Was ihnen gemeinsam ist: Es sind sehr sinnenhafte Gebetsformen.
Wie können diese Formen Betende heute inspirieren?
Ich glaube, dass gerade das ganzheitliche Beten – also beten mit den Füßen, beten mit Gebärden, beten in der Schöpfung, beten mit Zeichen und Bildern – Menschen von heute anspricht, weil wir ja sehr medial ausgerichtet sind.
Wie komme ich eigentlich ins Gebet?
Nach meiner Erfahrung beginnt Beten bei der Selbstwahrnehmung. Also: Wie geht es mir heute Morgen? Wie nehme ich meinen Körper wahr? Wie geht mein Atem? Wie geht es meiner Seele? Ist sie gut gestimmt oder sind da noch dunkle Reste? Dabei ist es gut, alles so sein zu lassen, wie ich es empfinde.
Und dann?
In einem zweiten Schritt kann ich versuchen, mich einmal mit den Augen Gottes wahrzunehmen. Ich brauche dazu nichts zu sagen. Ich stelle mir einfach vor, dass sehr achtsame und gute Augen auf mich schauen. Dass diese Augen das Wertvolle in mir sehen, meine menschliche Würde. Eine Würde, die nichts damit zu tun hat, ob ich erfolgreich oder perfekt bin. Dass in diesen Augen auch die Härte und die scharfen Kanten in mir weich werden. Das sind gewissermaßen „Basis-Übungen“ des Gebetes.
Manche Menschen haben es verlernt, zu beten. Oder sie wenden sich an Gott und es kommt nichts. Sie verspüren eine innere Leere oder auch eine innere Stimme: Das bringt doch nichts. Was sagen Sie diesen Menschen?
Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich darauf keine fertige Antwort weiß. Ich kenne dieses „Nicht-Mehr-Beten-Können“ nur zu gut aus eigener Erfahrung. Es gibt Zeiten, da ist alles dunkel in mir. Was mich tröstet – und das sage ich auch gerne zu Menschen, die diese Erfahrung machen – das sind die vielen großen Beterinnen und Beter, die immer wieder von der „Nacht der Seele“ sprechen, von der Unfähigkeit zu beten, von der Angst vor der Leere. Allen voran Jesus selbst, der am Kreuz seine Klage zum Himmel schreit: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen“.
Was kann außerdem helfen?
Mir persönlich helfen mitunter die Psalmen. Sie sparen kein Gefühl aus. Sie klagen und wettern. Sie zeichnen die Welt so wie sie ist: Eine Welt von Segen und Fluch, von Freunden und Feinden, eine Welt, die Gärten kennt, aber auch Wüsten. Die Psalmen erinnern mich daran, dass mein Glaube durch die Wüste gehen muss, um erwachsen zu werden. Auch Jesus hat diese Erfahrung gemacht: Die Wüste ist der Ort, wo dir fast alles genommen wird, aber auch der Ort, wo du Gott am nächsten bist.
Können Sie Ihre persönliche Art des Betens in Worte fassen?
Ich habe mir eines der Lieblingsgebete von Franziskus zu eigen gemacht. Am schönsten ist es auf Italienisch: „Dio mio e tutto“ – „Gott, mein Gott und mein alles“. Wenn es mir nicht danach ist, die Worte auszusprechen, mache ich es einfach mit Gebärden. Dio (Gott): Ich erhebe meine Hände und Arme zum Himmel und verweile. Mio (mein): Ich lege meine Hände auf das Herz, nehme mich wahr und verweile. E tutto: Ich breite meine Arme in Kreuzform aus und fühle mich den Geschöpfen und der Welt verbunden.
Wie ist Gebet mit Alltag verbunden?
Ich liebe ein Wort aus dem Zen-Buddhismus: »Vor der Erleuchtung: Holz hacken und Wasser tragen. Nach der Erleuchtung: Holz hacken und Wasser tragen.« Beten ist demnach ein Zwischenraum. Der Weg des Gebetes führt in den Alltag. Ich möchte versuchen, mein alltägliches Leben mit den Augen Gottes zu sehen. Manchmal entdecke ich, dass unter der grauen Asche des Banalen doch eine Glut brennt. Und wenn ich diese Glut zulasse, diese Sehnsucht, vielleicht auch den Schmerz, dass ich weit weg bin von Gott, dann fängt in meinem Inneren etwas an zu heilen.
Zur Person:
Br. Helmut Schlegel wurde 1943 in Riedlingen/Donau geboren. 1963 trat er in den Franziskanerorden ein, 1969 wurde er zum Priester geweiht. Br. Helmut arbeitete unter anderem als Kaplan und Jugendpfarrer, als Leiter des Exerzitien- und Bildungshauses Hofheim und als Leiter des Zentrums für christliche Meditation und Spiritualität. Er war einige Jahre Provinzial der Thüringischen Franziskanerprovinz und ist außerdem als Buch- und Rundfunkautor sowie Texter im Bereich neues geistliches Lied bekannt.
Das Interview führte Br. Thomas Dienberg und ist zuerst in cap!, dem Magazin der Kapuziner erschienen.