
FOTO: Tobias Rauser
SR. NOTBURGA MARINGELE
ist Jahrgang 1958 und wurde in Tirol geboren. Die Tertiarschwester des heiligen Franziskus engagiert sich unter anderem für Geflüchtete und den Erhalt der Schöpfung. Im August 2025 wurde sie zur Provinzoberin ihrer Gemeinschaft gewählt.
„Die Ungerechtigkeit in der Welt treibt mich um“
Sr. Notburga Maringele setzt sich für die Rechte Geflüchteter und den Umweltschutz ein. Warum sie sich engagiert und wie das Leid der Welt die Franziskanerin herausfordert.
Sr. Notburga, warum sind Sie vor vielen Jahren Franziskanerin geworden?
Ich kann da keine klassische Berufungsgeschichte erzählen, denn ich habe nie an ein Leben im Kloster gedacht. Ich habe eine Bürolehre gemacht, aber schon gemerkt: Für immer will ich das nicht machen. Eines Nachmittags kam mir ganz zufällig ein Prospekt über franziskanisches Leben in die Hände. Plötzlich dachte ich: Vielleicht wäre das was?
Eine spontane Eingebung?
So war es. Ich habe dann direkt nach Frauengemeinschaften gesucht und eine gefunden, die auch Sozialarbeit macht. Ich habe dort hingeschrieben, ohne mehr zu wissen: Ich habe Interesse am Eintritt. Nach einem einzigen Tag im Kloster habe ich mich entschieden: Das will ich machen. Ein paar Monate später bin ich eingetreten.
Fügung oder Liebe auf den ersten Blick: Was war das?
Von allem etwas. Vor allem entsprach es meinem spontanen Wesen. Verliebtheit trifft es auch ganz gut: Ich hatte Schmetterlinge im Bau. Es war eine absolute Bauchentscheidung.
Sind die Schmetterlinge irgendwann verschwunden?
Ich bin viele Jahre wie auf Wolken geschwebt. Aber natürlich, es gab auch andere Phasen. Da ist man am Boden.
Was waren das für Phasen?
Phasen, in denen ich gemerkt habe, dass die Welt um mich herum alles andere als perfekt ist. Das ging einher mit einer Unzufriedenheit mit mir selbst. Es hat mich einige Kraft gekostet, zu lernen, dass ich alles in Frieden umarmen kann.
Ging es da um Gotteszweifel?
Nein, nicht wirklich. Es ging um ein Akzeptieren, dass diese Welt nicht perfekt ist.
Ist diese nicht-perfekte Welt ein Antrieb für Ihr Tun?
Ja, auf jeden Fall. Die Ungerechtigkeit in der Welt treibt mich um, sie treibt mich an. Warum sind die Chancen auf ein gutes Leben so unfair verteilt? Ich möchte etwas dagegen unternehmen.
Was macht das mit Ihnen, dass soviel Leid in der Welt ist?
Ich kann das nicht abschließend beantworten. Diese furchtbaren Entwicklungen in der Welt, das fordert mich heraus, immer noch zu glauben, dass Gott das trägt. Ist Gott am Ende alles egal? Ich kämpfe damit, heute mehr als früher. Und doch, ganz unten, ist da immer noch ein Vertrauen. Es gibt diese Stimme, die mir sagt: Hab keine Angst, ich bin da.
Wo gehen Sie hin, wenn die Angst Sie packt?
In den Garten. Das ist meine Kathedrale. Dort kann ich Beten. In Gottes Schöpfung komme ich zur Ruhe, finde meinen Frieden.
Sie engagieren sich für diese Schöpfung, mit aller Leidenschaft.
Ja, ich brenne für die wunderbare Schöpfung. Der Gedanke, dass wir das wirklich alles kaputt machen, der bringt mich fast um. Die Menschen rennen ins Verderben. Der Klimawandel ist da – und er verstärkt die Ungerechtigkeit in der Welt. Da muss ich mich einfach engagieren.
Sie sind überregional bekannt geworden als Ordensschwester, die sich politisch engagiert. Für Migranten, für Menschenrechte, für mehr Klimaschutz. Ein Foto mit einem Plakat, auf dem Sie sich gegen die Abschiebung von Kindern aus gesprochen haben, ging viral. Sie waren Teil einer Mahnwache, sind bei Religions for Future aktiv. Wie kam es dazu?
Ich bin da überall irgendwie reingestolpert (lacht). Es waren oft spontane Ideen und Einfälle, die ich auch nie alleine, sondern immer in einem Netzwerk von Engagierten angegangen bin. Dahinter stand immer der klare Wille, etwas zu tun und Ungerechtigkeit nicht einfach hinzunehmen.
Wo kommt da Franziskus ins Spiel?
Franziskus hat mit seiner Leidenschaft für Gott und die Menschen einen Lebensstil gepflegt, der für mich ein ganz großes Vorbild ist. Dieser zärtliche Umgang mit der Welt, das fasziniert mich. Nicht gierig sein, sich von Gott beschenkt wissen. Das macht reich und glücklich.
Warum liegt Ihnen der Klimaschutz so am Herzen?
Klima ist auch ein Gerechtigkeitsthema. Er trifft zuerst und am stärksten die Ärmsten der Armen. Ich habe das selbst erlebt, denn ich bin auch für unsere Missionsarbeit in Bolivien verantwortlich. Auch das Thema Migration ist mit der Klimafrage verbunden: Schon jetzt ist jeder dritte Flüchtling ein Klimaflüchtling. Dabei hat die Welt genug für jedermanns Bedürfnisse – nur nicht für jedermanns Gier.
Ist Ihr Glaube für Sie ein politischer Auftrag?
Ja, auf jeden Fall. Auch wenn ich schweige, hat das ja politische Folgen. Wie heißt es so schön: „Man kann nicht nicht kommunizieren“. Genauso kann man „nicht nicht politisch“ sein. Aus meiner Sicht kann man Gottesliebe und Nächstenliebe nicht voneinander trennen. Christen sollen Sauerteig in der Gesellschaft
sein, das ist ein Auftrag. Und wir haben grandiose Botschaften: Du bist wertvoll, weil Du Mensch bist. Egal, was Du leistet. Du bist Mensch mit unverlierbarer Würde.
Das Interview führte Tobias Rauser
Sr. Notburga Maringele ist Jahrgang 1958 und wurde in Tirol geboren. Nach einer Lehre zur Bürokauffrau trat sie 1979 bei den Tertiarschwestern des heiligen Franziskus ein. Sie arbeitete unter anderem als Religionslehrerin in einem Förderzentrum für gehandicapte Kinder und Jugendliche und lebt seit 2014 wieder im Provinzhaus in Hall. Sie ist auch für die Bolivienmission ihres Ordens zuständig. Im Sommer 2025 wurde sie zur Provinzoberin ihrer Gemeinschaft gewählt. Die Franziskanerin engagiert sich unter anderem für Geflüchtete und den Erhalt der Schöpfung.
