

FOTO: KAPUZINER/TOBIAS RAUSER
Entscheidungen beim Einkauf: Ist mir zu komplex?!
Das Leben besteht aus Entscheidungen. Verbraucher stehen vor vielschichtigen Fragen beim Einkauf – etwa beim Apfel. Wer ist in der Verantwortung, Klarheit ins Komplexitätschaos zu bringen?
Welcher Apfel darfs denn sein? Die Frage klingt einfach. Die Antwort ist es nicht. „Ein Bio-Apfel aus der Region“, wäre wohl der erste Impuls. Aber was ist mein Ziel? Eine nachhaltige Produktion und Lagerung, der Erhalt der Artenvielfalt, die Vermeidung von Pestiziden, die Unterstützung des Bauernhofs in der Nachbarschaft? Muss ich aufs Geld schauen? Oder geht es um den Geschmack?
Wenn es allein um die Ökobilanz des Apfels geht, ist es entscheidend, in welchem Monat ich meinen Apfel kaufe, denn ein relevanter Faktor ist die Lagerung des Obstes. Wer im April eine knackige regionale Frucht kauft, der kauft ziemlich sicher einen Apfel, der schon viele Monate in einem gekühlten Lagerraum frisch gehalten wurde. Das kostet viel Energie. In diesem Fall kann – und zu diesem Ergebnis kommen auch Studien – der Apfel aus Neuseeland, der mit dem Containerschiff nach Deutschland gebracht wurde, die bessere Öko-Bilanz ausweisen. Denn in Übersee ist zu dieser Zeit Erntesaison. Ähnlich ist es mit Gemüse, denn beheizte Gewächshäuser brauchen viel Energie, während anderswo die Tomaten ausschließlich mit Hilfe von Bruder Sonne wachsen. Nur eins ist sicher: Wenn Gemüse oder Obst geflogen werden, dann kann man sich alle Rechnerei sparen. Flug-Erdbeeren im Dezember sind in Sachen Öko-Bilanz keine gute Idee.
Verzicht im Frühsommer?
Nachgefragt bei Eckart Brand, deutscher Pomologe (Obstbaukundler), Autor und Experte für den Anbau historischer Apfelsorten: Welche Äpfel kauft er ein? „Ich kaufe immer regionale Äpfel. Möglichst direkt vom Erzeuger“, sagt er. Brandt setzt auf Äpfel, die überhaupt nicht gespritzt worden sind. Die Frage nach Lagerung und Saisonalität hat er für sich wie folgt beantwortet: „Ich finde, wir brauchen keine Äpfel aus Übersee.“ Das bedeutet für ihn allerdings einen Verzicht auf Äpfel in den ersten Sommermonaten: „Da die CO2-Bilanz des Lagerobstes nicht so toll ist, esse ich im Sommer weniger frische Äpfel, dafür mehr Mus und Trockenobst.“
Auch Br. Bernd Beermann, Kapuziner in Eberswalde, hat sich schon detailliert mit dem Thema Apfel beschäftigt. Für den promovierten Chemiker steht fest: „Regional ist für mich die erste Wahl – und der entsprechende Anbau ohne Pestizide.“ Diese Äpfel findet der franziskanische Ordensmann nicht im Supermarkt, sondern in kleinen Läden, die sich auf diese Dinge spezialisiert haben. Es geht ihm um Nachhaltigkeit, aber auch um die Unterstützung von Bauern, die sich um Obstwiesen ohne Pestizidanbau mit dem Fokus auf Artenvielfalt kümmern. Für ihn gilt der alte Spruch in der Landwirtschaft: „Was nicht konsumiert wird, wird auch nicht erhalten.“
„Wer mehr hat, hat mehr Verantwortung“
Der Verbraucher hat mit seiner Kaufentscheidung also sehr wohl Einfluss. Das gilt etwa für die Frage, in welcher Jahreszeit ich was kaufe: „Wenn ich im April einen knackigen Apfel erwarte, dann geht das bei einer regionalen Frucht nur, wenn diese energieintensiv gelagert wurde“, sagt der Kapuziner, der zurzeit in Eberswalde „Strategisches Nachhaltigkeitsmanagement“ studiert. Für viele ein Thema: der Preis. Der Geldbeutel gibt nicht immer die Bio-Variante her. Was beim Bio-Apfel vielleicht noch geht, ist beim Thema Öko-Fleisch schon schwieriger oder nur mit Verzicht zu handhaben. Hier legt sich Br. Bernd fest: „Es gilt das Prinzip der katholischen Soziallehre: Wer mehr hat, der hat mehr Verantwortung.“
Wenn schon der Apfelkauf eine anspruchsvolle Angelegenheit ist, wie sieht es dann bei komplexeren Produkten wie einem Mobiltelefon aus? Kinderarbeit, Rohstoffe, Löhne, Arbeitsbedingungen: Hier kommt die persönliche Verantwortung des Konsumenten an Grenzen, denn „es ist fast unmöglich für einen Verbraucher, die gesamte komplexe Lieferkette zu durchschauen“, sagt Br. Bernd. Wer ist da gefragt? „Das ist die Aufgabe des Staates“, sagt Br. Bernd entschieden. „Für den Verbraucher ist das bei komplexen Produkten nicht machbar.“ Auch für Friedel Hütz-Adams vom wissenschaftlichen Südwind Institut für globale Gerechtigkeit steht fest, dass die Unternehmen in der Pflicht sind – und damit verbunden die Politik, die den Rahmen setzen muss.
Ein Versuch, diesen Rahmen transparenter zu gestalten, ist das sogenannte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Für Hütz-Adams ist das Lieferkettengesetz ein wichtiger Schritt nach vorne, denn „es legt die Verantwortung für Menschenrechte in die Hände derer, die entscheiden, wo sie einkaufen und produzieren lassen: in die Hände der Unternehmer.“ Nur so könnten Lieferketten nachhaltig umgebaut werden. Das Gesetz gilt schon, doch über die Umsetzung gibt es Streit. Wahrscheinlich wird das Vorhaben verschoben oder abgeschwächt.
Sind Siegel, Ampeln oder Label die Lösung des Komplexitätsproblems? Hütz-Adams vom Südwind Institut hat da seine Zweifel: „Siegel helfen nur sehr bedingt. Zudem ist die Vielfalt nahezu undurchschaubar.“ Ein Griff ins Regal müsse auch „ohne ein Siegel-Studium“ möglich sein. Eine andere Möglichkeit für Verbraucher sind Apps, die sich auf bestimmte Themen wie Kinderarbeit fokussieren.
Vertrauen vereinfacht Entscheidungen
Auch können sich Konsumenten konkret mit einem Unternehmen, einem Label oder einer Kette auseinander setzen und Vertrauen aufbauen. „Wenn man sich einmal Mühe gemacht hat und zum Entschluss gekommen ist, dass ein bestimmtes Unternehmen einiges besser macht als andere, dann kann das die Einkaufsentscheidung vereinfachen“, sagt Br. Bernd.
Wenn Sie beim nächsten Apfelkauf über Sorten wie Gala oder Geflammter Kardinal nachdenken, bedenken Sie: Wenn Sie mit dem Auto zum Einkaufen fahren, dann sind alle Apfel-Nachhaltigkeits-Überlegungen dahin. Allein die Fahrt sorgt für etwa 120 Gramm CO2 pro gefahrenem Kilometer. Zum Vergleich: Bei einem Kilo Apfel liegt die Öko-Bilanz bei 90 bis 180 Gramm CO2, auch bei Übersee-Äpfeln. Rad, Bahn oder Auto? Hier ist die Sache also gar nicht komplex.
Dieser Text von Tobias Rauser ist zuerst in cap! erschienen, dem Magazin der Kapuziner. In der Frühlingsausgabe (ein PDF finden Sie hier) ging es um das Titelthema „Komplexität“. Ein kostenloses Abo der Zeitschrift können Sie hier bestellen.