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In der Bibel lesen: Anregungen für Einsteiger
Wann haben Sie zum letzten Mal in der Bibel gelesen? Von Vielfalt, Fremdheit und Wucht der Geschichten fühlt sich mancher überfordert. Br. Bernd Kober präsentiert ein paar Leitplanken für Neu- und Wiedereinsteiger.
Einen anderen Menschen verstehen, das ist Vertrauenssache. Mit Freunden oder Partnern ereignen sich oft jahrelange, gemeinsame Wege. Immer eröffnet sich Neues: Ich sehe neue Hintergründe, Prägungen, Erfahrungen, verstehe neu, warum dieser Mensch so ist, wie er oder sie jetzt ist.
Die Bibel ist eine Sammlung menschlicher Zeugnisse. Zeugnisse über den Glauben, über das Leben und das Ringen mit Gott. Diese Zeugnisse sind Gestalt geworden in unterschiedlichen biblischen „Büchern“, die uns Fenster öffnen mit der Aussicht auf diesen Gott Israels und Jesu. Es sind gesammelte individuelle Erfahrungen, weisheitliche Lehrtexte, Gebete, Evangelien, Briefe, nacherzählte Geschichte. Hinter jedem dieser Texte stehen einzelne Menschen und Lebenserfahrungen. Die Bibel ist nicht Wort für Wort diktiert – vom Himmel herab. Sie ist erlebt – Leben, das sich mit dem Himmel verbindet.
Fremdheit akzeptieren
Über 2000 Jahre alt sind diese Erfahrungen. Aus ferner Zeit und fremder Kultur kommen sie zu uns. Wie fremd schon sind uns die Erfahrungen unserer Großmütter und Großväter – wie fremd auch die Heilige Schrift an vielen Stellen! Wer die Bibel aufschlägt, ist damit konfrontiert. Nüchterne Information hilft. Seriöse Quellen dazu gibt es. Es ist wie beim Gespräch mit dem Freund aus einer anderen Lebenswelt, der sich mir anvertraut und den ich verstehen möchte.
Nähe zulassen
Bei aller Fremdheit: Erfahrungen verbinden. Gleiche Erfahrungen schaffen Nähe. Wer in die Welt der biblischen Gottsucherinnen und Gottsucher eintritt, kann selbst auf die Suche gehen: Gibt es da Lebenserfahrungen, die in mir etwas zur Resonanz, zum Schwingen bringen – Gleichklang oder Widerspruch? Kann ich mein Leben unterbringen in einer biblischen Gestalt – mit ihr Freundschaft schließen? Menschliche Sehnsucht und Lebensbewegungen – wie erstaunlich – haben sich kaum geändert in 2000 Jahren. Die Grundthemen bleiben: Liebe und Schuld, Geborgenheit und Einsamkeit, Gesundheit und Krankheit, Zärtlichkeit und Gewalt. Die biblischen Menschen sind uns verwandt!
Gott suchen
Will ich mit den Menschen, die mir in der Bibel begegnen, auf die Suche nach Gott gehen? Vertraue ich ihnen? Das ist die Gretchenfrage, wenn wir dieses Buch der Bücher zur Hand nehmen. Es ist keine Gebrauchsanleitung, kein Katechismus, kein Gesetzbuch. Die Bibel ist das Buch des Lebens. Vom Leben fürs Leben geschrieben. In Bildern, in Poesie, in Erlebnissen, die sich beim Erzählen neu für die Zuhörer formen. Es braucht Vertrauen, um die Fährten zu suchen und ihnen dann nachzugehen. Ich kann beispielsweise fragen, wo hat der Blinde in Jericho einst am Weg gesessen, wie sahen die Straßen aus, wie groß war Jericho, ich kann das Heilige Land bereisen. Das alles hilft. Bartimäus wird zur historischen Gestalt jenseits meiner Zeit. Die tiefere Frage ist die Frage nach der Blindheit, was Bartimäus empfunden, durchgemacht, geglaubt, erhofft hat. Dann kommt er mir nahe, wird mein Gefährte. Lesen Sie die Stelle im Markusevangelium nach (10. Kapitel, Verse 35 – 42)!
Gottsuche braucht Begleiterinnen und Begleiter
Solche Gefährten brauchen wir auf der Suche nach Gott, auf dem Weg, Glauben zu lernen und zu vertiefen. Wir finden sie in der Heiligen Schrift, wenn wir mit den Menschen der Bibel zu ringen, zu fühlen, zu sprechen, zu beten beginnen. Ihre Worte können unsere Worte werden – oder wir schreiben die Geschichte (z.B. die der Blindheit und Sehnsucht nach einem klaren Blick) neu. Für alle, die vertrauensvoll die Heilige Schrift aufschlagen, gilt das Wort von Madeleine Delbrêl: „Das Evangelium (die Bibel, Anm. d. Verf.) ist nicht da, um gelesen, sondern um in uns aufgenommen zu werden. Wenn wir das Evangelium in Händen halten, sollten wir bedenken, dass das Wort darin wohnt, das in uns Fleisch werden will, uns ergreifen möchte, damit wir – sein Herz auf das unsere aufgepfropft, sein Geist in den unseren eingesenkt – an einem neuen Ort zu einer neuen Zeit, in einer neuen menschlichen Umgebung sein Leben aufs Neue beginnen.“
Dieser Text von Br. Bernd Kober aus Frankfurt am Main ist zuerst in cap!, dem Magazin der Kapuziner erschienen.