Interview

FOTO: Agne­te Brun

Jon Olav Fosse

ist Nor­we­ger und Autor. Im Jahr 2023 bekam der Katho­lik den Literaturnobelpreis.

5. Juni 2025

Interview mit Nobelpreisträger Jon Fosse: „Alles ist Gnade“

Lite­ra­tur-Nobel­preis­trä­ger Jon Fos­se ist gläu­bi­ger Katho­lik. Der Nor­we­ger sagt im Inter­view, war­um eine Welt ohne Gott für nicht denk­bar ist und war­um er kei­ne Angst vor dem Tod hat. 

Herr Fos­se, was ist ein­fa­cher: glau­ben oder schreiben?

Jon Fos­se: Es kommt dar­auf an. Alles ist leicht, wenn man es schafft. Wenn man es nicht schafft, ist es unmög­lich. So ist es mit dem Schrei­ben, so ist es mit dem Glau­ben. Ich hat­te nie eine Schreib­blo­cka­de, nach­dem ich ernst­haft ange­fan­gen hat­te zu schrei­ben. Und ich hat­te nie gro­ße Pro­ble­me mit dem Glau­ben, nach­dem ich ange­fan­gen hat­te zu glau­ben. Natür­lich kann ich mein Schrei­ben nicht ratio­nal erklä­ren, so wie ich mei­nen Glau­ben nicht ratio­nal erklä­ren kann. Wenn ich es ver­su­che, fürch­te ich, dass es nur dazu führt, dass ich nicht schrei­ben kann, dass ich nicht glau­ben kann. Schrei­ben ist eine Rei­se ins Unbe­kann­te, so wie auch der Glaube.

Und was ist schwie­ri­ger: über Gott nach­zu­den­ken oder über sich selbst?

Um Ihnen eine ehr­li­che Ant­wort zu geben: Ich ver­ste­he mich selbst nicht, und ich ver­ste­he Gott nicht. In bei­den Fäl­len habe ich am Ende vie­le Fra­gen. Als erschaf­fe­nes Wesen ist es zumin­dest für ande­re nicht so schwer, mich zu ver­ste­hen oder zu beschrei­ben. Wären wir nicht-erschaf­fe­ne Wesen, hät­ten wir über­haupt kein Kon­zept, Gott zu ver­ste­hen. Und wie der hei­li­ge Augus­ti­nus tref­fend schrieb: Wenn du denkst, dass du es erfasst hast, kannst du sicher sein, dass es nicht Gott ist.

Wann und wodurch haben Sie ver­sucht, Gott zu erfassen?

Das ers­te Mal war, als ich mit sie­ben Jah­ren auf­grund eines Unfalls dem Tod nahe war. Ich sah mich von einem schim­mern­den und fried­li­chen Ort aus, es war ein Gefühl der rei­nen Glück­se­lig­keit. Mehr will ich dazu gar nicht sagen. Nur dass es Jah­re dau­er­te, bis ich bewusst begann, an Gott zu glauben.

Und heu­te hat Gott einen fes­ten Platz in Ihrem Leben?

Gott ist der Grund, war­um ich exis­tie­re. Aber ich bin zu einem gro­ßen Teil von ihm getrennt. Ich glau­be, dass ich von Gott gekom­men bin und zu Gott zurück­keh­ren werde.

Eine Welt ohne Gott ist also nicht denkbar?

Wir alle leben mehr oder weni­ger in unse­ren Illu­sio­nen. Und wenn wir etwas so Nahes und so Fer­nes wie Gott nicht erfah­ren oder nicht akzep­tie­ren kön­nen, dann bin ich sicher, dass umge­kehrt Gott uns zumin­dest akzep­tie­ren und ver­ste­hen kann. Aber nie­mand von uns lebt wirk­lich ohne Reli­gi­on. Woher kom­men wir? Wohin gehen wir? Die­se Fra­gen sind ihrer Natur nach religiös.

Zwei­feln Sie an Gott? 

Ich zweif­le nicht an Gott, weil ich an nichts zwei­feln kann, mit dem ich bereits Erfah­rung habe. Aber Gott ist für mich meist sehr weit weg und gleich­zei­tig sehr nah. Wenn ich ver­su­che, Got­tes Absich­ten tat­säch­lich zu ver­ste­hen, kann ich zumin­dest mei­ne Zwei­fel haben, ob die­ser Gott, an den ich glau­be, ein all­mäch­ti­ger Gott ist, oder ob er sich erst am abso­lu­ten Ende als all­mäch­tig ent­pup­pen wird. Es gibt übri­gens vie­le dog­ma­ti­sche Aus­sa­gen über Gott, die ich nicht glau­be, so dass ich mich auch gut als Ket­zer betrach­ten könn­te (lacht).

Sie spre­chen vom abso­lu­ten Ende. Haben Sie Angst vor dem Tod?

Ich habe kei­ne Angst vor dem Tod. Zumin­dest kann ich das hier so sagen, wie ich jetzt hier sit­ze. Aber wenn ich in einer Stun­de oder so ster­ben wür­de, hät­te ich Angst davor, was mit mei­ner Fami­lie pas­sie­ren wür­de, bei all dem Cha­os, das ich hin­ter­las­se. Und ich mag nicht dar­an den­ken, dass ich zu Asche ver­brannt wer­de oder dass mein Kör­per all­mäh­lich in einem Sarg ver­schwin­det, in völ­li­ger Dunkelheit.

Das sind doch nur Äußer­lich­kei­ten und irdi­sches Denken.

Genau. Des­halb muss ich mich der Ratio­na­li­tät zuwen­den und sagen, dass der im Sarg ver­schwin­den­de Kör­per ja nicht mehr mein Ich ist. Mein Atem und mein Geist sind weg. Ich bin also aus mei­nem mate­ri­el­len Kör­per her­aus­ge­nom­men wor­den als ein geis­ti­ger Kör­per. Das, was dann pas­siert, ver­ste­hen wir nicht. Der hei­li­ge Pau­lus schreibt, dass wir den Tod nicht ver­ste­hen, weil er zu Gott gehört. Und Gott kön­nen wir nie ganz verstehen.

War­um sind Sie eigent­lich zur katho­li­schen Kir­che konvertiert?

Das ist eine lan­ge Geschich­te, zu lang, um sie hier nach­zu­er­zäh­len. Ich habe dar­über in mei­nem Buch mit dem Titel „The Mys­tery of Faith“ geschrie­ben. Hier die Kurz­ver­si­on: Ich fühl­te mich nie zuge­hö­rig zum luthe­ri­schen Chris­ten­tum, mit dem ich auf­ge­wach­sen bin, also habe ich die nor­we­gi­sche Kir­che ver­las­sen und fand irgend­wann die Quä­ker. Ich nahm an ihren Ver­samm­lun­gen teil, ein orga­ni­sier­ter Quä­ker war ich aber nie.

Die Quä­ker sind eine reli­giö­se Gemein­schaft, die gemein­sam auf der Suche ist. Die per­sön­li­che Erfah­rung steht im Fokus, weni­ger Ritus und Kir­che. Wie ging Ihre Suche weiter?

Nach einer Wei­le ver­spür­te ich ein star­kes Bedürf­nis, einer grö­ße­ren Gemein­schaft von Gläu­bi­gen anzu­ge­hö­ren. Die katho­li­sche Mes­se gefiel mir sehr, eben­so wie der Anblick von Men­schen, die allein in einer Kir­che sit­zen und sich tief ins Gebet bege­ben. Dabei spür­te ich auch, dass ich eine insti­tu­tio­na­li­sier­te Kir­che brauch­te. Ich las in jener Zeit irr­sin­nig viel. Der Mys­ti­ker Meis­ter Eck­hart fas­zi­nier­te mich beson­ders. Und ich dach­te mir, wenn Meis­ter Eck­hart katho­lisch sein konn­te, dann kann ich es auch. (lacht)

Ist der Papst als Ober­haupt der Kir­che für Sie problematisch?

Ich den­ke, das hängt vom jewei­li­gen Papst ab. Wenn man tie­fer die Kir­chen­ge­schich­te schaut, war gewiss nicht jeder Papst ein guter Papst. Und die Idee, ein Zen­trum zu haben, eine Per­son, die sozu­sa­gen die Ganz­heit der Kir­che reprä­sen­tiert, ist an sich schon gut. Ich glau­be auch, dass es eine nahe Ver­bin­dung zwi­schen Jesus und Petrus und wie­der­um zwi­schen Petrus und den Päps­ten gibt. Die­se apos­to­li­sche Suk­zes­si­on bringt mich als Katho­li­ken nah an Chris­tus. Ein „Ja“ zum Papst ist somit auch ein „Ja“ zu Chris­tus. Damit sage ich aber nicht, dass ande­re Chris­ten „Nein“ zu Chris­tus sagen.

Ich habe gele­sen, dass Sie jeden Tag den Rosen­kranz und das Vater­un­ser auf Latein beten. Stimmt das?

Ich bete nicht jeden Tag den gan­zen Rosen­kranz, aber jeden Tag eine Ver­si­on davon. Dazu gehört natür­lich das „Ave Maria“, eben­so das Apos­to­li­sche Glau­bens­be­kennt­nis und das Vater­un­ser. Frü­her habe ich auf Latein gebe­tet, aber jetzt bin ich zu mei­ner eige­nen nor­we­gi­schen Über­set­zung über­ge­gan­gen. Die Wie­der­ho­lun­gen erzeu­gen ihre eige­nen Bedeu­tun­gen. Bedeu­tun­gen, die erst durch die Wie­der­ho­lung beson­ders wer­den. Ich kle­be dabei nicht am Wort­sinn der Ver­se. Nor­ma­ler­wei­se bete ich mei­ne Ver­si­on des Rosen­kran­zes, bevor ich einschlafe.

Hört Gott unse­re Gebete?

Ja, davon bin ich über­zeugt. Ich den­ke, dass Gott im Vor­aus alles weiß, was pas­sie­ren wird. Also: Ja, er kennt und hört unse­re Gebe­te, er hat sie bereits alle gehört.

Erhört er sie auch?

Das hängt davon ab, was ich für Got­tes Fügung hal­te und für wie groß ich sei­ne Macht hal­te, in unser Leben ein­zu­grei­fen. In die­ser Welt gibt es einen stän­di­gen Kampf zwi­schen den Herr­schern die­ser Welt und Gott. Nur auf der ande­ren Sei­te ist Gott allmächtig.

Für wen oder was beten Sie?

Ich bete fast immer für ande­re Men­schen, fast nie für etwas, das mit mir selbst zu tun hat. Ich bete für mei­ne Fami­lie, mei­ne Kin­der, mei­ne Freun­de. Und für jeman­den, von dem ich das Gefühl habe, dass er es braucht, oder der mich gebe­ten hat, für ihn zu beten. Und wenn jemand, den ich kann­te, tot ist, bete ich immer für ihn oder sie, auch wenn ich ihn oder sie nur ein biss­chen kannte.

Für sich selbst beten Sie kaum?

Eigent­lich nur Dank­ge­be­te. Ich dan­ke Gott für alles, was ich bekom­men habe. Mein eige­nes Leben ist ein Geschenk, mei­ne Fami­lie, mei­ne Fähig­keit zu schrei­ben. Anders aus­ge­drückt: Alles ist Gnade.

Vie­len Dank für das Gespräch!

 

Zur Per­son: ist Nor­we­ger und wur­de 1959 gebo­ren. Er wuchs in der nor­we­gi­schen Küs­ten­stadt Hau­ge­sund am Hardang­erfjord auf und stu­dier­te ver­glei­chen­de Lite­ra­tur­wis­sen­schaft. Bekannt wur­de er als Autor zahl­rei­cher Bücher, im Jahr 2023 erhielt Fos­se den Nobel­preis für Lite­ra­tur. Das Komi­tee des Lite­ra­tur­no­bel­prei­ses wür­dig­te damals ins­be­son­de­re die „inno­va­ti­ven Thea­ter­stü­cke und sei­ne Pro­sa, die dem Unsag­ba­ren eine Stim­me geben“. Sein Ver­lag bezeich­net Fos­se als „säku­la­ren Mys­ti­ker, der in sei­nem Werk das Geheim­nis der Schöp­fung beschwört“, als einen, „der in der Tra­di­ti­on des Stau­nens und Zwei­felns steht“. Der Katho­lik (Fos­se kon­ver­tier­te 2013 zum Katho­li­zis­mus) gilt als eine der wich­tigs­ten Stim­men der zeit­ge­nös­si­schen nor­we­gi­schen Lite­ra­tur. Bekannt wur­de er außer­dem durch sei­ne welt­weit auf­ge­führ­ten Dra­men, die auch im deutsch­spra­chi­gen Raum (etwa in Salz­burg, Ber­lin oder Ham­burg) insze­niert wur­den. Zu den bekann­tes­ten Roma­nen von Jon Fos­se zäh­len „Melan­cho­lie“, „Mor­gen und Abend“ oder die drei Bän­de der „Hepta­lo­gie“. Vie­le sei­ner Wer­ke sind im Rowohlt-Ver­lag erschie­nen. Der Nor­we­ger lebt unter ande­rem in Öster­reich in Hain­burg an der Donau (außer­dem in Oslo und Ber­gen). Grund für die Wohn­sitz­wahl ist sei­ne Frau Anna, die aus der slo­wa­ki­schen Haupt­stadt Bra­tis­la­va kommt. Da Fos­se zwar Deutsch, aber kein Slo­wa­kisch spricht, fiel die Wahl auf einen Ort in Öster­reich, der nur weni­ge Minu­ten von Bra­tis­la­va ent­fernt ist. 

 

Das Inter­view führ­te Br. Micha­el Mas­seo Mal­d­a­cker aus dem Kapu­zi­ner­klos­ter in Salz­burg. Es ist zuerst in cap!, dem Maga­zin der Kapu­zi­ner erschienen. 

 

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