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FOTO: UNSPLASH/Roan Lavery

19. Dezem­ber 2024

Nichts ist schwer, bist Du nur leicht – ein Weihnachtsgedanke

Vie­le treibt die Sehn­sucht nach Leich­tig­keit, nach Auf­at­men, nach neu­er Aus­sicht und Per­spek­ti­ve. Das hat viel mit Weih­nach­ten zu tun, sagt Br. Bernd Kober aus Frank­furt in sei­nem Impuls. 

Der Engel aber sag­te zu ihnen:
Fürch­tet euch nicht, denn seht,
ich ver­kün­de euch eine gro­ße Freude,
die allem Volk zuteil wer­den soll.

Nicht jeder hat ein Flug­zeug im Gar­ten geparkt. Das ist doch eher unge­wöhn­lich. Wäh­rend mei­ner Exer­zi­ti­en im Novem­ber die­ses Jah­res ging ich täg­lich spa­zie­ren. Vor der Ter­ras­se eines Hau­ses mit gro­ßem Gar­ten, an dem ich vor­bei­kam, stand ein Sport­flug­zeug. Es muss ein ziem­li­cher Auf­wand gewe­sen sein, es zwi­schen den Hecken und Bäu­men, die dort auch stan­den, an sei­nen Platz zu manö­vrie­ren. Mehr als die Fra­ge, wie es dort­hin kam, beweg­te mich aller­dings der Gedan­ke, war­um es dort wohl ste­hen mag. Das Haus auf dem Grund­stück ist eine Vil­la, wahr­schein­lich um 1950 dort errich­tet und mitt­ler­wei­le in die Jah­re gekom­men. Viel­leicht ist das Flug­zeug Erin­ne­rung an ver­gan­ge­ne Tage, eine Erin­ne­rung eines lei­den­schaft­li­chen Sport­pi­lo­ten, der nie mehr in die­ses Flug­zeug ein­stei­gen und sich gleich­sam schwe­re­los am Him­mel bewe­gen wird. Oder es erin­nert an einen gelieb­ten Men­schen. Sicher leben in die­sem doch auf­fäl­li­gen Erin­ne­rungs­stück vie­le ver­gan­ge­ne Geschich­ten und Erfahrungen.

Vom Him­mel auf die Erde, viel­leicht auf das eige­ne Haus, den eige­nen Hei­mat­ort oder auch auf frem­de Län­der her­ab­se­hen fas­zi­niert Men­schen seit jeher. Das Flie­gen übt eine eige­ne Anzie­hungs­kraft aus auf den Men­schen – bis hin zu den fas­zi­nie­ren­den, ein­drück­li­chen Bil­dern unse­res Pla­ne­ten Erde, die durch die Raum­fahrt mög­lich wur­den. Neue Per­spek­ti­ven wecken neue Fra­gen und kön­nen neue Ein­sich­ten schaf­fen. Viel Sehn­sucht kann in einem so gepark­ten Sport­flug­zeug wohnen.

Weih­nach­ten hat auch mit dem Flie­gen zu tun. Denn Engel haben ja bekannt­lich Flü­gel. Zumin­dest haben sie die­se Flü­gel schnell bekom­men, als man ver­such­te, sie mehr oder weni­ger naiv dar­zu­stel­len. Weih­nach­ten ohne Engel – das ist für man­che Zeit­ge­nos­sen, und auch für gläu­bi­ge Chris­tin­nen und Chris­ten, fast nicht vor­stell­bar. Wie der Stern, das Licht, der Weih­nachts­baum gehö­ren auch Engel zur Grund­aus­rüs­tung des Weih­nachts­fes­tes. Und ein Engel fliegt. Die Engel, die auf den Flu­ren von Beth­le­hem den Hir­ten die Geburt des Ret­ters ver­kün­de­ten und dann sin­gend Gott prie­sen – sie müs­sen flie­gend an Ort und Stel­le gekom­men sein.

Engel sind leicht. Sie über­win­den die Schwer­kraft. Und das ist nicht nur die Sehn­sucht des Sport­pi­lo­ten. Es ist eine Grund­sehn­sucht des Men­schen, die Schwer­kraft zu über­win­den. Die Engel brin­gen die Hoff­nung auf Leich­tig­keit und auf neue, stau­nen machen­de Per­spek­ti­ven. Des­halb haben sie Flü­gel – anders aber doch auch ähn­lich wie die­ses Sport­flug­zeug. Flü­gel tra­gen, Trag­flü­gel der Hoff­nung: wer abhebt, gewinnt plötz­lich Weit­blick und Über­sicht. Was auf dem Boden hockend wie eine unüber­wind­li­che Gren­ze aus­sah, ist es plötz­lich nicht mehr. Engel haben wesent­lich mit Weih­nach­ten zu tun.

Nichts ist schwer, sind wir nur leicht.

Der Lyri­ker Richard Deh­mel for­mu­liert in einem sei­ner Gedich­te vor gut ein­hun­dert Jah­ren die­ses Wort. Viel­leicht sagen wir: der hat gut reden. Weiß er denn, was ich im Moment zu tra­gen habe, was ich im jetzt zuen­de gehen­den Jahr tra­gen muss­te und wie ich mich jetzt hin­über­schlep­pe? Ich glau­be, Deh­mel for­mu­liert nicht leicht­fer­tig. Als ernst­haf­ter Lyri­ker wuss­te er um die Schwe­re mensch­li­cher Exis­tenz. Und er wuss­te um die Sehn­sucht nach Leich­tig­keit, nach dem Auf­at­men, nach neu­er Aus­sicht und Per­spek­ti­ve. Was kann es hei­ßen, leicht zu sein – ohne leicht­fer­tig über Lebens­er­fah­run­gen hin­weg zu gehen und in fal­scher Sorg­lo­sig­keit Fra­gen vom Tisch zu wischen? Auch der Flie­ger muss wie­der Boden­haf­tung bekom­men und lan­den – und auch die schöns­ten Engels­flü­gel ver­schwin­den wie­der mit Beginn des neu­en Jah­res aus Wohn­zim­mern und Schau­fens­tern. Die Leich­tig­keit, um die es hier geht, hat mei­nes Erach­tens mit dem Weih­nachts­ge­heim­nis zu tun. Und sie hat mit der Hoff­nung zu tun, die uns leicht machen kann – eine Hoff­nung, die auch jen­seits des Weih­nachts­rum­mels Kraft behal­ten soll. Wäre dem nicht so, wäre das Weih­nachts­fest eine weni­ge Stun­den oder Tage dau­ern­de Welt­flucht. Es wäre sinnlos.

Ein Kind ist leicht.

Frei­lich wis­sen Eltern, wie schnell das Kind wächst und irgend­wann das Tra­gen müh­sa­mer wird. Aber ein Kind ist Leich­tig­keit. Gott kommt als Kind. Er kommt nicht mit gewal­tig schwe­rem Tritt daher. In der Christ­nacht lesen wir aus dem Buch Jesa­ja, dass ein Licht auf­geht. Und mit dem auf­strah­len­den Licht wird Jubel laut. Und Freu­de greift um sich. Men­schen freu­en sich, weil eine Last von ihren Schul­tern genom­men wird, sie wer­den vom Joch befreit. Es geschieht etwas lei­ses, leich­tes, das stär­ker und durch­drin­gen­der ist als „dröh­nend auf­tre­ten­de Stie­fel“ mar­schie­ren­der Sol­da­ten: Ein Kind ist uns gebo­ren! Ein leich­tes Kind – aber kein Leicht­ge­wicht. Ein Kind mit einer wei­ten Per­spek­ti­ve und einer gro­ßen Hoff­nung. Und die­se Leich­tig­keit des wei­ten Blicks und der Hoff­nung auf Zukunft behält die­ses Kind, auch wenn es erwach­sen wird. Die­se Leich­tig­keit, wei­ter zu sehen, wei­ter zu gehen und wei­ter zu hof­fen lässt sich die­ses Kind Got­tes nicht neh­men. Nichts ist schwer, sind wir nur leicht – die­ses Wort scheint ein Wort zu sein, dass mit die­sem Kind zu tun haben kann. Und es scheint ein Wort zu sein, das mit der Bot­schaft zu tun hat, die die­ses Kind bringt und ver­kör­pert mit Fleisch und Blut.

Bot­schaft klingt nach Inhalt. Das trifft aber nicht gut, wor­um es hier geht. Es geht um kei­nen Inhalt, um kei­ne Sache. Es geht um mehr. Hier wird das Wort Got­tes Mensch und Fleisch, ein Wort, das nur schwer in Wor­te zu fas­sen ist – viel bes­ser in Begeg­nun­gen, Ges­ten, Bli­cke, Taten. Die­ses Wort ist Leben, leben­di­ges Leben. Es ist leicht im Schwe­ren und will im Schwe­ren erleich­tern: dem Schul­di­gen sagt es, du bist geliebt und nicht abge­schrie­ben und fest­ge­na­gelt auf dei­ne lieb­lo­sen Miss­erfol­ge. Den Außen­sei­ter, den die Aus­gren­zung lähmt, holt es auf­merk­sam in die Mit­te. Den Per­spek­tiv­lo­sen macht es sehend. Jeden Men­schen will es spü­ren las­sen: du hast kei­nen bere­chen­ba­ren Wert, weil du etwas leis­test und kannst – du hast viel­mehr eine Wür­de. Das erleich­tert! Und die­se Wür­de beginnt im ers­ten Augen­blick des Daseins, da du noch ganz ange­wie­sen und allei­ne lebens­un­fä­hig bist – und sie gilt auch, wenn du wie­der ganz ange­wie­sen und allei­ne lebens­un­fä­hig bist und dem Tod ent­ge­gen­gehst. Wür­de musst du nicht ver­die­nen – sie ist dir geschenkt. Die­ses leben­dig-leich­te Wort schützt alles Schwa­che vor dem schwe­ren gewalt­tä­ti­gen Zugriff jener, die den Men­schen zur blo­ßen Res­sour­ce und zu einem Kos­ten­fak­tor degradieren.

Die Leich­tig­keit die­ses Chris­tus­kin­des will das Gebeug­te auf­rich­ten und die Augen für eine gute Zukunft sehend machen. Die Bot­schaft die­ses Got­tes­soh­nes will eine neue Per­spek­ti­ve schen­ken – mit Über­blick. Nicht nur der eige­ne Vor­gar­ten und die engen Gren­zen einer klein­bür­ger­lich sau­ber geschnit­te­nen Hecke oder Gemein­de oder Kon­fes­si­on oder eines Klos­ters sind Raum der Leben­dig­keit, um die es hier geht. Die Bot­schaft des Got­tes­rei­ches ist eine gren­zen­lo­se. Da muss es Durch­läs­se und Ein­läs­se, Aus­bli­cke und Über­bli­cke geben, die den Men­schen bewe­gen. Und beweg­lich ist der Leicht­ge­wor­de­ne, der sein Marsch­ge­päck – wie auf dem Jakobs­weg – gut bemisst und Nicht­not­wen­di­ges abwirft. Ist das Gepäck zu schwer, bleibt er oder sie stets in ihren Gren­zen und schafft den Weg hin­über nicht. Die­se Leich­tig­keit ist Bedin­gung des Lebens mit dem Chris­tus­kind, Bedin­gung jeder Chris­tus­nach­fol­ge und das Lebens­ge­setz des Rei­ches Got­tes, das Jesus ver­kün­det. Nur mit die­ser Beweg­lich­keit wird auch das Schwe­re bewäl­tigt. Und es wird dann gemein­sam, mit­ein­an­der bewäl­tigt, weil der Mensch auf den Men­schen zugeht und nicht hocken bleibt in sei­ner ein­sa­men Schwe­re. Geschwis­ter­lich­keit ent­steht unter die­sem Grund­ge­setz der Leich­tig­keit Christi.

Nichts ist schwer, sind wir nur leicht.

Aus die­sem Grund gehö­ren die geflü­gel­ten Wesen zum Weih­nachts­fest. Sie sind ein Fin­ger­zeig, ein Hin­weis auf die Mit­te die­ses Fes­tes. Abhe­ben, auf­bre­chen, Wege gehen mit Chris­tus und mit der Fro­hen Bot­schaft die Leich­tig­keit ent­de­cken – gegen alle Angst, die nach unten zieht.

Dass es hier­zu den Zuspruch der Flü­gel­we­sen braucht: Fürch­tet euch nicht!, das ist schnell ein­zu­se­hen. Denn sosehr wir uns danach seh­nen, nicht bei uns selbst sit­zen zu blei­ben, so sehr fürch­ten wir hier und da die Kraft der Begeg­nung und des Mit­ein­an­ders. Wir wis­sen sehr genau: Begeg­nun­gen ver­än­dern uns, wenn sie tief und echt sind. Aber sie sind Bedin­gung dafür, dass der Frie­de wächst, der Flü­gel verleiht.

Gott ist leicht, bewegt und ver­lässt sich auf uns hin. Wir kön­nen Frie­den haben mit ihm. Das ist sein tiefs­ter Weih­nachts­wunsch. Und: wir kön­nen mit ihm leicht wer­den, Botin­nen und Boten die­ses Frie­dens sein. Und Boten sind Engel – leicht und geflügelt.

Text: Br. Bernd Kober

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