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7. Okto­ber 2025

Sonnengesang: Ein prophetisches Lied auf das Leben

Vor 800 Jah­ren dich­te­te Franz von Assi­si ein ein­zig­ar­ti­ges Lob auf die Schöp­fung: den Son­nen­ge­sang. Was kann uns die­se poe­ti­sche Kom­po­si­ti­on aus dem Mit­tel­al­ter heu­te noch sagen?

Der Umgang mit unse­rer Mit­welt steht in Euro­pa weit oben auf dem Sor­gen­ba­ro­me­ter vie­ler Men­schen. Kli­ma­ka­ta­stro­phen, die sich in Nord und Süd dra­ma­tisch meh­ren, ver­schär­fen die Sor­ge über die öko­lo­gi­sche Schief­la­ge der Welt. Papst Fran­zis­kus rief immer wie­der die gan­ze Mensch­heit auf, „sin­gend und kämp­fend“ für die Zukunft unse­res Pla­ne­ten ein­zu­ste­hen. Sei­ne Enzy­kli­ka „Lau­da­to si’“ griff dazu auf das Schöp­fungs­lied zurück, das Franz von Assi­si vor genau 800 Jah­ren dich­te­te. Wie kann eine Kom­po­si­ti­on des Mit­tel­al­ters in die Nöte der Gegen­wart spre­chen? Und was macht das poe­ti­sche Werk zeit­los ermutigend?

Das „Can­ti­co di fra­te Sole“ heißt im ältes­ten Manu­skript „Lob­ge­sang der Geschöp­fe“. Das Lied, das den Schöp­fer für und durch alle Geschöp­fe preist, ist ein Alters­werk des Mys­ti­kers. Zwei Jahr­zehn­te war er durch Ita­li­en gewan­dert und hat­te sich öfter in Ere­mi­ta­gen an Berg­hän­gen zurück­ge­zo­gen. Die­se Orte ver­bin­den bis heu­te tie­fe Stil­le mit der Schön­heit unbe­rühr­ter Wäl­der und wei­te Aus­bli­cke in die Welt mit mys­ti­scher Tiefe. 

Das natur­ver­bun­de­ne Leben führ­te zu einer tie­fen Ver­traut­heit mit der Schöp­fung, mit den Rhyth­men von Son­ne und Mond, Wind und Wet­ter, erfri­schen­den Quel­len und wär­men­dem Feu­er sowie der näh­ren­den Erde. Frucht davon ist eine Natur­mys­tik, die Tho­mas von Cela­no in dich­ten Zei­len beschreibt: „Die­ser glück­li­che Wan­de­rer hat­te sei­ne Freu­de an den Din­gen, die in der Welt sind (…). Er sah die Welt als kla­ren Spie­gel von Got­tes Güte. In jedem Kunst­werk lob­te er den Künst­ler. Was er in der geschaf­fe­nen Welt fand, führ­te er zurück auf den Schöp­fer. Er pries in allen Wer­ken die Hän­de des Herrn, und durch das, was sich sei­nem Auge an Lieb­li­chem bot, schau­te er hin­durch auf den Urgrund und die Lebens­quel­le aller Din­ge. Er erkann­te im Schö­nen den Schöns­ten selbst. Alles Gute rief ihm zu: ‚Der uns erschaf­fen hat, ist der Bes­te.‘ Auf den Spu­ren, die den Din­gen ein­ge­prägt sind, folg­te er über­all dem Gelieb­ten nach.“

Gelobt seist du, mein Herr, mit allen dei­nen Geschöpfen,
beson­ders dem Herrn Bru­der Son­ne, der uns den Tag schenkt und durch den du uns leuchtest.
Und schön ist er und strahlend
in gro­ßem Glanz: von dir, Höchs­ter, ein Sinnbild.

Der Son­nen­ge­sang ent­stand in San Dami­a­no vor Assis­is Stadt­mau­ern, wo Kla­ras Gemein­schaft mit einer Grup­pe Brü­der das Got­tes­lob sang. Das har­mo­ni­sche Zusam­men­klin­gen von Schwes­tern und Brü­dern hört Franz auch in der gan­zen Schöp­fung. „Fra­te sole“ (Bru­der Son­ne) spielt mit den Schwes­tern „luna e stel­le“ zusam­men, mit Mond und Ster­nen, die ita­lie­nisch weib­lich sind. Bru­der Wind ver­bin­det sich mit Schwes­ter Was­ser, Bru­der Feu­er mit Schwes­ter Mut­ter Erde. Die Gestir­ne im wei­ten Kos­mos ermög­li­chen Leben auf Erden durch den Wech­sel von Tag und Nacht und den Lauf des Jah­res mit Früh­ling, Som­mer, Herbst und Winter. 

Im Lied von drei­er­lei Art, ver­wei­sen Son­ne, Mond und Ster­ne zugleich auf die Über­welt des drei­ei­nen Got­tes: licht­voll, unend­lich und ewig! Aus den vier Urele­men­ten sieht das Mit­tel­al­ter alle irdi­schen Lebe­we­sen bestehen: Pflan­zen, Tie­re und Men­schen wer­den von der Erde ernährt, brau­chen Was­ser und atmen, sie spei­chern Ener­gie und haben ihre je eige­ne Temperatur.

Alles Geschaf­fe­ne auf Erden teilt den­sel­ben Lebens­raum, und jedes Geschöpf erzählt auf sei­ne Wei­se vom Schöp­fer. Die Stro­phe auf den Men­schen kam Wochen spä­ter hin­zu, als in Assi­si ein Bür­ger­krieg droh­te. Nicht Aggres­si­ve oder Unver­söhn­li­che ver­wei­sen auf Gott, ihren Schöp­fer, son­dern Fried­fer­ti­ge und Lie­ben­de. So schön Got­tes Lie­be auch in Ver­lieb­ten auf­leuch­tet, am ein­drück­lichs­ten tut sie es da, wo mensch­li­che Lie­be geprüft wird. Wo Men­schen ein­an­der ver­zei­hen, in Krank­hei­ten den inne­ren Frie­den nicht ver­lie­ren und mit aller­lei Sor­gen gut umge­hen, tun sie es „per lo tuo amo­re“ – in der Kraft von Got­tes Liebe.

Gelobt seist du, mein Herr,
für unse­re Schwes­ter Mut­ter Erde,
die uns erhält und lenkt und
viel­fäl­ti­ge Früch­te hervorbringt,
mit bun­ten Blu­men und Kräutern.

Vor sei­nem Ster­ben füg­te Fran­zis­kus die letz­te Stro­phe hin­zu: So sehr das Leben auf Erden ein Geschenk ist, es bleibt ver­gäng­lich. Die Zei­len zur Schwes­ter Tod sehen das Ster­ben nicht als Kata­stro­phe, son­dern als Über­gang in die ewi­ge Schöp­fung Got­tes. Den „leib­li­chen Tod“ wird Franz ster­bend tat­säch­lich als Weg­ge­fähr­tin will­kom­men hei­ßen. Von ihr lässt er sich an die Hand neh­men, wo sei­ne Liebs­ten, die Brü­der, Schwes­tern und Freun­din Jaco­ba, ihn los­las­sen müs­sen. Fran­zis­kus ver­traut ster­bend dar­auf, dass „sora mor­te“ jeden Men­schen „durch die Pfor­te des Lebens“ beglei­tet und in Got­tes Licht­fül­le führt.

In der End­ge­stalt zählt das Schöp­fungs­lied 33 Ver­se: Das Mit­tel­al­ter zählt 33 Lebens­jah­re Jesu auf Erden. Franz lässt damit fein­sin­nig anklin­gen, dass die­se unse­re Welt nicht nur Werk Got­tes, son­dern auch Hei­mat des Got­tes­soh­nes gewor­den ist. Selbst unre­li­giö­se Men­schen leben daher nicht in einer gott­lo­sen, son­dern einer von Gott gelieb­ten Welt!

Mit Blick in die öko­lo­gi­sche Schief­la­ge der Welt heu­te sind vom Son­nen­ge­sang kei­ne Rezep­te zu erwar­ten. Die Bot­schaft die­ser Per­le der Welt­li­te­ra­tur ist grund­le­gen­der: Fin­de zurück zu einer neu­en Wach­heit für alles Leben, ler­ne neu stau­nen über das Schö­ne und Kost­ba­re in der Schöp­fung, lass dein Herz berüh­ren! Denn wir tra­gen all dem Sor­ge, was wir lieben!

Papst Fran­zis­kus kam im ers­ten und im letz­ten Kapi­tel der Enzy­kli­ka ein­ge­hend auf sein Vor­bild zu spre­chen. Der Mys­ti­ker und Men­schen­freund aus Assi­si wei­se den Weg zu einer neu­en Bezie­hungs­kul­tur, die mit jedem Men­schen und allen Geschöp­fen eben­so wie mit Gott und sich selbst ver­bin­det: „Fran­zis­kus von Assi­si war ein Mys­ti­ker und ein Pil­ger, der in Ein­fach­heit und in einer wun­der­ba­ren Har­mo­nie mit Gott, mit den ande­ren Men­schen, mit der Natur und mit sich selbst leb­te“. Sein Leben mache deut­lich, wie sehr „die Sor­ge um die Natur, die Gerech­tig­keit gegen­über den Armen, das Enga­ge­ment für die Gesell­schaft und der inne­re Frie­de untrenn­bar mit­ein­an­der ver­bun­den sind“. Eine ers­te Ermu­ti­gung aus der Lebens­kunst des Pover­el­lo liegt tat­säch­lich in der ganz­heit­li­chen Ver­bin­dung von Men­schen- und Natur­lie­be mit Selbst­sor­ge und Got­tes­freund­schaft. Alle vier Dimen­sio­nen des Lebens klin­gen im Son­nen­ge­sang an. Im Kapi­tel über Öko­spi­ri­tua­li­tät spricht Papst Fran­zis­kus eine zwei­te Kunst an: tie­fe Lebens­freu­de aus Bezie­hun­gen zu schöp­fen! Fran­zis­kus ermu­tigt zu einem „kon­tem­pla­ti­ven Lebens­stil“, der „sich zutiefst freu­en kann, ohne auf Kon­sum ver­ses­sen zu sein“. Glück­lich, wer zurück­fin­det zu einer „Ein­fach­heit, die uns erlaubt inne­zu­hal­ten, um das Klei­ne zu wür­di­gen, dank­bar zu sein für die Mög­lich­kei­ten, die das Leben bie­tet, ohne uns an das zu hän­gen, was wir haben“. 

Gelobt seist du, mein Herr, für jene,
die ver­zei­hen um dei­ner Lie­be wil­len und Krank­heit ertra­gen und Not.
Selig, die aus­har­ren in Frieden,
denn du, Höchs­ter, wirst sie einst krönen.

Denn die­se Art der „Genüg­sam­keit“ wirkt „befrei­end“: „Sie bedeu­tet nicht weni­ger Leben, sie bedeu­tet nicht gerin­ge­re Inten­si­tät, son­dern ganz das Gegen­teil. In Wirk­lich­keit kos­ten die­je­ni­gen jeden ein­zel­nen Moment mehr aus und erle­ben ihn bes­ser, die auf­hö­ren, auf der stän­di­gen Suche nach dem, was sie nicht haben, hier und da und dort etwas auf­zu­pi­cken: Sie sind es, die erfah­ren, was es bedeu­tet, jeden Men­schen und jedes Wesen zu wür­di­gen, und die ler­nen, mit den ein­fachs­ten Din­gen in Berüh­rung zu kom­men und sich an ihnen zu freu­en“. Wah­res Glück erfor­de­re, „dass wir ver­ste­hen, eini­ge Bedürf­nis­se, die uns betäu­ben, ein­zu­schrän­ken, und so ansprech­bar zu blei­ben für die vie­len Mög­lich­kei­ten, die das Leben bietet“.

Franz von Assi­si unter­streicht mit sei­nem Schöp­fungs­lied, was Papst Fran­zis­kus über eine wache Öko­spi­ri­tua­li­tät schreibt: „Die Natur ist voll von Wor­ten der Lie­be. Doch wie kön­nen wir sie hören mit­ten im stän­di­gen Lärm, in der fort­dau­ern­den und begie­ri­gen Zer­streu­ung oder im Kult der Selbst­dar­stel­lung?“. Fran­zis­kus steht mit sei­ner Mys­tik und sei­nem Leben für „uni­ver­sa­le Geschwis­ter­lich­keit“, aus der kein Mensch und kein Geschöpf herausfällt.

Text: Br. Niklaus Kuster

Der Bei­trag ist auch in cap!, dem Maga­zin der Kapu­zi­ner erschie­nen. Eini­ge Zita­te und Ein­ord­nun­gen sind den Fran­zis­kus-Quel­len (2010, Ver­lag But­zon & Bercker) sowie der Enzy­kli­ka «Lau­da­to Si» (2015) von Papst Fran­zis­kus entnommen.

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