Interview

FOTO: KAPUZINER/ANITA LEDERSBERGER

BR. CHRISTOPHORUS GOEDEREIS

wur­de 1965 in Nord­horn gebo­ren. Seit 1984 ist er Kapu­zi­ner und lebt zur­zeit im Kapu­zi­ner­klos­ter im nie­der­län­di­schen Velp. 

27. Juni 2025

Sonnengesang: „Sich demütig als Teil der Schöpfung Gottes verstehen“

Vor 800 Jah­ren schrieb der Hei­li­ge Fran­zis­kus den berühm­ten Son­nen­ge­sang. War­um das Gebet heu­te aktu­ell ist wie nie und wie es uns kon­kret zum Han­deln auf­for­dert, ver­rät Br. Chris­to­pho­rus Goedereis.

Bru­der Chris­to­pho­rus, in wel­cher Situa­ti­on und in wel­che Zeit hin­ein hat Franz von Assi­si den Son­nen­ge­sang geschrieben?

Br. Chris­to­pho­rus: Der Text wur­de vor 800 Jah­ren ver­fasst, wahr­schein­lich im Früh­jahr 1225. Es han­delt sich um ein Lob Got­tes durch die Schöp­fung. Man könn­te mei­nen, der Son­nen­ge­sang sei an einem son­ni­gen Sonn­tag­nach­mit­tag ent­stan­den, die Vögel zwit­schern, die Bie­nen sum­men, Fran­zis­kus sitzt in einem blü­hen­den Mohn­feld und gerät dar­über ins Schwär­men. Das kras­se Gegen­teil ist der Fall: Fran­zis­kus liegt schwer krank in einem klei­nen Gärt­chen des Klos­ters San Dami­a­no in Assi­si, Schwes­tern pfle­gen ihn. Er ist aus­ge­mer­gelt, geschwächt, nahe­zu blind – und ahnt mit sei­nen rund 40 Jah­ren viel­leicht schon, dass sein Leben sich dem Ende zuneigt. Sei­nen Kör­per nennt er „Bru­der Esel“. In die­ser Situa­ti­on, mit­ten im Leid, bricht die­ses Lob­lied aus ihm heraus.

Nicht der Mensch ist im Zen­trum, son­dern Gott, der alle Geschöp­fe erschaf­fen und mit­ein­an­der ver­bun­den hat.

Was ist die zen­tra­le Aus­sa­ge des Son­nen­ge­sangs, sei­ne Quintessenz?

Der Son­nen­ge­sang ist viel mehr als das net­te Lied­chen, als das er gern wahr­ge­nom­men wird. Es ist ein tie­fes Gebet – gerich­tet an den höchs­ten, all­mäch­ti­gen, guten Herrn. Was den Son­nen­ge­sang aus­macht, ist die tie­fe Ver­bun­den­heit der Geschöp­fe, die dar­in zum Aus­druck kommt. Alle sind mit­ein­an­der ver­bun­den und auf­ein­an­der ange­wie­sen, alle sind letzt­lich Brü­der und Schwes­tern. Das gilt für die Amei­se und den Ele­fan­ten – und für alle Men­schen, egal wel­cher Kul­tur, Haut­far­be oder Nati­on. Für den hei­li­gen Fran­zis­kus ist der Grund die­ser Ver­bun­den­heit der­sel­be Ursprung, den alle Geschöp­fe haben: näm­lich Gott, der Schöpfer.

Das Gebet hat eini­ge Par­al­le­len zum Gesang der drei Jüng­lin­ge im Feu­er­ofen aus dem Buch Dani­el im Alten Tes­ta­ment. Hat Fran­zis­kus den Text nur abgekupfert?

In der For­schung zum Son­nen­ge­sang herrscht Einig­keit, dass Fran­zis­kus von älte­ren Tex­ten inspi­riert war. Er kann­te mit Sicher­heit die Psal­men 19, 104 oder 148, die alle die Schöp­fung loben. Und ja, auch der Lob­ge­sang der drei Jüng­lin­ge im Feu­er­ofen war ihm sicher ver­traut – noch heu­te ist das ja ein ganz bekann­tes Gebet, das wir Ordens­leu­te jeden Sonn­tag­mor­gen in der Lau­des beten. Ein­zig­ar­tig ist jedoch, was Fran­zis­kus aus die­sen Vor­la­gen macht: Es gibt kei­nen Text mit einer ver­gleich­ba­ren Wir­kungs­ge­schich­te. Fas­zi­nie­rend sind für mich auch die sprach­li­chen Details: Der Son­nen­ge­sang hat 33 Ver­se – Jesus wur­de 33 Jah­re alt. Im alt­ita­lie­ni­schen Ori­gi­nal lau­ten die ers­ten Wor­te „Altis­si­mu, omni­po­ten­te, bon Signo­re“ – „Höchs­ter, all­mäch­ti­ger, guter Herr“. Dar­in ver­birgt sich das Alpha und Ome­ga, das Chris­tus­mo­no­gramm. Sol­che Ent­de­ckun­gen fin­de ich umso fas­zi­nie­ren­der, als ich mir sicher bin, dass Fran­zis­kus den Auf­bau des Tex­tes nicht lan­ge und auf­wen­dig kon­zi­piert hat. Da steckt ganz viel Intui­ti­on, viel­leicht sogar etwas Mys­ti­sches drin.

Alle sind mit­ein­an­der ver­bun­den und auf­ein­an­der ange­wie­sen, alle sind letzt­lich Brü­der und Schwestern.

Hat das Gebet auch ande­re Theo­lo­gen, Lite­ra­ten und Künst­ler zu neu­en Wer­ken inspiriert?

Ja, in vie­len ver­schie­de­nen Dis­zi­pli­nen. Da ist zum einen der gro­ße Fran­zis­ka­ner-Theo­lo­ge Bona­ven­tura. Er leb­te im 13. Jahr­hun­dert und soll als Kind dem hei­li­gen Fran­zis­kus noch per­sön­lich begeg­net sein. Auch für Bona­ven­tura begeg­nen wir dem Schöp­fer durch die Geschöp­fe. Die Erstof­fen­ba­rung, so sagt er, ist nicht die Hei­li­ge Schrift, nicht die Mensch­wer­dung Got­tes, son­dern die Schöp­fung. Das ist seit jeher fran­zis­ka­ni­sche Theo­lo­gie. Über die Jahr­hun­der­te waren Fran­zis­kus und der Son­nen­ge­sang dann immer wie­der Inspi­ra­ti­on in Kunst- und Musik­ge­schich­te. Beson­ders die berühm­te Vogel­pre­digt von Fran­zis­kus‘ wur­de oft dar­ge­stellt. Zum 800. Geburts­tag schaff­te sie es sogar auf eine Brief­mar­ke der deut­schen Post. Das Got­tes­lob ent­hält meh­re­re Ver­to­nun­gen des Son­nen­ge­sangs. Ein sehr bekann­tes Lied ist auch das Lau­da­to Si von Win­fried Pilz. Wegen der Miss­brauchs­vor­wür­fe gegen sei­nen Kom­po­nis­ten wird es aktu­ell aber zurecht nicht mehr rezipiert.

Was macht für Sie per­sön­lich der Son­nen­ge­sang aus?

Ich möch­te nur ungern „die eine“ Bot­schaft her­aus­grei­fen, weil im Son­nen­ge­sang so viel steckt. Aber in der Gegen­wart drängt sich doch eine Bot­schaft auf: Der Mensch soll­te drin­gend von sei­ner Arro­ganz abrü­cken, sich als Kro­ne der Schöp­fung zu sehen. Unser Zeit­al­ter wird in der Wis­sen­schaft „Anthro­po­zän“ genannt: der Mensch ver­än­dert die Welt und Umwelt nach­hal­tig durch sei­ne Hand­lun­gen – aber lei­der nicht zum Posi­ti­ven, er zer­stört sie. Alles scheint sich um uns zu dre­hen: Wem gehö­ren das Was­ser und die Mee­re, wem das Fleisch der Tie­re? Wem gehört der Berg, wer hat die Luft­ho­heit? Alles wird als etwas betrach­tet, das zu unse­rer Ver­fü­gung ist. Aber wir mer­ken zuneh­mend: Die­se Rech­nung geht nicht auf. Wir haben über­zo­gen, wir zer­stö­ren unse­ren Pla­ne­ten. Der Son­nen­ge­sang lädt mich ein, mich selbst demü­tig wie­der als Teil der Schöp­fung zu ver­ste­hen. Nicht der Mensch ist im Zen­trum, son­dern Gott, der alle Geschöp­fe erschaf­fen und mit­ein­an­der ver­bun­den hat. Dar­aus ent­steht für uns eine Ver­ant­wor­tung, die wir drin­gend wahr­neh­men sollten.

Die Erstof­fen­ba­rung, so sagt Bona­ven­tura, ist nicht die Hei­li­ge Schrift, nicht die Mensch­wer­dung Got­tes, son­dern die Schöpfung.

Was heißt das kon­kret: Soll­ten wir alle vegan leben und Fri­days for Future unterstützen?

Der Son­nen­ge­sang ruft sicher nicht zu einer bestimm­ten poli­ti­schen Akti­on auf, aber er ist für mich schon ganz klar ein Auf­trag zum Nach- und Umden­ken. Und wer das  ange­sichts der von uns Men­schen selbst ver­schul­de­ten Pro­ble­me mit unse­rer Schöp­fung ernst­haft tut, der kommt nicht dar­an vor­bei, Kon­se­quen­zen zu zie­hen. Ob das dann Vega­nis­mus oder Vege­ta­ris­mus, ein bewuss­te­res Ein­kau­fen im Bio­la­den, Kon­sum­ver­zicht oder auch die Unter­stüt­zung von Fri­days for Future ist – da gibt es mehr als nur eine Option.

Das Inter­view führ­te Gabrie­le Höf­ling von katholisch.de. Dort ist das Inter­view zuerst erschienen. 

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