
FOTO: KAPUZINER/LEMRICH
BR. STEFAN WALSER
ist seit 2006 Kapuziner. Der Theologe ist Juniorprofessor für Fundamentaltheologie und christliche Identitäten an der Uni in Bonn. Er lebt im Kapuzinerkonvent in Frankfurt am Main.
Stigmata des Franziskus: „Die Wundmale stellen Christus ins Licht“
Vor 800 Jahren haben sich beim heiligen Franziskus auf dem Berg La Verna die Wundmale Jesu ausgeprägt. Was dieses Wunder auch im Jahr 2024 noch bedeuten kann, das sagt Br. Stefan Walser im Interview.
Was geschah im September 1224 mit Franz von Assisi auf dem Berg La Verna?
Erstmal nichts Spektakuläres. Franziskus hat sich zum Gebet zurückgezogen. Das hat er sehr oft getan im Jahreslauf. Er liebte einsame Orte hoch oben mit Aussicht über das weite Land. La Verna war so ein Ort, auf gut 1100 Meter an der Grenze zwischen Toskana und Umbrien. Es war um das Fest „Kreuzerhöhung“ also um den 14. September. Franziskus hat in unzähligen stillen Stunden das Kreuz Jesu meditiert. Und es sollen sich dann die Wundmale Jesu an seinem eigenen Leib, an seinen Händen, Füßen und an seiner Seite ausgeprägt haben. Er ist der erste Mystiker in der Kirche, von dem das bezeugt wird.
Warum schwieg Franziskus dazu?
Nun, das ist für mich erstmal sehr authentisch. Was er dort erfahren hat, lässt sich schwer in Worte fassen und erklären. Ich denke, er hat sich dem Gekreuzigten innerlich sehr nahe gefühlt, so nahe, dass die Verbindung zwischen Geist und Körper durchlässig geworden ist. Seitdem gab es unzählige psychologische, theologische und naturwissenschaftliche Erklärungsversuche. Franziskus selbst wollte daraus keine Sensation machen, wollte nicht, dass das als „Wunder“ vermarktet und instrumentalisiert wird. In einer seiner aufgeschriebenen Lebensweisheiten spricht Franziskus davon, dass man das Gute, das man von Gott erfährt, im Herzen bewahren und nicht geschwätzig herumerzählen soll. Er hat das offenbar selbst beherzigt.
Was haben diese Wunden für Franziskus bedeutet?
Franziskus ging es wohl damals nicht gut. Er hat sich auf den Berg La Verna zurückgezogen, weil er niedergeschlagen war. Es deutet einiges darauf hin, dass er eine Zeit erlebte, in der Gott ihm ganz fremd geworden ist. Interessanterweise haben aber diese Wundmale nicht Schmerz und Leid verursacht, sondern gelöst. Er fühlte sich getröstet und geliebt. Ein Bruder, Br. Leo hieß er, war damals mit ihm auf La Verna. Franziskus hat nach diesem Ereignis ein wunderbares Gebet gedichtet, um auch diesen Bruder zu trösten. Dieser Pergamentzettel ist bis heute erhalten. Darin lobt Franziskus Gott in den schönsten Farben und Tönen. Ich glaube ja, dass Franziskus den Sonnengesang, der nur wenige Monate später entstanden ist, nicht hätte schreiben können ohne diese dunkel-helle Intensivzeit auf La Verna.
Was bedeuten die Stigmata heute, 800 Jahre später?
So sehr Franziskus die Sache mit den Stigmata verbergen wollte, so sehr haben die Brüder und die Nachwelt sie herausgestellt. Der heilige Bonaventura zum Beispiel spielt in seiner Franziskusbiographie ständig darauf an. Die Kunstgeschichte ist voll von Franziskusdarstellungen, die ihn immer demonstrativ mit den Wundmalen zeigen. Für mich bezeichnen diese Wundmale seine Verbindung zu Jesus. Franziskus wollte nichts mehr als Jesus Christus, seine Lebensweise und seine Menschenliebe nachahmen. Ich finde es wichtig, nicht beim „Wunder der Wundmale“ stehenzubleiben. Sie stellen Christus ins Licht, nicht Franziskus.
Was bedeutet diese Begebenheit Dir ganz persönlich?
Ich verbinde mit La Verna ein wirklich bizarres Erlebnis. Als ich während des Noviziats das erste Mal dorthin gekommen bin, konnte ich wenig damit anfangen. Mir war fremd, Schmerz und Wunde so ins Zentrum zu stellen. Dann ist etwas echt Blödes passiert: Ich bin auf dem Berg La Verna gestolpert und gestürzt und habe mir die linke Schulter ausgekugelt. Da hatte ich die Schmerzen! Und ich konnte im Krankenhaus von Arezzo weiter über Leidensmystik nachdenken. Das ist lange her, erst vor wenigen Wochen habe ich mich zum ersten Mal seit diesem „Vorfall“ wieder auf den Berg La Verna getraut. Ich konnte dort das Kreuz meditieren, diesmal schmerzfrei. Und ich habe vor allem die atemberaubende Aussicht auf die unberührten Wälder der Toskana genossen, auf Gottes schöne Erde. Franziskus wusste wirklich, wo es schön war – auch wenn er das Dunkel in sich und das Leid der Menschen nie wegignoriert hat.
Sollte Leid mystifiziert werden?
Ich bin der Meinung, dass Wunden und Leid nichts Tolles sind. Das muss man so wenig haben wie ein ausgekugeltes Schultergelenk. Für meinen Glauben ist die Überzeugung zentral, dass Jesus am Kreuz das Leiden der Welt in Gott hineingetragen hat. Und dass trotz körperlichem und psychischem Leiden und trotz dem mir ganz sicher bevorstehenden Tod ein hoffnungsvolles Leben möglich ist. Und genau das hat Franziskus ja da oben erfahren. Die Wundmale haben ihm keine Schmerzen, sondern Trost zugefügt.
Interview: Tobias Rauser