

FOTO: KAPUZINER/LEDERSBERGER
Vier Länder, eine Provinz: „Die Grenzen weiten“
Die sogenannte „Deutsche Kapuzinerprovinz“ ist in den letzten Jahren geschrumpft und gewachsen gleichzeitig. Brüder aus vier Ländern sind in ihr vereint. Was bedeutet das für die gemeinsame Identität?
Genau 974 Kilometer. Das ist die Strecke, die Br. Rudolf Leichtfried zurücklegen muss, um von seinem Kapuzinerkloster in Irdning in der Steiermark (Österreich) zu seinen Mitbrüdern ins Kloster Clemenswerth im Emsland (Deutschland) zu fahren. Nicht viel weniger Kilometer (956) muss er zu seinen Brüdern im niederländischen Kloster in Velp zurücklegen. Eine Strecke mit vielen Kaffeestopps – etwa in den Klöstern in München, Frankfurt oder Münster. Br. Rudolf arbeitet mit Brüdern aus drei Ländern in einer neuen Kommission der Provinz daran, auf einer immer größer werdenden Fläche mit immer weniger Klöstern Beziehungen zu ermöglichen. „Wir Kapuziner in dieser Provinz haben eine gemeinsame Identität, über Ländergrenzen hinweg“, betont Br. Rudolf. „Wir haben alle einmal „Ja“ gesagt zu einem Lebensentwurf, der sich am heiligen Franz von Assisi orientiert. Dieses Feuer müssen wir hüten.“
Ohne Begegnung geht es nicht
Doch wie hütet man dieses Feuer ganz konkret? Eine komplizierte Aufgabe, für jeden Bruder individuell und auch für die Leitung der neuen Großprovinz. Br. Helmut Rakowski ist der gewählte Provinzial und für Niederlassungen in vier Ländern zuständig. Der Kapuziner betont, wie wichtig die persönliche Begegnung und transparente Kommunikation für das Zusammenwachsen der Provinz sind. „Für mich ganz konkret heißt das: Wir müssen noch stärker informieren und im Austausch sein. Dazu bin ich viel unterwegs, um vor Ort mit den Brüdern zu sprechen.“
Wir haben alle einmal „Ja“ gesagt zu einem Lebensentwurf, der sich am heiligen Franz von Assisi orientiert. Dieses Feuer müssen wir hüten“
Dass die Entfernungen nun weiter sind als früher in den regional organisierten Provinzen, das ist neu. Doch die Anzahl der Brüder und der Häuser war früher größer. Auch sind digitale Formate der Zusammenkunft und der Informationsverteilung spätestens seit Corona etabliert. Gestern wie heute gilt: „Die Begegnung ist das A & O, um die gemeinsame Berufung zu leben und das Interesse am Leben des anderen zu wecken“, ist Br. Helmut überzeugt.
Er nennt ein Beispiel: „Ich komme gerade aus Chile zurück. Dort leben noch drei Missionare aus unserer Provinz, die vor über 50 Jahren aus Bayern und den Niederlanden zum Volk der Mapuche aufgebrochen sind. Davon habe ich immer reden hören, aber erst jetzt habe ich einen Bezug zu diesen Brüdern und den Menschen dort. Wir müssen uns kennenlernen, besuchen, austauschen. Dann werden wir merken, dass wir in verschiedenen Kontexten eine gemeinsame Identität leben.“
Eine europäische Identität?
Jeder Bruder reagiert sehr individuell auf die neue Struktur der Provinz. Br. Julian Pfeiffer ist der jüngste Kapuziner der Provinz und studiert Theologie in Salzburg. Sein Noviziat hat er in Italien verbracht. „Die Frage nach der Identität beschäftigt mich schon seit Schulzeiten, sie ist wichtig“, sagt der geborene Schwabe. „Ich fühle mich als Salzburger Kapuziner. Nicht als Deutscher oder Österreicher.“
Für den jungen Ordensmann lösen sich alte Konstrukte und Provinztraditionen auf – was dazu führt, dass sich die Identität erst einmal am jeweiligen Ort bildet. Nichtsdestotrotz hält Br. Julian die Frage nach der europäischen Identität für wichtig: „Es geht hier um die grundlegende Frage nach meiner Berufung“, sagt er. „Denn so unterschiedlich alle Kapuziner sind, so sind wir doch gemeinsam mindere Brüder.“ Dass die Klöster in Belgien und den Niederlanden genau wie das Kloster in Salzburg zur gleichen Provinz gehören, kann für den jungen Ordensmann auch ein Vorteil sein. Denn Br. Julian plant, sich für ein Erasmus-Semester in Belgien zu bewerben – unter anderem, um dort eine neue Sprache zu lernen. „Nicht zuletzt kann ich dort auch die Frage klären, ob ich mir vorstellen kann, in diesem Teil unserer Provinz zu leben“, sagt er.
So unterschiedlich alle Kapuziner sind, so sind wir doch gemeinsam mindere Brüder“
Eine europäische Erfahrung macht auch Br. Harald Weber, der als Ausbilder im Noviziat in Tortona als einziger Deutscher in einem italienischen Ausbildungsteam arbeitet. Er beschäftigt sich intensiv mit der Frage des Zusammenwachsens in Europa. „Eine europäische Identität ist elementar. Doch so etwas lässt sich nicht verordnen, man wächst da hinein“, sagt er. Er persönlich schätzt die neue Provinzgröße. „Ich muss klar sagen: Für mich ist das eine Bereicherung, ich mache wunderbare Erfahrungen in der vielfältigen Brüdergemeinschaft“, sagt Br. Harald. Dennoch sieht auch er wachsende Herausforderungen, die einmal in der Leitung des immer komplexeren Gebildes und auf der anderen Seite in der fehlenden regionalen Beheimatung einzelner Brüder liegen (mehr dazu hier im Interview).
Neue Konstellationen, neue Dynamiken
Dass der Mensch Veränderungen gegenüber häufig erstmal kritisch gegenübersteht, das macht es nicht einfacher. „Neues macht oft Angst. Auch uns Kapuzinern. Dabei geht es vor allem um Sicherheit, das ist nicht unbedingt eine Frage des Alters“, berichtet Br. Helmut. Der Provinzial merkt auf seinen Reisen aber auch, dass das Zusammenfügen der verschiedenen Regionen durchaus neue Dynamiken hervorbringt. „Gewohntes wird plötzlich hinterfragt, neue Teams erarbeiten neue Lösungsansätze. Wir erleben so etwas wie eine erweiterte Schwarmintelligenz. Das ist ja die Chance einer Ordensgemeinschaft: Wir ziehen gemeinsam an einem Strick.“
Dieser Strick mit den drei Knoten verweist auf das Verbindende: das gemeinsame „Ja“ zum Leben als Minderbruder. Br. Rudolf aus Irdning formuliert es so: „Kapuziner zu sein bedeutet für mich, ein Gefährte des heiligen Franz von Assisi zu sein. Ich bin fasziniert von der grenzenlosen Geschwisterlichkeit dieses Mannes, die alle Grenzen weitete.“
Text: Tobias Rauser