
FOTO: KAPUZINER/RAUSER
BR. MARINUS PARZINGER
lebt als Kapuziner am Wallfahrtsort Altötting in Bayern. Dort ist er für die Kapuziner-Gemeinschaft verantwortlich. Br. Marinus wurde 1963 in Freilassing geboren und trat 1987 in den Kapuzinerorden ein. 1994 wurde er zum Priester geweiht.
„Viktrizius Weiß ist ein Vorbild“
Die Kapuziner Viktrizius Weiß und Konrad von Parzham kannten sich persönlich. Ein Gespräch mit Br. Marinus Parzinger über die Verbindung zwischen den Ordensleuten und den Seligsprechungsprozess von Viktrizius Weiß.
In welcher Zeit lebte der Kapuziner Viktrizius Weiß?
Es war eine Zeit des Um- und Aufbruches, die von Säkularisierung, einer Krise in Kirche und Orden und der industriellen Revolution geprägt war. Das alles hat gesellschaftlich sehr viel in Bewegung gebracht. Bayern war zu der Zeit ländlich geprägt, es gab viele kinderreiche Familien. Viktrizius Weiß hatte es in dieser Zeit eher gut erwischt: Sein Vater war Arzt, der insgesamt 15 Kinder hatte. Einige sind im Kindesalter verstorben, sechs haben studieren können und eine gute Schulbildung erhalten. Eine seiner Schwestern war Ordensoberin. Viktrizius‘ Mutter war sehr begabt und präsent im Leben des jungen Viktrizius. Sie hat ihm das Religiöse vermittelt.
Waren Politik und die Fragen der Zeit prägend für seinen Werdegang?
Es gibt da recht wenig in den Quellen. Aber er war schon sehr auf das Kloster fokussiert. Er hat sich der Welt nicht völlig entzogen, aber er hatte – ähnlich wie Bruder Konrad – einen Blick fürs Transzendente. Dennoch muss man sagen: Er muss schon auch sehr realistisch und praxisorientiert gewesen sein, denn sonst hätte er seine Arbeit als Provinzial nicht so gut machen können. Er hat die Dinge gut abgewogen, hat zugehört. Er war ein nachdenklicher Mensch, der niemanden in Schubladen gesteckt hat, in keiner Weise polarisierend. Sein Ansatz für Veränderung war immer: Ich will es vorleben, durch meine Haltung etwas ins Positive wenden.
Die Entscheidungen, die er in der Leitung des Ordens getroffen hat: Waren diese Entscheidungen Antworten auf soziale Fragen der Zeit?
Wie immer in Leitungsämtern, kommt ja auch viel auf einen zu, nicht alles ging von ihm aus. Dennoch hat er wichtige Dinge in die richtige Bahn gebracht, etwa das Kinderhilfswerk der Kapuziner, das sogenannte Seraphische Liebeswerk, aber auch Pfarrei-Gründungen wie in München. Viele seiner Entscheidungen wirkten gut und richtig in die Gesellschaft hinein. Es war kein Zufall, dass der Orden unter seiner Verantwortung deutlich wuchs.
Viktrizius Weiß hat in der gleichen Zeit, zum Teil am gleichen Ort, gelebt wie der heilige Bruder Konrad. Gibt es zwischen den beiden eine dokumentierte Verbindung aus Altötting?
Ich habe den Eindruck, dass sich die beiden vom Typ gar nicht so unähnlich waren. Das betrifft vor allem die Entschlossenheit, mit der sie ihr Kapuzinerleben gelebt haben. Natürlich waren sie von der Herkunft verschieden, der eine kam aus einer Arztfamilie und besaß eine entsprechend gute Ausbildung, der andere war Landwirt und Bauer. Beide kamen aus Niederbayern und sie haben gemeinsam in Altötting gelebt, als Viktrizius Weiß Provinzial war. Man weiß von Viktrizius sicher, dass er Br. Konrad schätzte, das ist dokumentiert. Umgekehrt weiß man nicht, was Br. Konrad von seinem Provinzial hielt, aber ich denke, dass Wertschätzung und Achtung auf Gegenseitigkeit beruht haben.
Was verbindet die beiden noch?
Beide haben das schlichte Leben als Kapuziner gewählt. Sie hatten beide einen Blick, der über den Alltag hinausgeht, und das Transzendente und das Heil des Menschen in den Fokus nimmt. Beide Ordensleute waren keine Mitläufer, sondern sie lebten das, was sie für sich verstanden hatten, mit aller Kraft, radikal und entschieden. Ihr Gottvertrauen war stark.
Heißt es eigentlich Pater Viktrizius oder Bruder Viktrizius?
Bei uns Kapuzinern ist es üblich, dass wir alle „Brüder“ sind. Es gibt keinen Unterschied zwischen Brüdern mit Priesterweihe und Brüdern mit anderen Berufungen. So wollte es auch der heilige Franz von Assisi. Für die meisten Menschen, und auch für mich, das gebe ich zu, ist „Pater Viktrizius“ gewohnter, denn in der damaligen Zeit war die Bezeichnung „Pater“ für einen Ordenspriester üblich. Das „Bruder Viktrizius“ irritiert da etwas. Aber ich bin auch sicher: Viktrizius Weiß war bescheiden, demütig und brüderlich auf seinem Weg. Er hätte vermutlich kein Problem damit gehabt, wenn er mit „Bruder Viktrizius“ angesprochen worden wäre.
Ist dieser Mitbruder für Sie ein Vorbild?
Das ist eine schwere Frage, denn sein Leben liegt 100 Jahre zurück. Es war eine andere Zeit. Dennoch gibt es manches, das mir vertraut vorkommt und beispielhaft ist, auch für mich ganz persönlich. Er hat als Diözesanpriester mit guter Promotion und Karrierechancen entschieden, ein einfaches Leben zu wählen. Das ist eine klare Entscheidung, die er dann zu hundert Prozent gelebt hat. Er war sehr franziskanisch unterwegs, kein abgehobener Akademiker. Ich schätze ihn für seinen Mut, er war konsequent in seinen Handlungen als Provinzial. Er hat versucht, gerecht zu sein, hat sich sehr im Urteil über andere zurückgenommen. Er war radikal und mutig, ging an die Wurzel. Da muss ich ganz persönlich sagen: Ich besitze diese Konsequenz und Klarheit nicht unbedingt, da dient er mir schon zum Vorbild.
Gibt es auch etwas, das Ihnen Schwierigkeiten bereitet?
In seinem Wesen gibt es da nichts. Aber natürlich gibt es in seinem geistlichen Tagebuch schon auch Passagen, die sind deutlich aus einer anderen Zeit sind. Da muss ich mich anstrengen, das für mich ins Hier und Heute zu übersetzen.
Viktrizius Weiß war „ein ehrwürdiger Diener Gottes“? Was bedeutet das eigentlich?
Dieser Begriff ist Teil des Seligsprechungsprozesses, der zurzeit bei ihm läuft. So ein Prozess ist nichts, das geplant oder gemacht wird, sondern er startet im Volk Gottes. Er startet durch die Verehrung einer Frau oder eines Mannes durch die Menschen vor Ort. In diesem Prozess geht es darum, zu prüfen, ob jemand zum Segen für andere geworden ist. Ob er etwas von Gottes Güte in diese Welt getragen hat. Viktrizius Weiß war geschätzt als geistlicher Begleiter und Beichtvater, er war sehr bekannt im Volk, auch der Bischof war schon zu Lebzeiten auf ihn aufmerksam geworden. Aus der Bevölkerung kam nach der Beerdigung in Vilsbiburg der Wunsch, ihn vom Klosterfriedhof zu holen und in der Kirche beizusetzen. Das wurde vom Bischof erlaubt und so begann der Prozess. Es wurden eine historische Gruppe eingesetzt, sein Leben beschrieben und alle Dokumente gesammelt.
Was ist Ziel dieser Kommission?
Sie stellt den Tugendgrad fest. Es geht nicht darum, dass der Mensch keine Fehler machen darf, sondern darum, dass er sich erfolgreich bemüht hat, Glaube, Hoffnung und Liebe zu leben. Das ist ein festgelegtes Verfahren, viele, die in kannten, wurden befragt. So entsteht ein Bild. Durch den Krieg wurde die Arbeit unterbrochen, am Ende liegt alles beim Papst. Dieser bestätigte im Jahr 1979 Viktrizius Weiß den sogenannten „heroischen Tugendgrad“. Deswegen darf er nun „ehrwürdiger Diener Gottes“ genannt werden. Das ist alles die Vorarbeit für eine mögliche Selig- oder Heiligsprechung.
Nun braucht es ein Wunder.
So ist es. Das ist alles klar geregelt, mit medizinischen Gutachten, Pro und Contra. Am Ende entscheidet wieder der Papst: Ist eine Seligsprechung nun dran? Passt derjenige in die Zeit? Inwieweit ist er ein Vorbild? Bei Viktrizius Weiß gibt es bisher noch kein durch diesen Prozess bestätigtes Wunder.
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Seligen oder einem Heiligen?
Es braucht ein Wunder, um eine Seligsprechung zu erreichen, für eine Heiligsprechung ein weiteres Wunder. Vom Prozess und der Vorbereitung gibt es also gar keinen großen Unterschied, es geht eher um die Bekanntheit. Ein Seliger hat regionale Bedeutung und wird üblicherweise vor Ort seliggesprochen. Heilige werden in Rom heiliggesprochen und gelten als Vorbilder für die Weltkirche.
Was sind Heilige für Sie?
Heilige sind für mich Menschen, durch die es anderen leichter wird, an Gott zu glauben. Sie bringen eine Facette ins Leben, in den Glauben. Mit ihrer Art, wie sie gelebt haben, machen sie das Christliche konkreter. Menschen streben nach Glück, sie versuchen das Richtige zu tun. Die Kirche will durch Selige und Heilige Vorbilder aufzeigen, die Gott nahe sind und eine Brücke zu Gott sein können.
Wie blicken Sie auf den Seligsprechungsprozess von Viktrizius Weiß?
Ich habe einige Berührungspunkte zu Heiligen, die mir viel bedeuten. Ich feiere sie gerne, weil ich glaube, dass der Glaube eine Konkretheit bekommt, wenn man sich konkrete Beispiele ins Leben hereinholt. Wir brauchen Orientierung. Viktrizius Weiß war einer, der nicht polarisiert hat, der die Menschen gesehen hat und sehr bescheiden lebte. Das ist für mich zeitgemäß. Und damit ist er heute schon – auch ohne Seligsprechung – für mich ein Vorbild.
Das Interview führte Tobias Rauser
In der im August erscheinenden Sommerausgabe von cap!, dem Magazin der Kapuziner, gibt es zum 100. Todestag von Viktrizius Weiß eine große Sonderstrecke und viele weitere Informationen zu Viktrizius Weiß.
Auf unserer Website finden Sie auch einen ausführlichen Lebenslauf von Viktrizius Weiß.