

FOTO: Andrea Obele
BR. MARINUS PARZINGER
Br. Marinus Parzinger wurde 1963 geboren, ist seit 1987 Kapuziner und seit 1994 Priester. Er leitet die Gemeinschaft im Kloster St. Konrad. Er ist auch Präses des Seraphischen Liebeswerkes in Altötting, des Kinderhilfswerks der Kapuziner.
Vom Bäckerlehrling zum Kapuziner: Br. Marinus Parzinger
Nach seiner Bäckerlehre führt Br. Marinus Parzingers Weg ins Kloster und als Präses an die Spitze der Stiftung SLW Altötting, des Kinderhilfswerkes der Kapuziner. Eine Reportage von Andrea Obele.
Ich treffe Br. Marinus Parzinger beim Austeilen der Fastensuppe am Aschermittwoch. Während er gekonnt das Brot zur Suppe aufschneidet, erzählt er den anwesenden Kindern von seiner Bäckerlehre. Später, beim Interview, gibt der Präses des SLW Altötting (das Kinderhilfswerk der Kapuziner) Einblick in seinen Werdegang. Denn er ist als „Spätberufener“ erst mit 24 Jahren in den Orden eingetreten und mit 31 zum Priester geweiht worden.
„Ich bin in einer ganz normalen, religiösen Familie mit sechs Geschwistern auf einem Bauernhof aufgewachsen“, erzählt der Kapuziner seine Lebensgeschichte. „Wir wohnten direkt neben dem Pfarrhof, mein Onkel war Kapuziner, meine Tante lebt im Kloster. Es gibt also eine gewisse Vorprägung. Und doch war ich zunächst auf einem ganz anderen Weg. Ich wollte arbeiten, selbstständig sein, Geld verdienen. So bin ich Bäcker und Konditor geworden.“ Doch die Arbeit als Bäcker erfüllte ihn auf Dauer nicht. „Mit der Zeit kamen Fragen auf – nach dem Sinn, nach dem, was bleibt. Ich habe angefangen zu lesen“, blickt der 62-Jährige zurück, „mich mehr mit Glauben, Philosophie und Lebensfragen auseinanderzusetzen.“
Prägend waren für den jungen Mann das Franziskusfest 1982 im Kloster seiner Tante und zwei Jahre später der erste Besuch in Assisi: „Dieser Ort und der heilige Franziskus – da ist etwas aufgegangen in mir, das mich nicht mehr losgelassen hat. Dann war da noch das Vorbild des Onkels und die Kapuziner, die nicht weit von meinem Geburtsort wirkten. Der Glaube war für mich einfach attraktiv.“
Franziskus als Wegweiser
Für Br. Marinus ist Franziskus ein Vorbild – eine Gestalt mit besonderer Wirkung: Seine Friedensvision, seine Wandlung durch Begegnungen, seine Nähe zu den Armen. Und sein Bild der Natur, das in seinem „Sonnengesang“ Ausdruck findet: „Franziskus spricht darin die Natur als Gegenüber an – in einer Welt, in der wir Menschen sie oft als etwas Feindliches behandeln. Wir beuten sie aus, nehmen, was wir kriegen – und wenn wir so weitermachen, zerstören wir unsere eigenen Lebensgrundlagen. Franziskus war kein Romantiker. Er lebte unter einfachsten Bedingungen – ohne Heizung, oft in Häusern oder Höhlen. Sein Leben war nicht bequem, sondern konsequent. Und gerade deshalb glaubwürdig.“
Führen mit franziskanischem Kompass
Diese Glaubwürdigkeit lebt Bruder Marinus heute als Präses der Stiftung SLW Altötting, als Vorsitzender der Vertretervereinigung der SLWs in Europa und als Guardian des Kapuzinerordens in Altötting weiter. In diesen Rollen trägt er Verantwortung, wie man sie sonst eher aus der Wirtschaft kennt – vergleichbar mit der eines Top-Managers. Wie gelingt es ihm, das Spirituelle mit den praktischen Anforderungen des Alltags zu verbinden? „Ich sehe das nicht als Gegensatz“, sagt er. Ob er eine Entscheidung trifft, ein Gespräch führt, ein Projekt unterstützt oder eine Veränderung anstößt – stets geschieht das aus einer inneren Überzeugung heraus. „Und die kommt aus dem Franziskanischen“, sagt der 62-Jährige. „Das Miteinander im Blick haben, Menschen ernst nehmen, Strukturen schaffen, die helfen – nicht nur die, die einfach nur funktionieren.“
Menschen Sinn geben
Fragt man den Kapuziner nach seiner wichtigsten Aufgabe, denkt er kurz nach. „Vieles greift ineinander“, sagt er schließlich. „Aber wenn ich eine benennen müsste, dann diese: Ich will nicht einfach leiten. Ich will helfen, den franziskanischen Geist im SLW lebendig zu halten. Nicht als Symbol oder Satz, sondern als gelebte Praxis. In einer Zeit, in der alles schneller, komplexer, unsicherer wird, ist es entscheidend, dass Menschen wissen, warum sie tun, was sie tun – und dass sie das als sinnvoll erleben. Das betrifft Mitarbeitende ebenso wie die von uns betreuten Kinder und Familien.“
In diesem Zusammenhang gäbe es viele Begegnungen, die sich ihm eingeprägt haben – Kinder, die unter schwierigsten Bedingungen aufwachsen und dennoch über eine erstaunliche innere Stärke verfügen: „Das sind Situationen, die mir zeigen, wie wichtig es ist, dass wir als Gesellschaft, als Einrichtung, als Einzelne für unsere Kinder und Jugendlichen da sind.“
Aus kleinen Kraftquellen schöpfen
Neben seinen vielfältigen Aufgaben in der Stiftung ist er auch Guardian der Gemeinschaft im Kloster St. Konrad in Altötting, kümmert sich dort um seine Brüder und alle anfallenden Aufgaben im Kloster. Zeit zur Entspannung bleibt dabei wenig.
„Ich achte mittlerweile bewusst darauf: Ausreichend Schlaf, kleine Auszeiten im Alltag, Momente der Stille, Lesen, Musik, ein Spaziergang im Wechsel der Jahreszeiten – solche einfachen Dinge geben mir Kraft“, berichtet Br. Marinus über seine Kraftquellen. „Was mir auch guttut: Rituale. Etwas so Einfaches wie eine Segnung kann viel auslösen – für andere, aber auch für mich selbst. Es ist ein Moment des Innehaltens. Je achtsamer ich mit diesen kleinen Quellen umgehe, desto besser kann ich auch für andere da sein.“ Vor allem schöpft der Priester und Präses seine Kraft aber aus dem Glauben – und dem Wissen, dass er nicht allein ist: „Mitarbeitende, Mitbrüder, Freunde. Ich bin nicht allein. Wir tragen gemeinsam Verantwortung. Das macht viel aus.“
Selbstlos für andere da sein
Wer Bruder Marinus zuhört, spürt schnell: Hier spricht jemand, der geerdet ist – und zugleich die Horizonte seines Gegenübers weitet. Im Gespräch taucht man in seine Gedankenwelt ein, die zum Nachdenken anregt und nicht selten etwas in einem selbst in Bewegung bringt. Zuhören, einfügen, arbeiten, reflektieren, Krisen als Teil des spirituellen Weges akzeptieren – das sind Fähigkeiten, die Bruder Marinus charakterisieren.
Nach getaner Arbeit radelt der Kapuziner manchmal abends ohne Licht nach Hause – nicht aus Nachlässigkeit, sondern weil andere Dinge wichtiger waren, als das Rad zu reparieren. Das sagt viel aus über Bruder Marinus: „Ich erfülle meine Aufgaben nicht für mich, nicht für Geld – sondern weil ich überzeugt bin, dass es Sinn macht, eine Bedeutung hat, die weit über meine Zeit reicht.“
Text: Andrea Obele
Diese Reportage ist zuerst im „Kinderfreund 2/2025“, dem Magazin des SLW Altötting, erschienen.