
FOTO: Kapuziner/Claudia Göpperl
BR. PAULUS TERWITTE
ist seit 1978 Kapuziner und lebt in München St. Anton. Der Ordensmann, Priester und Buchautor beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema „Künstliche Intelligenz“.
„Wir stehen vor einem revolutionärem Wandel“
Welche Chancen bietet die Künstliche Intelligenz (KI) für Kirche und Gesellschaft? Ein Gespräch mit Br. Paulus Terwitte über KI-Seelsorge, die Kreativität Gottes und die Angst vor der neuen Technik.
Br. Paulus, schreiben Sie Ihre Predigten eigentlich noch selber?
Br. Paulus Terwitte: Ich schreibe meine Predigten nie, sondern für mich ist Predigt menschliche Begegnung. In dieser menschlichen Begegnung entsteht dann ein Kreativraum, in dem durch die Mitwirkung der Zuhörenden in ihrer Gegenwart das Wort der Predigt entsteht. Es ist ein Körper-Seele-Geist-Ereignis. Ich versuche in einer Predigt, Menschen im Hier und Jetzt mit der Spannung und dem Leben der Heiligen Schrift zusammenzubringen.
Hintergrund meiner Frage war, dass Künstliche Intelligenz heute schon in der Lage ist, in Sekundenschnelle druck- und sprechfähige Texte, etwa zu Psalmen oder Bibelstellen, zu produzieren.
Ja, so ist das. Erst einmal muss man aber sagen: die sogenannte KI lebt von einer Ansammlung von Text-Daten in einer Black Box. Mit diesem Datenmaterial wird durch einen Rechenprozess ein Ergebnis produziert. Etwas Arithmetisches. Ob das richtig oder falsch ist, zählt nicht. Es ist geistlos. Auch wenn es sich noch so vernünftig anhört.
KI kann mir als Seelsorger helfen, etwa mit guten Formulierungen im Seelsorgekontext
Was kann eine KI, was nicht?
Die Künstliche Intelligenz ist das Ergebnis des menschlichen Forschergeistes. Beeindruckend, was damit geleistet werden kann. Alles aber, was ich im Hier und Heute zu sagen habe, was ich mit meinem Gewissen prüfen muss, was ich auf Zuhörerinnen und Zuhörer vor mir formuliere: Das kann keine KI leisten, sondern nur ich als Mensch mit denen, denen ich begegne. Die KI ein interessantes Werkzeug, wie ein riesiger Zettelkasten, der in anderen Kontexten entstandene Sätze enthält.
Darf eine KI die Heilige Schrift interpretieren?
Sie kann gar nicht interpretieren. Sie ist eine Rechenmaschine. Ich gebe aber zu: So manches, was ich an Interpretation höre zu Glaube und Bibel, kommt mir fast ebenso aus Altem zusammengesucht vor, als würden Zettelkasteninhalte nur in neuer Mischung vorgetragen. Dazu gibt es ja auch böse Vorlagen, etwa Weihnachts- oder Osterbingo: Allerweltsformulieren, die beliebig gemischt werden können, und es kommt irgendwas raus, was irgendwie österlich oder weihnachtlich klingt.
In der Seelsorge gibt es die Diskussion, ob KI-Bots einfache seelsorgerische Unterstützung geben könnten. Die KI wäre 24 Stunden erreichbar, kann Glaubens- und Wissensfragen beantworten – und auch zeitnah klinische Diagnosen und Hilfestellungen geben.
Ja, ich glaube schon, dass ein ChatBot eine Anlaufstelle sein kann. Dann muss es aber weitergehen. Es muss ein Stopp eingebaut werden. Das kann die KI nicht selbst, die kombiniert unendlich weiter. Sie kann rasche Anregungen und Hilfen geben in einer schlimmen Krise. Dennoch: Das Wertvolle an einem Brief ist ja nicht das Wort auf dem Papier. Sondern wertvoll werden die Zeilen durch den, der es abgeschickt hat. Insofern formuliert die KI natürlich aus guten Formulierungen neu, inklusive guter Tipps. Ob der Andere das technisch zusammengestückelte aber dann aufnimmt, das ist die Frage. Denn es fehlt die Beziehung. Deshalb würde ich die Frage so beantworten: KI kann mir als Seelsorger helfen, etwa mit guten Formulierungen im Seelsorgekontext, damit ich schnell und einfach antworten kann. Aber ich muss es autorisieren, damit es aus meinem Herzen kommt.
Wie so vieles ist die KI Ausdruck der Kreativität Gottes
Kann die KI die Beichte abnehmen?
KI kann keine Beichte abnehmen, natürlich nicht. Die KI kann ja auch nicht küssen oder streicheln und kann auch keine Liebeserklärung machen. Das alles geht nur von Mensch zu Mensch.
Wie können Seelsorgende künstliche Intelligenz nutzen?
Die KI hilft dabei, einen Gottesdienst vorzubereiten. Sitzungen zu planen. Protokolle zu erstellen. Workflows zu präzisieren. Ganz konkret auf eine Zielgruppe hin, in einem speziellen Kontext. Das gab es bis jetzt so noch nicht. Ideen sammeln, Inhalte strukturieren, zielgruppengerecht formulieren. Spannend!
Nutzt die Kirche das Potenzial der KI ausreichend?
Ich höre von Vorbehalten. Das erinnert mich daran, wie in meinen jungen Jahren im Kloster diskutiert wurde: Darf man ein Faxgerät haben an der Klosterpforte? Später die Fragen nach Computern zur Eigennutzung, Internet. Ein Mitbruder sagte damals: „Das setzt sich sowieso nicht durch.“ Ich bin angenehm überrascht, wie präzise etwa Papst Franziskus sich abwägend zu dieser neuen Technik äußert.
Die Arbeitswelt wird sich verändern, das löst Ängste aus.
Das verstehe ich. Wir stehen vor einem revolutionären Wandel. Dinge, die früher 70 Leute in der IT-Abteilung eines Bistums gemacht haben, werden in Zukunft von nur 3 Leuten erledigt, weil sich die Systeme radikal verändern werden. Wenn ich das so ausspreche, dann ängstigt mich das auch. Viele Menschen werden arbeitslos werden. Und doch auch neue Arbeit finden, wenn sie sich umstellen. Dabei kann die KI helfen. Zum Beispiel beim Selbstlernen.
Verschärft die KI den „Digital Divide“, also die Spaltung der Gesellschaft in die, die mit Technik umgehen können und die, die zurückbleiben?
Wissen Sie, warum ich mich mit KI überhaupt beschäftige? Weil ich aus meiner franziskanischen Grundhaltung möchte, dass mit der KI, die Gott ja offensichtlich dem menschlichen Geist ermöglicht hat, den Armen gedient wird. Auch diese Technik ist ja nur dann wirklich etwas wert, wenn wir es schaffen, damit den Armen und Abgehängten zu dienen. Sie teilhaben zu lassen an der Gesellschaft. Und da man mit KI ganz viel selbst erreichen kann, hoffe ich, mit dazu beizutragen, dass diese auch bald dieses Werkzeug nutzen können.
Passt KI zu franziskanischen Werten?
Wie so vieles ist die KI Ausdruck der Kreativität Gottes. Der heilige Paulus hat mit Papyrus seine Botschaft verkündet, damals ein sehr modernes Medium, dann kamen die Druckmaschinen, dann das Internet. Und auch KI ist dafür da, damit wir den Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung voranbringen.
Wer ist denn da der Treiber? Große Konzerne haben eher ihr Geschäftsmodell im Sinn, im Zweifel mit Blick auf steigende Effizienz. Sprich: Wer bringt mit KI gesellschaftliche Themen nach vorn?
Das ist die entscheidende Frage. Ich denke, dass hier vor allem die Akteure der sozialen Arbeit gefragt sind. Sie müssen sich fragen, wie KI dazu führen kann, dass Menschen selber Schritte aus der Armut und Abhängigkeit entwickeln können. Ich sehe im AI-Act, der Gesetzgebung der Europäischen Union zur KI, eine wichtige Antwort auf die Gefahr, dass diese Technik ungezügelt genutzt wird.
Niemand darf sich als „Gatekeeper“ aufspielen, der anderen das Wissen vorenthält
Ein wichtiges Thema ist die Haftung: Wer ist am Ende verantwortlich?
Der Mensch muss verantwortlich bleiben. Gesellschaftlich gesehen die Politik. Ob Predigt, Versicherungsabschluss oder Waffeneinsatz: Die KI darf nie entscheiden, sondern ein Mensch muss am Ende stehen, der verantwortet und den man zur Verantwortung ziehen kann.
Beim Thema Waffen wird argumentiert: Die KI macht weniger Fehler.
Das stimmt, denn mit ihrer Hilfe können viel mehr Faktoren berechnet werden. Aber Entscheidungen kann sie nicht fällen. Es bleibt am Ende bei einem Einzelnen oder einer Gemeinschaft zu beurteilen: Wenn das nun die Fakten sind – dann darf oder muss ich so handeln. Nach bestem Wissen und Gewissen.
Welche Bereiche werden besonders von Veränderung betroffen sein?
Auf jeden Fall die Bildung. Es gibt erste Hochschulen in Deutschland, die keine Bachelor-Arbeit mehr annehmen und die wieder zurückgekehrt sind zu mündlichen Prüfungen. Die sagen sich: Es ist Quatsch, einen Text anzunehmen, wo man schon vorher weiß, das haben die Studierenden nicht selbst geschrieben. Neben dem Bildungssektor werden wir kurzfristig sicher im Verwaltungsbereich die größten Veränderungen sehen. Innerhalb weniger Monate kann sich dort alles ändern. Die analytische KI wird in der Medizin und auch im Bereich der Rechtswissenschaften vieles auf den Kopf stellen. Von dem, was Fertigungsprozesse und Informationsprozesse angeht, mal ganz zu schweigen.
Was ist wichtig in diesem Change-Prozess
Wir müssen uns miteinander als KI-Lerngemeinschaft begreifen. Niemand darf sich als „Gatekeeper“ aufspielen, der anderen das Wissen vorenthält. Wenn ich etwas herausgefunden habe, dann teile ich es. Das finde ich interessant: Wir kommen dazu, einander mehr zu brauchen. Ich traue mich zu sagen, wo ich Fehler gemacht habe. Lerne vom Anderen. Das ist ein wichtiger franziskanischer Ansatz, der auf Verbindung zielt. Kannst Du mich unterstützen, kannst Du mir weiterhelfen? Wenn wir darüber wieder mehr ins Gespräch kommen, dann wäre die KI sogar ein echter Segen für alle.
KI kann keine Beichte abnehmen, natürlich nicht
Werden wir in Zukunft noch Sprachen lernen?
Ich glaube an die menschliche Begegnung. Ich bin ja auch Aussprachelehrer, ich weiß um die Bedeutung des sogenannten „Soundings“. Mir sind die Möglichkeiten etwa der Simultanübersetzung bewusst, aber da es mir auch um die menschliche Letztverantwortung geht, würde ich sagen: Sprachen lernen lohnt sich weiterhin. Sprache ist Kultur und Welten-Öffnen. Das ist kein mathematischer Vorgang.
Wird in Zukunft der Bruder-Paulus-Avatar, gespeist mit Ihrer Sprache und Ihren Bewegungen und den Impulsen der Vergangenheit, den Tagessegen sprechen?
Natürlich habe ich mich schon damit beschäftigt. Auch mit der Möglichkeit, den täglichen Impuls zum Evangelium in viel mehr Sprachen zu veröffentlichen. Aber einen Avatar von mir? Da bin ich skeptisch. Ich habe immer gesagt: Wo Bruder Paulus drauf steht, soll auch Bruder Paulus drin sein. Und das wäre in diesem Szenario ja nur noch indirekt der Fall.
Zum Abschluss habe ich noch einen Satz von Chat-GPT. Wenn man ihn fragt: Wer ist Bruder Paulus? Dann kommt die Antwort: „Bruder Paulus ist eine einflussreiche Figur in der deutschen Öffentlichkeit, die es versteht, traditionelle religiöse Werte in einem modernen Kontext zu vermitteln und dann bei Menschen unterschiedlichster Hintergründe anzusprechen.“ Passt das?
Das will ich nicht beurteilen. Mein Ziel ist: Ich möchte meinen christlichen Glauben in einem modernen Kontext vermitteln. Ich bin Missionar und bleibe das auch. Es geht mir darum, dass Gerechtigkeit und Frieden vorangebracht werden. Das ist keine Sache der Mathematik und der KI, sondern der Begegnung. Ich will mich zu Menschen hinbegeben. Wenn auch KI dabei hilft: Umso besser!
Das Interview führte Tobias Rauser