Interview

FOTO: Kapuziner/Claudia Göpperl

BR. PAULUS TERWITTE

ist seit 1978 Kapu­zi­ner und lebt in Mün­chen St. Anton. Der Ordens­mann, Pries­ter und Buch­au­tor beschäf­tigt sich seit vie­len Jah­ren mit dem The­ma „Künst­li­che Intelligenz“.

30. Okto­ber 2024

„Wir stehen vor einem revolutionärem Wandel“

Wel­che Chan­cen bie­tet die Künst­li­che Intel­li­genz (KI) für Kir­che und Gesell­schaft? Ein Gespräch mit Br. Pau­lus Ter­wit­te über KI-Seel­sor­ge, die Krea­ti­vi­tät Got­tes und die Angst vor der neu­en Technik. 

Br. Pau­lus, schrei­ben Sie Ihre Pre­dig­ten eigent­lich noch selber?

Br. Pau­lus Ter­wit­te: Ich schrei­be mei­ne Pre­dig­ten nie, son­dern für mich ist Pre­digt mensch­li­che Begeg­nung. In die­ser mensch­li­chen Begeg­nung ent­steht dann ein Krea­tiv­raum, in dem durch die Mit­wir­kung der Zuhö­ren­den in ihrer Gegen­wart das Wort der Pre­digt ent­steht. Es ist ein Kör­per-See­le-Geist-Ereig­nis. Ich ver­su­che in einer Pre­digt, Men­schen im Hier und Jetzt mit der Span­nung und dem Leben der Hei­li­gen Schrift zusammenzubringen.

Hin­ter­grund mei­ner Fra­ge war, dass Künst­li­che Intel­li­genz heu­te schon in der Lage ist, in Sekun­den­schnel­le druck- und sprech­fä­hi­ge Tex­te, etwa zu Psal­men oder Bibel­stel­len, zu produzieren. 

Ja, so ist das. Erst ein­mal muss man aber sagen: die soge­nann­te KI lebt von einer Ansamm­lung von Text-Daten in einer Black Box. Mit die­sem Daten­ma­te­ri­al wird durch einen Rechen­pro­zess ein Ergeb­nis pro­du­ziert. Etwas Arith­me­ti­sches. Ob das rich­tig oder falsch ist, zählt nicht. Es ist geist­los. Auch wenn es sich noch so ver­nünf­tig anhört.

KI kann mir als Seel­sor­ger hel­fen, etwa mit guten For­mu­lie­run­gen im Seelsorgekontext

Was kann eine KI, was nicht?

Die Künst­li­che Intel­li­genz ist das Ergeb­nis des mensch­li­chen For­scher­geis­tes. Beein­dru­ckend, was damit geleis­tet wer­den kann. Alles aber, was ich im Hier und Heu­te zu sagen habe, was ich mit mei­nem Gewis­sen prü­fen muss, was ich auf Zuhö­re­rin­nen und Zuhö­rer vor mir for­mu­lie­re: Das kann kei­ne KI leis­ten, son­dern nur ich als Mensch mit denen, denen ich begeg­ne. Die KI ein inter­es­san­tes Werk­zeug, wie ein rie­si­ger Zet­tel­kas­ten, der in ande­ren Kon­tex­ten ent­stan­de­ne Sät­ze enthält.

Darf eine KI die Hei­li­ge Schrift interpretieren?

Sie kann gar nicht inter­pre­tie­ren. Sie ist eine Rechen­ma­schi­ne. Ich gebe aber zu: So man­ches, was ich an Inter­pre­ta­ti­on höre zu Glau­be und Bibel, kommt mir fast eben­so aus Altem zusam­men­ge­sucht vor, als wür­den Zet­tel­kas­ten­in­hal­te nur in neu­er Mischung vor­ge­tra­gen. Dazu gibt es ja auch böse Vor­la­gen, etwa Weih­nachts- oder Oster­bin­go: Aller­welts­for­mu­lie­ren, die belie­big gemischt wer­den kön­nen, und es kommt irgend­was raus, was irgend­wie öster­lich oder weih­nacht­lich klingt. 

In der Seel­sor­ge gibt es die Dis­kus­si­on, ob KI-Bots ein­fa­che seel­sor­ge­ri­sche Unter­stüt­zung geben könn­ten. Die KI wäre 24 Stun­den erreich­bar, kann Glau­bens- und Wis­sens­fra­gen beant­wor­ten – und auch zeit­nah kli­ni­sche Dia­gno­sen und Hil­fe­stel­lun­gen geben. 

Ja, ich glau­be schon, dass ein Chat­Bot eine Anlauf­stel­le sein kann. Dann muss es aber wei­ter­ge­hen. Es muss ein Stopp ein­ge­baut wer­den. Das kann die KI nicht selbst, die kom­bi­niert unend­lich wei­ter. Sie kann rasche Anre­gun­gen und Hil­fen geben in einer schlim­men Kri­se. Den­noch: Das Wert­vol­le an einem Brief ist ja nicht das Wort auf dem Papier. Son­dern wert­voll wer­den die Zei­len durch den, der es abge­schickt hat. Inso­fern for­mu­liert die KI natür­lich aus guten For­mu­lie­run­gen neu, inklu­si­ve guter Tipps. Ob der Ande­re das tech­nisch zusam­men­ge­stü­ckel­te aber dann auf­nimmt, das ist die Fra­ge. Denn es fehlt die Bezie­hung. Des­halb wür­de ich die Fra­ge so beant­wor­ten: KI kann mir als Seel­sor­ger hel­fen, etwa mit guten For­mu­lie­run­gen im Seel­sor­ge­kon­text, damit ich schnell und ein­fach ant­wor­ten kann. Aber ich muss es auto­ri­sie­ren, damit es aus mei­nem Her­zen kommt.

Wie so vie­les ist die KI Aus­druck der Krea­ti­vi­tät Gottes

Kann die KI die Beich­te abnehmen? 

KI kann kei­ne Beich­te abneh­men, natür­lich nicht. Die KI kann ja auch nicht küs­sen oder strei­cheln und kann auch kei­ne Lie­bes­er­klä­rung machen. Das alles geht nur von Mensch zu Mensch. 

Wie kön­nen Seel­sor­gen­de künst­li­che Intel­li­genz nutzen?

Die KI hilft dabei, einen Got­tes­dienst vor­zu­be­rei­ten. Sit­zun­gen zu pla­nen. Pro­to­kol­le zu erstel­len. Work­flows zu prä­zi­sie­ren. Ganz kon­kret auf eine Ziel­grup­pe hin, in einem spe­zi­el­len Kon­text. Das gab es bis jetzt so noch nicht. Ideen sam­meln, Inhal­te struk­tu­rie­ren, ziel­grup­pen­ge­recht for­mu­lie­ren. Spannend! 

Nutzt die Kir­che das Poten­zi­al der KI ausreichend?

Ich höre von Vor­be­hal­ten. Das erin­nert mich dar­an, wie in mei­nen jun­gen Jah­ren im Klos­ter dis­ku­tiert wur­de: Darf man ein Fax­ge­rät haben an der Klos­ter­pfor­te? Spä­ter die Fra­gen nach Com­pu­tern zur Eigen­nut­zung, Inter­net. Ein Mit­bru­der sag­te damals: „Das setzt sich sowie­so nicht durch.“ Ich bin ange­nehm über­rascht, wie prä­zi­se etwa Papst Fran­zis­kus sich abwä­gend zu die­ser neu­en Tech­nik äußert.

Die Arbeits­welt wird sich ver­än­dern, das löst Ängs­te aus.

Das ver­ste­he ich. Wir ste­hen vor einem revo­lu­tio­nä­ren Wan­del. Din­ge, die frü­her 70 Leu­te in der IT-Abtei­lung eines Bis­tums gemacht haben, wer­den in Zukunft von nur 3 Leu­ten erle­digt, weil sich die Sys­te­me radi­kal ver­än­dern wer­den. Wenn ich das so aus­spre­che, dann ängs­tigt mich das auch. Vie­le Men­schen wer­den arbeits­los wer­den. Und doch auch neue Arbeit fin­den, wenn sie sich umstel­len. Dabei kann die KI hel­fen. Zum Bei­spiel beim Selbstlernen.

Ver­schärft die KI den „Digi­tal Divi­de“, also die Spal­tung der Gesell­schaft in die, die mit Tech­nik umge­hen kön­nen und die, die zurückbleiben?

Wis­sen Sie, war­um ich mich mit KI über­haupt beschäf­ti­ge? Weil ich aus mei­ner fran­zis­ka­ni­schen Grund­hal­tung möch­te, dass mit der KI, die Gott ja offen­sicht­lich dem mensch­li­chen Geist ermög­licht hat, den Armen gedient wird. Auch die­se Tech­nik ist ja nur dann wirk­lich etwas wert, wenn wir es schaf­fen, damit den Armen und Abge­häng­ten zu die­nen. Sie teil­ha­ben zu las­sen an der Gesell­schaft. Und da man mit KI ganz viel selbst errei­chen kann, hof­fe ich, mit dazu bei­zu­tra­gen, dass die­se auch bald die­ses Werk­zeug nut­zen können.

Passt KI zu fran­zis­ka­ni­schen Werten?

Wie so vie­les ist die KI Aus­druck der Krea­ti­vi­tät Got­tes. Der hei­li­ge Pau­lus hat mit Papy­rus sei­ne Bot­schaft ver­kün­det, damals ein sehr moder­nes Medi­um, dann kamen die Druck­ma­schi­nen, dann das Inter­net. Und auch KI ist dafür da, damit wir den Frie­den, Gerech­tig­keit und die Bewah­rung der Schöp­fung voranbringen.

Wer ist denn da der Trei­ber? Gro­ße Kon­zer­ne haben eher ihr Geschäfts­mo­dell im Sinn, im Zwei­fel mit Blick auf stei­gen­de Effi­zi­enz. Sprich: Wer bringt mit KI gesell­schaft­li­che The­men nach vorn?

Das ist die ent­schei­den­de Fra­ge. Ich den­ke, dass hier vor allem die Akteu­re der sozia­len Arbeit gefragt sind. Sie müs­sen sich fra­gen, wie KI dazu füh­ren kann, dass Men­schen sel­ber Schrit­te aus der Armut und Abhän­gig­keit ent­wi­ckeln kön­nen. Ich sehe im AI-Act, der Gesetz­ge­bung der Euro­päi­schen Uni­on zur KI, eine wich­ti­ge Ant­wort auf die Gefahr, dass die­se Tech­nik unge­zü­gelt genutzt wird.

Nie­mand darf sich als „Gate­kee­per“ auf­spie­len, der ande­ren das Wis­sen vorenthält

Ein wich­ti­ges The­ma ist die Haf­tung: Wer ist am Ende verantwortlich?

Der Mensch muss ver­ant­wort­lich blei­ben. Gesell­schaft­lich gese­hen die Poli­tik. Ob Pre­digt, Ver­si­che­rungs­ab­schluss oder Waf­fen­ein­satz: Die KI darf nie ent­schei­den, son­dern ein Mensch muss am Ende ste­hen, der ver­ant­wor­tet und den man zur Ver­ant­wor­tung zie­hen kann.

Beim The­ma Waf­fen wird argu­men­tiert: Die KI macht weni­ger Fehler.

Das stimmt, denn mit ihrer Hil­fe kön­nen viel mehr Fak­to­ren berech­net wer­den. Aber Ent­schei­dun­gen kann sie nicht fäl­len. Es bleibt am Ende bei einem Ein­zel­nen oder einer Gemein­schaft zu beur­tei­len: Wenn das nun die Fak­ten sind – dann darf oder muss ich so han­deln. Nach bes­tem Wis­sen und Gewissen. 

Wel­che Berei­che wer­den beson­ders von Ver­än­de­rung betrof­fen sein?

Auf jeden Fall die Bil­dung. Es gibt ers­te Hoch­schu­len in Deutsch­land, die kei­ne Bache­lor-Arbeit mehr anneh­men und die wie­der zurück­ge­kehrt sind zu münd­li­chen Prü­fun­gen. Die sagen sich: Es ist Quatsch, einen Text anzu­neh­men, wo man schon vor­her weiß, das haben die Stu­die­ren­den nicht selbst geschrie­ben. Neben dem Bil­dungs­sek­tor wer­den wir kurz­fris­tig sicher im Ver­wal­tungs­be­reich die größ­ten Ver­än­de­run­gen sehen. Inner­halb weni­ger Mona­te kann sich dort alles ändern. Die ana­ly­ti­sche KI wird in der Medi­zin und auch im Bereich der Rechts­wis­sen­schaf­ten vie­les auf den Kopf stel­len. Von dem, was Fer­ti­gungs­pro­zes­se und Infor­ma­ti­ons­pro­zes­se angeht, mal ganz zu schweigen.

Was ist wich­tig in die­sem Change-Prozess

Wir müs­sen uns mit­ein­an­der als KI-Lern­ge­mein­schaft begrei­fen. Nie­mand darf sich als „Gate­kee­per“ auf­spie­len, der ande­ren das Wis­sen vor­ent­hält. Wenn ich etwas her­aus­ge­fun­den habe, dann tei­le ich es. Das fin­de ich inter­es­sant: Wir kom­men dazu, ein­an­der mehr zu brau­chen. Ich traue mich zu sagen, wo ich Feh­ler gemacht habe. Ler­ne vom Ande­ren. Das ist ein wich­ti­ger fran­zis­ka­ni­scher Ansatz, der auf Ver­bin­dung zielt. Kannst Du mich unter­stüt­zen, kannst Du mir wei­ter­hel­fen? Wenn wir dar­über wie­der mehr ins Gespräch kom­men, dann wäre die KI sogar ein ech­ter Segen für alle.

KI kann kei­ne Beich­te abneh­men, natür­lich nicht

Wer­den wir in Zukunft noch Spra­chen lernen?

Ich glau­be an die mensch­li­che Begeg­nung. Ich bin ja auch Aus­spra­che­leh­rer, ich weiß um die Bedeu­tung des soge­nann­ten „Soundings“. Mir sind die Mög­lich­kei­ten etwa der Simul­tan­über­set­zung bewusst, aber da es mir auch um die mensch­li­che Letzt­ver­ant­wor­tung geht, wür­de ich sagen: Spra­chen ler­nen lohnt sich wei­ter­hin. Spra­che ist Kul­tur und Wel­ten-Öff­nen. Das ist kein mathe­ma­ti­scher Vorgang.

Wird in Zukunft der Bru­der-Pau­lus-Ava­tar, gespeist mit Ihrer Spra­che und Ihren Bewe­gun­gen und den Impul­sen der Ver­gan­gen­heit, den Tages­se­gen sprechen?

Natür­lich habe ich mich schon damit beschäf­tigt. Auch mit der Mög­lich­keit, den täg­li­chen Impuls zum Evan­ge­li­um in viel mehr Spra­chen zu ver­öf­fent­li­chen. Aber einen Ava­tar von mir? Da bin ich skep­tisch. Ich habe immer gesagt: Wo Bru­der Pau­lus drauf steht, soll auch Bru­der Pau­lus drin sein. Und das wäre in die­sem Sze­na­rio ja nur noch indi­rekt der Fall.

Zum Abschluss habe ich noch einen Satz von Chat-GPT. Wenn man ihn fragt: Wer ist Bru­der Pau­lus? Dann kommt die Ant­wort: „Bru­der Pau­lus ist eine ein­fluss­rei­che Figur in der deut­schen Öffent­lich­keit, die es ver­steht, tra­di­tio­nel­le reli­giö­se Wer­te in einem moder­nen Kon­text zu ver­mit­teln und dann bei Men­schen unter­schied­lichs­ter Hin­ter­grün­de anzu­spre­chen.“ Passt das?

Das will ich nicht beur­tei­len. Mein Ziel ist: Ich möch­te mei­nen christ­li­chen Glau­ben in einem moder­nen Kon­text ver­mit­teln. Ich bin Mis­sio­nar und blei­be das auch. Es geht mir dar­um, dass Gerech­tig­keit und Frie­den vor­an­ge­bracht wer­den. Das ist kei­ne Sache der Mathe­ma­tik und der KI, son­dern der Begeg­nung. Ich will mich zu Men­schen hin­be­ge­ben. Wenn auch KI dabei hilft: Umso besser!

Das Inter­view führ­te Tobi­as Rauser

 

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