

FOTO: KAPUZINER/KENDZIORA
Was ist Berufung?
Wenn Gott ruft, wie hört sich das an? Und warum kommt bei dieser Frage auch ein „Wir“ ins Spiel? Diese und andere Fragen beantwortet Bruder Stefan Walser, der als Kapuziner in Münster lebt, im Interview.
Bruder Stefan, was bedeutet der Begriff Berufung?
In diesem Begriff ist das Wort „rufen“ enthalten. Jemand ruft. Und dann gibt es eine Antwort. Wer berufen wird, der wird also herausgefordert und muss reagieren. Da geht es nicht nur um Gott, sondern der Begriff ist weit gefasst. Was löst in mir Resonanz aus? Was fordert mich zum Handeln auf? Von „Berufung“ sprechen wir dann, wenn es um Dinge von besonderer Tiefe und Tragweite geht, die mich herausfordern und wo ich mit meinen Fähigkeiten gefragt bin.
Wenn es nicht nur um den Ruf, sondern auch um die Antworten geht, dann ist Berufung ja etwas sehr Konkretes.
Ja, und dieser Aspekt ist auch sehr wichtig. Es geht nicht nur um bloße Theorie, sondern um konkretes Erleben. Ich gehe nicht nur in mich hinein, sondern auch aus mir heraus. Das, was in mir Resonanz auslöst, das kann meinem Leben Sinn geben und will dann umgesetzt werden.
Wird die Frage nach der Resonanz und dem Sinn des Tuns heute häufiger als früher gestellt?
Es gibt viel mehr Impulse um mich herum. Mehr Möglichkeiten. Mehr Rufer. Und deswegen glaube ich, dass die Frage nach der eigenen Berufung durchaus häufiger gestellt wird – oder gestellt werden sollte. Das sehe ich positiv.
Die Frage nach dem Ruf und der richtigen Antwort hört nie auf.
Kann sich diese Berufung verändern im Laufe des Lebens?
Berufung ist ein sehr dynamisches Geschehen. Das erlebe ich auch ganz persönlich. Natürlich gibt es besonders turbulente Phasen im Leben, etwa während der beruflichen Orientierung, in denen dieses Thema wichtiger ist als in anderen Phasen. Aber die Frage nach dem Ruf und der richtigen Antwort hört nie auf. Gerade das Leben als Ordensmann ist von einer lebenslangen Suche geprägt. Ich glaube daran, dass der Geist Gottes wirkt. Und das bedeutet auch, dass er mit mir durch die Jahrzehnte geht. Auf diesem Weg gibt es immer wieder Wegweiser, wie ich meinem Ruf gegenüber aufmerksam bleiben und an einer Vertiefung arbeiten kann.
Das Leben als Kapuziner passt zu diesem Verständnis ja ganz gut.
In der Tat. Wir verändern uns immer wieder, örtlich, aber auch, was unsere Aufgaben angeht. All das konfrontiert mich immer wieder mit meiner Berufung. Wie kann ich diese hier ganz konkret leben? Welche Entscheidung steht jetzt gerade an und wohin führt sie mich?
Die Berufung zum Ordensmann ist eine geistliche Berufung. Ist sie etwas Besonderes?
Nein, das sehe ich nicht so, auch wenn das theologisch umstritten ist. Eine Berufung ist dann „geistlich“, wenn ich mir bewusst mache, dass die Frage, wer ich bin und wie ich mein Leben gestalte, mit Gott zu tun hat. Gott ruft mich in der Taufe. Wenn ich mich für einen Dienst in der Kirche berufen fühle, ob als Priester, Gemeindereferentin, Organist oder Ordensfrau, dann ist die Berufung vielleicht expliziter an Gott gebunden. Aber das macht für mich keinen qualitativen Unterschied zu anderen Berufungen.
Wie ruft Gott?
Für mich ruft Gott nicht mit einem Donnerknall, sondern eher in den Zwischentönen. Gottes Ruf ist ein Ruf in die Weite hinein. Wer dem Ruf folgt, dessen Horizont wird weiter. Es hängt auch mit einer Lust zusammen, mutig eine neue Welt zu entdecken.
Enge und Angst passen nicht zu einer Berufung.
Macht dieser Ruf Angst?
Auf lange Sicht sollte das nicht so sein. Ein Erschrecken, das darf sein, da eine Entscheidung immer Mut erfordert. Langfristig sollte jedoch die Weite und die Horizonterweiterung in den Fokus rücken. Enge und Angst passen nicht zu einer Berufung. Ich würde im Gegenteil sogar den Begriff „Frieden“ wählen. Der Ruf Gottes in die Weite sollte Frieden bringen, keine Sorgen bereiten.
Ist die Berufung eigentlich vorbestimmt?
Ich finde den Gedanken ehrlich gesagt ziemlich schräg, dass Gott am Anfang des Lebens schon festlegt, wer Bundespräsident, Ordensmann oder Schwerverbrecher wird. Und wenn ich dann meine Berufung nicht finde, wurde das Rätsel nicht gelöst? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube an einen Gott der Gegenwart und nicht der Vergangenheit. Er geht den Weg mit mir und entdeckt mit mir die markanten Punkte am Wegesrand.
Werden wir mal konkret: Was für Tools gibt es für junge Menschen, die sich gerade auf diesem Weg befinden?
Es gibt zwei wesentliche Dinge. Das eine ist, nach Innen zu gehen, im Gebet zu einem Dialog mit Gott zu kommen. Dort die Lust, den Frieden und die Weite suchen. Und, ganz wichtig: die Bibel lesen. Sich vom Wort Gottes und vom Evangelium berühren lassen. Das klingt vielleicht für Außenstehende etwas abgefahren, aber das passiert in der Tat sehr häufig: Menschen lassen sich von der frohen Botschaft inspirieren. Der zweite Punkt ist nicht weniger wichtig: Mit anderen Menschen über diesen Ruf sprechen. Der Abgleich der eigenen Ideen ist unverzichtbar. Trauen andere mir das zu, was ich mir überlegt habe?
In der Berufung gibt es dann also nicht nur ein „Ich“, sondern auch ein „Wir“?
Das ist eine der spannendsten Fragen: Wie kann jemand anders über den Ruf Gottes richten? Die Antwort lautet: Der heilige Geist ist immer auch vermittelt durch andere. Durch andere Menschen, die Ordensgemeinschaft und auch durch die Kirche. Es geht bei der Berufung nicht nur um das „Wollen“, sondern auch um das „Können“. Da kommen andere Menschen ins Spiel, die mir das bestätigen – oder mich vielleicht auch von einer falschen Fährte wieder zurückholen.
Bei den Kapuzinern gibt es dafür die sogenannte „Berufungspastoral“.
So ist es. Wir, ein Team von Kapuzinern, wollen Räume schaffen, um jungen Männern die Möglichkeit zu geben, auf den Ruf zu hören. Wir wollen sie dabei begleiten.
Es geht darum, Menschen einen Raum geben, um sich zu finden. Den nächsten Schritt im Leben zu gehen.
Ist das Recruiting?
Nein, das ist nicht der richtige Begriff. Natürlich wollen wir Nachwuchs für unseren Orden bekommen, weil wir glauben, dass unsere Sache eine gute ist und sie Zukunft hat. Aber das ist nicht der höchste Wert, um das ganz deutlich zu sagen. Das Wichtigste ist, dass jeder Mensch seinen Frieden und seine Freiheit findet. Das ist unser christliches Menschenbild. Der Mensch ist zum Heil und zum glücklichen Leben berufen. Wir wollen niemanden in etwas hineinpressen, wir wollen helfen, den richtigen Weg zu finden. Es geht darum, Menschen einen Raum geben, um sich zu finden und den nächsten Schritt im Leben zu gehen.
Was ist der Kompass der Kapuziner?
Die Kapuziner sind eine sehr konkrete Form, christlich zu leben. Wer Jesus Christus ins Zentrum stellen will, der ist hier richtig. Die Kapuziner haben auf der einen Seite eine lange Geschichte, die spirituell und von beeindruckenden Persönlichkeiten wie Franz von Assisi oder Klara geprägt ist. Und auf der anderen Seite stehen wir mitten im Leben. Wir haben keine Angst vor Fragen der Gegenwart und der Zukunft und verstecken uns nicht hinter Klostermauern.
Bruder Stefan, vielen Dank für das Gespräch!