FOTO: KAPUZINER/LEMRICH
BR. JENS KUSENBERG
wurde 1981 in Oberhausen geboren. Er studierte Biologie, Germanistik und Theologie auf Lehramt. Seit 2010 ist Br. Jens Kapuziner. Er lebt im Kapuzinerkloster Liebfrauen in Frankfurt und ist dort als Priester in der Seelsorge tätig.
Bundesweite Demos: Startschuss für konkrete Veränderungen
Die Demos gegen Rechtsextremismus waren ein guter Anfang. Nun gilt es, konkret ins Handeln zu kommen, und zwar jeder, nicht nur „die da oben“. Ein Standpunkt von Br. Jens Kusenberg.
Es ist wahrscheinlich die größte Protest- und Demonstrationswelle, die es jemals in Deutschland gegeben hat. Selbst in den 70er und 80er-Jahren, bekannt für Proteste und Demos, mobilisierten sich nicht so viele Menschen wie 2024. Kein NATO-Doppelbeschluss und kein Atommüll-Endlager brachte die Menschen so in Bewegung, wie dieser Tropfen im Fass: Die an die Öffentlichkeit gedrungenen Überlegungen aus einem Treffen von Rechten bis Rechtsextremen.
Man hätte zur Tagesordnung gehen können mit den üblichen Argumenten: Splittergruppentreffen, nicht umsetzbar und damit ungefährlich, war ja gar nicht das erste Treffen solcher Art. Das passierte aber nicht. Ich war selbst auf der Demo gegen Rechtsextremismus Anfang des Jahres. Es war ein gutes Gefühl, mit anderen Menschen unterwegs zu sein und zu sagen: „Jetzt ist aber auch mal gut!“ Da wurden Kinder im Kinderwagen geschoben und Rentner mit Rollatoren waren da, ebenso Kirchenvertreter, Sozialarbeiterinnen, Politiker aus verschiedenen Parteien. Das war eindrucksvoll.
Irgendetwas macht den Leuten offensichtlich Angst. Mehr Angst als der Castor-Transport oder der Bau eines Atomkraftwerks. Vielleicht die anstehenden Wahlen, in denen sich Mehrheiten bis hin zur Unregierbarkeit eines Bundeslandes verschieben könnten. Vielleicht spielt auch die Weltlage mit Konflikten und Kriegen mit hinein. Und wahrscheinlich noch viele andere Gründe.
Diese Demos dürfen nicht verpuffen. Sie sind zu groß und zu eindrucksvoll. Die Kraft und Energie muss sich in Politik umsetzen. Und das heißt für mich nicht: „Die da oben.“ In einer Diktatur reichen etwa 10 Prozent der Bevölkerung, damit die Staatsform läuft. In der Demokratie aber müssen es 70 Prozent sein. Weil die Demokratie auf Mitwirkung angewiesen ist.
Auch Papst Franziskus schreibt in seiner letzten Enzyklika „Fratelli tutti“: „Wir dürfen nicht alles von denen erwarten, die uns regieren.“ Vielleicht engagieren sich einige der Demonstrierenden in Zukunft selbst in Parteien. Oder in Projekten vor Ort. Das würde ich mir sehr wünschen. Das wäre ein Zeichen, dass es noch mehr gibt als die Proteste. Dass diese nur ein Startschuss für Veränderungen waren. Und immer wieder: Wählen gehen. Denn meine Stimme wird etwas beitragen.