

FOTO: KAPUZINER
BR. Guido Kreppold
wurde 1939 geboren und trat mit 20 Jahren in den Kapuzinerorden ein. Der Priester und Psychologe lebt im Kapuzinerkloster in Ingolstadt.
Die Angst geht um! Wie ihr begegnen?
Angst. Ein Wort, das in diesen Tagen des Krieges viele Menschen beschäftigt. Wie mit dieser Angst umgehen? Der Kapuziner und Psychologe Guido Kreppold gibt Hinweise zur Begegnung mit der Angst.
Die Nachrichten der letzten Tage sind so erschütternd, dass sie politische Einstellungen umwerfen, alte Sicherheiten durchbrechen, Chaos und Verwirrung auslösen, aber auch Politiker und Völker einen und zur Entschlossenheit zwingen. Hinter allem steht die Angst. So gewaltig wie selten in den letzten Jahrzehnten. Allein schon, wenn das Wort „Atom“ fällt, stockt das Blut in den Adern, ganz gleich, ob damit ein brennendes Kraftwerk, Waffen oder Krieg verbunden werden.
Vor uns steht die Frage: „Wie mit der Angst umgehen?“
Wir müssen feststellen: Nicht wir gehen um, sondern die Angst geht um! Nicht ich habe die Angst, sondern die Angst hat mich! „Da geht es um!“ sagte man in früheren Zeiten von einem Ort, wo es einem unheimlich wurde. Man dachte an Gespenster, die heute genauso ihre Wirkung tun, wenn man sie als Ausdruck der Angst sieht.
Die Abschaffung des Teufels, um die sich renommierte Theologen mühten, hat nicht das gebracht, was man erhoffte. Sie hat die Angst nicht beseitigt. Sie kann nach wie vor wesentlich die Atmosphäre bestimmen, gerade in diesen Tagen des Krieges.
Im kleinen Kreis und im Alltag kann man beobachten: Gesichter und Gespräche erstarren, nur noch das Nötigste wird gesagt, Gefühle sind wie eingefroren. Statt Vertrauen herrschen Vorsicht und Misstrauen in den Beziehungen, die scheitern, in den Familien, die zerbrechen. Das gilt auch im kirchlichen Raum, wo Meinungen unversöhnlich aufeinanderprallen.
Hinter finsteren Blicken sitzen Ärger, Zorn, Angst. Gerade zu dem Menschen, der einem am nächsten steht, traut man sich nicht zu sagen, was einem auf der Seele brennt – aus Angst, den anderen zu verletzen, ihn zu verlieren oder in einen Konflikt zu geraten, bei dem man den Kürzeren zieht. So ist man eingeschüchtert und sieht die Wirklichkeit verzerrt. Die Trennung wird oft zum einzigen Ausweg, Verbitterung und Zorn bleiben.
Die Angst ist eine autonome Macht, welche ganz gewöhnliche Menschen, Politiker und ganze Völker gefangen nimmt. Mit dieser Einsicht haben wir uns schon ein Stück von der Gewalt distanziert. Es bleibt die Aufgabe, uns gegen diese Macht zu schützen.
Schutzräume
Es ist wie im Krieg. Man muss sichere Räume aufsuchen, schützende Erlebnisräume. Gut ist es, wenn uns Menschen einfallen, zu denen wir Vertrauen haben, aus unserem Freundeskreis oder auch von anderswoher. Entscheidend ist, dass wir das sagen können, was uns bedrückt, was niemand erwartet hat, womit man alle enttäuscht, was einer Niederlage gleicht.
Ein solcher Fall ist zum Beispiel, wenn es in der Ehe nicht mehr stimmt. Wem kann ich sagen, dass wir uns wahrscheinlich trennen müssen? Vertrauensvolle Gespräche fassen den treibenden Grund der Angst in konkrete Worte, decken Ursachen und Zusammenhänge auf, stärken das Selbstwertgefühl gegen verletzende, entwertende und entwürdigende Angriffe. Sie erleichtern den inneren Druck und rücken die Probleme etwas von einem weg. Die Angst bekommt einen fassbaren Namen und hat uns nicht mehr so fest im Griff.
Was ist aber, wenn man Personen des Vertrauens nicht zur Hand hat? Oft wird dann auf eine psychologische Beratungsstelle verwiesen. Von der langen Wartezeit mal abgesehen, tauchen viele von Angst geschürte Widerstände auf. „Wer zum Psychologen geht, ist doch nicht mehr normal“, denken die andern oder man glaubt, dass andere so denken. Weniger Hemmungen gibt es gewöhnlich, wenn der/Ansprechpartner/in im Rahmen der Seelsorge zu finden ist. Andere wiederum nehmen eher einen qualifizierten Psychotherapeuten in Anspruch und tragen hohe Kosten, als dass sie bei der kirchlichen Seelsorge um Hilfe bitten. Egal welchen Weg man wählt: Entscheidend sind Einfühlung, Wertschätzung und Echtheit. Ganz gleich, welchen Titel die oder der Beratende hat.
Ein fester Standpunkt
Nach einem gelungenen Gespräch verändern sich Blick und Weg der Hilfesuchenden. Sie haben für eine Auseinandersetzung und eine Entscheidung einen festeren Standpunkt gefunden. Dies wird auch in der Körperhaltung sichtbar. Man sieht sie aufrechter, nicht mehr so bedrückt und gebeugt wie unter einer zentnerschweren Last.
Man kann auch mit der Körperhaltung beginnen, indem man sich einmal Zeit nimmt, sich bewusst hinstellt und sich fragt: Wie stehe ich da? Je mehr ich den Kontakt unter den Füßen spüre, je mehr ich mit der Erde verbunden bin, je mehr ich einen festen Standpunkt im wörtlichen Sinn habe, umso mehr richtet sich der Körper auf, stehe ich aufrecht und werde auch aufrichtiger. Dieselbe Wirkung hat auch das Sitzen. Es ist hilfreich für den Körper wie für die innere Einstellung, am Schreibtisch eine aufrechte Haltung einzunehmen und die Unterlage bewusst wahrzunehmen. Es ist weniger ermüdend, beugt gegen Rückenschmerzen vor und stärkt das seelische Immunsystem gegen die Angst.
Am intensivsten ist diese Erfahrung beim Sitzen im Stil des Zens. Man muss nur mit untergeschlagenen Beinen aufrecht sitzen, seinen Atem und die absolute Stille wahrnehmen, jede Bewegung abstellen. Die Wirkung sieht man in den erfüllten und frohen Gesichtern der Teilnehmer am Ende solcher Kurse.
Kinderängste
Auf Schutzräume gegen die Angst sind als allererste unsere Kinder angewiesen.
Entscheidend ist, wie weit die nächste Mutter, Vater, Oma selbst gegen die Angst gefestigt und wie tief sie mit dem Kind verbunden sind. Ganz wichtig ist dabei der spontane körperliche Kontakt. Wie von selbst drückt man die Kinder an sich und hält sie an der Hand. Es geschieht eher, als dass man es absichtlich macht.
Ein wesentlicher Punkt ist, ob Kinder über alles reden dürfen, was sie außen oder im Fernsehen gesehen und erlebt haben, ob dazu die nötige Zeit und das Verständnis gegeben ist und keine Sanktionen zu erwarten sind, wenn etwas schiefgelaufen ist. Ob dies alles möglich ist, hängt davon ab, wie weit die bejahende, liebende Ausstrahlung der Eltern reicht.
Ängste der Kinder sind die Ängste der Eltern, zumindest hängen sie engstens zusammen. Deshalb ist es hilfreich, mit den eigenen zu beginnen. Dies wird sich auf die Kinder auswirken. Für konkrete Ratschläge bei Sorgen und Ängsten der Kinder gibt es auch eine „Nummer gegen Kummer“- ein telefonisches Beratungsangebot 116 111.
Rosenkranz und Wallfahrt
Für gläubige Menschen ist immer noch das Gebet das Mittel gegen die Angst. In der Zeit, als Europa von den Türken bedroht wurde, pflegte man besonders das Rosenkranzgebet. Man verehrte die Schutzmantelmadonna. Das Lied „Maria breit den Mantel aus“ entstand. Viele waren überzeugt, dass der Sieg bei Lepanto 1571 dem Rosenkrangebet zu verdanken war. Kritiker melden da Zweifel an, aber ganz gleich, wie man darüber denkt: Das Rosenkranzgebet und die Vorstellung vom Schutzmantel haben die Angst verringert. Das gemeinsame Rezitieren beruhigt, schafft Konzentration und Sicherheit. Dieser Effekt macht das Rosenkrangebet beliebt und zum inneren Zufluchtsort.
Seit alten Zeiten unternehmen Gläubige gegen Sorgen und Nöte eine Wallfahrt. In den letzten Jahrzehnten wurde die Fußwallfahrt neu entdeckt und als äußerst bereichernd erfahren. Wer viele Tage nur seine Füße auf der Erde spürt, der weiß, was Bodenkontakt bedeutet. Zugleich ist es die beste Übung, bewusst den Schmerz auszuhalten und anzunehmen, statt mit allen Mitteln den Schmerz zu vermeiden.
Dies gilt für alle Probleme. Wer Ängsten bewusst ins Auge schaut und sich mit ihnen auseinandersetzt, wird an persönlicher Stärke wachsen. Hilfreich ist dabei das Sitzen in absoluter Stille. Wer es übt, kann bestätigen, dass sich hier eine Quelle von Energie und Dynamik öffnet und die Angst schwindet. Die Begriffe „Energie“ und „Dynamik“ sind im Übrigen urchristliche Begriffe. Sie kommen aus dem Griechischen „energeia“ und „dynamis“ (Eph.1,19–20; Apg.1,8) und stehen als Ausdruck für die Kraft Gottes und des Geistes, welcher stärker ist als der Tod und die Mächte der Zeit.
Dieser Text von Guido Kreppold ist zuerst in der Münchner Kirchenzeitung erschienen.