FOTO: KAPUZINER/RAUSER
BR. FRANZ BEER
ist Jahrgang 1952 und trat 1985 in den Kapuzinerorden ein. Er lebt in Clemenswerth im Emsland.
„Etwas aus der nicht sichtbaren Welt in unsere Welt hereinbringen“
Br. Franz Beer zeichnet Ikonen. Was „Ikonen“ sind, ob manchmal jemand anders den Pinsel führt und wie er zum Ikonenmalen gekommen ist, sagt der Kapuziner aus Clemenswerth im Interview.
Was ist eine Ikone?
Br. Franz Beer: Das Wort „Ikone“ kommt von dem altgriechischen „εἰκών“, also „eikón“. Dieses griechische Wort bedeutet „Bild“ im weitesten Sinne. Ein Eikon ist etwas Geschaffenes, das etwas Anderem gleicht: also ein Bild, eine Abbildung, ein Ebenbild. Im Bereich der Ostkirchen, insbesondere der orthodoxen Kirchen des byzantinischen Ritus, wurde die Bedeutung des Wortes „eikón“ auf das religiöse-christliche Bild eingeengt, ohne dass dadurch im Griechischen die umfassende Bedeutung von „Bild“ verloren ging. Um zu verstehen, was Ikonen sind, muss man sich mit der orthodoxen Glaubens- und Lebenswelt vertraut machen und auf sie einlassen.
Gibt es eine festgelegte Struktur einer Ikone?
Ikonen fehlt jede naturalistische Struktur und sie sind vollgepackt mit symbolischen Elementen verschiedenster Art. Ikonen sind grundsätzlich zweidimensional gemalt. Personen auf Portraitikonen werden immer in Frontalsicht dargestellt, ein Halbprofil oder Profil findet man nur auf szenischen Ikonen. Die Körperteile und die Proportionen ganzer Figuren werden nach bestimmten Vorgaben gemalt. Grundlegende geometrische Symbole sind Kreis, Viereck, Dreieck, Rhombus, achtzackiger Stern und Gitterstrukturen. Im Laufe der Zeit hat sich eine Farbsymbolik herausgebildet, deren Symbolaussage allerdings gebunden ist an das Verständnis der Glaubens‑, Gesinnungs- und Kulturgemeinschaft in unserem Fall der Ostkirchen. Auffällig für Ikonen ist das Fehlen der Zentralperspektive. Typisch für Ikonen ist die umgekehrte Perspektive und die Bedeutungsperspektive. Eine Ikone kennt auch keine von Außen kommende Beleuchtung. Eine gut gemalte Ikone erweckt den Eindruck, als käme das Licht aus der Ikone selbst.
Warum gucken die Heiligen auf den Ikonen so streng?
Ich finde nicht, dass sie streng schauen. Darstellungen von Sentimentalität, Gefühlen, Leidenschaften und Gemütszuständen sind bei Ikonen allerdings fehl am Platz. Das Antlitz der dargestellten Person muss etwas von der Transzendenz, etwas von der Welt Gottes, durchscheinen lassen.
Einen Franz von Assisi könnte man sich doch durchaus auch lachend vorstellen?
Es geht bei der Ikonenmalerei nicht darum, einen Menschen naturalistisch darzustellen. Es soll etwas dargestellt werden, das im Grunde gar nicht darstellbar ist. Ikonen sind gemalte Frömmigkeit, bildhafte Verkündigung, Bild gewordene Theologie. Sie sind etwas ganz anderes als die Heiligenbilder im Herrgottswinkel eines frommen katholischen Hauses.
Was für Farben nutzen Sie?
Der Begriff Farben ist mehrdeutig. Wenn die flüssige Substanz gemeint ist, mit der Ikonen gemalt werden, dann setzt sich diese Farbe aus farbgebenden, in Flüssigkeit unlößlichen Festkörperteilchen, sogenannten Pigmenten, und dem Eigelb als Bindemittel und Wasser, mit dem der ganze „Brei“ verdünnt wird, zusammen. In welchem Verhältnis die drei Komponenten miteinander gemischt werden ist abhängig von der Art und Beschaffenheit des Pigments, der Beschaffenheit des Eigelbs und der Malweise. Bezüglich der Malweise kann in Trockenpinseltechnik oder nass in Pfützentechnik gemalt werden.
Wie sind Sie zum Ikonenmalen gekommen?
Zum ersten Mal kam ich anlässlich des Besuchs eines Ostergottesdienstes in der Kathedrale der russisch-orthodoxen Kirche in Berlin mit Ikonen in Kontakt. Viele Jahre später im Jahre 2003 kam ich auf die Idee, ich könnte ja selbst einmal eine Ikone malen. Nach dem ersten bescheidenen Versuch habe ich mich entschlossen weiterzumachen. Eine Ikonenmalschule konnte ich nicht besuchen, aber dafür habe ich im Laufe von fünfzehn Jahren 23 Malkurse bei sieben Ikonenmalerinnen und ‑malern besucht.
Was bedeutet Ihnen persönlich das Ikonenmalen?
Das kann ich gar nicht erklären, ich finde da keine Worte. Wenn ich sage: Es ist eine Leidenschaft, dann ist das zu wenig. Es ist eine Beschäftigung, die einfach stimmig ist.
Sie haben einmal gesagt: „Hinter einer Ikone steckt eine Wirklichkeit“. Was bedeutet das?
Es gibt nicht nur die gewöhnliche, unseren Sinnen oder technischen Hilfsmitteln, zugängliche Welt, sondern die Welt des Übersinnlichen, des Heiligen, des Göttlichen. Als Ikonenmaler versuche ich, etwas aus dieser nicht sichtbaren Welt in unsere Welt hereinzubringen. Ikonen sind dabei nicht ein Medium, durch das ich hindurchschaue in die andere Welt, sondern es ist genau umgekehrt. Die transzendente Welt kommt auf mich zu.
Führt manchmal jemand anders den Pinsel?
Das ist eine gute Frage. Wenn ich am Ende eine fertige Ikone betrachte, dann bin ich manchmal schon sehr überrascht, was da zustande gekommen ist. Ich möchte nicht behaupten, dass es jemand anders gemalt hat. Ich kann aber auch nicht behaupten, dass es allein mein Werk war. Vielleicht war der Heilige daran beteiligt.
Wie kann man sich das konkret vorstellen: Ist das Ikonenmalen ein Handwerk, eine Meditation, ein Gebet?
Das Ikonenmalen ist sowohl ein Handwerk als auch Meditation und Gebet.
Welche Eigenschaften braucht ein Ikonenmaler?
Ein Ikonenmaler muss sich mit der Ikonentheologie der orthodoxen Kirche beschäftigen. Sonst malt er einfach nur ein Bild. Auf den heiligen Konzilien wurde folgendes festgelegt: »Der Maler soll friedliebend, demütig und fromm sein. Er soll nicht leicht reden oder Späße machen, nicht streitsüchtig oder gehässig sein. Zu seinem eigenen Heil soll er die Reinheit der Seele und des Leibes bewahren (…). Er soll sich Rat bei seinem Beichtvater holen und gemäß dessen Belehrung bei Fasten und Beten enthaltsam und demütig, ohne Ungezogenheit und Schande lebend, mit großem Eifer und mit Hingebung die Bilder unseres Herrn Jesus Christus und seiner reinsten Mutter, der heiligen Propheten, Apostel, Märtyrer, seligen Frauen, der Hohenpriester und seligen Väter malen.«
Zum Schluss: Heißt es jetzt eigentlich Ikonenmalen oder Ikonenschreiben?
Im Griechischen verwendet man für ritzen, gravieren, malen und schreiben ein und dasselbe Wort. Nämlich „graphein“. Im Deutschen unterscheidet man zwischen Malen und Schreiben. Handwerklich betrachtet ist die Herstellung einer Ikone ein Malvorgang. Zu bedenken ist allerdings: Ähnlich wie das Evangelium einen höheren Stellenwert hat als die übrigen biblische Schriften, so verhält es sich mit Ikonen im Vergleich zu anderen religiösen Bildern. Um diesen Unterschied unverkennbar zu machen, spricht man vom Ikonenschreiben. Der Ausdruck Ikonenmalen bezeichnet lediglich einen handwerklichen Vorgang, ohne den Unterschied zwischen einer Ikone und einem anderen Bild deutlich zu machen.
Vielen Dank für das Gespräch!