
FOTO: KAPUZINER/LEMRICH
BR. HELMUT RAKOWSKI
trat 1981 in den Kapuzinerorden ein und wurde 1989 zum Priester geweiht. Im Juni 2022 wählten ihn seine Mitbrüder auf dem Provinzkapitel in Münster zum Provinzial der Deutschen Kapuzinerprovinz.
„Wir gehen froh und zuversichtlich in die Zukunft“
DIE KAPUZINER HABEN IM SOMMER EINEN NEUEN PROVINZIAL GEWÄHLT. BR. HELMUT RAKOWSKI FÜHRT DEN ORDEN DURCH DIE NÄCHSTEN JAHRE. EIN GESPRÄCH ÜBER PRÄGENDE ERFAHRUNGEN IN MEXIKO, DIE FINANZSITUATION DES ORDENS SOWIE JUNGE KAPUZINER.
Br. Helmut, Sie sind nun ein halbes Jahr Provinzial eines Ordens, der hunderte Jahre alt ist. Wie fühlt sich das an?
So viele Dinge kreisen um uns Kapuziner, so viele Menschen sind von unserem Tun betroffen, das beeindruckt mich sehr. Wir sind an vielen Stellen gefragt und tragen Verantwortung: im sozialen Bereich, in der Seelsorge, in Zusammenarbeit mit anderen Kapuzinern in Europa und weltweit sowie in der interfranziskanischen Zusammenarbeit. Diese Verbundenheit und diese Beziehungen, das ist die Frucht der langen Jahre und der Geschichte des Ordens.
Ist diese Aufgabe eine Last oder freuen Sie sich darauf?
Ich hatte vor wenigen Wochen die große Freude, die Professverlängerung von drei jungen Brüdern in Münster entgegenzunehmen. Das war ein sehr schönes Erlebnis, für das ich dankbar bin. Aber natürlich merke auch ich, wie viel Verantwortung wir tragen und vor welchen Herausforderungen wir stehen.
Was ist eigentlich die Aufgabe des Provinzials?
Wenn man ein kirchliches Bild nimmt, dann ist die Arbeit in etwa vergleichbar mit der eines Bischofs einer Diözese. Für jemanden ohne Kirchenbezug würde ich sagen: Ich bin der gewählte Vorstand für eine Gruppe von Ordensmännern.
Ist das ein Management-Job?
Jein, es ist eine Kombination von verschiedensten Dingen. Es ist Management, aber auch geistliche Begleitung und Personalführung. Ich bin nicht nur ein Manager, sondern bin in ein geistliches Amt gewählt.
Ganz kurz, wir kommen später darauf zurück: Was sind die wichtigsten Ziele für die nächsten drei Jahre?
Die wichtigsten Ziele haben uns die Kapitulare, also meine Mitbrüder, auf dem Provinzkapitel mitgegeben. Wir als Kapuziner müssen uns für die Zukunft so aufstellen, dass wir unsere Aufgabe und unsere Berufung mit den vorhandenen Ressourcen und mit dem vorhandenen Personal leben können. Das bedeutet konkret einen Umbau in der Provinz, der auch mit Kleinersetzung zu tun hat. Außerdem, und das ist kein Gegensatz, wollen wir stärker um neue Mitbrüder werben.
Als Sie mit 19 Jahren bei den Kapuzinern eingetreten sind: Was hatte der junge Bruder Helmut vor im Orden?
Der junge Bruder Helmut war damals begeistert von seiner Heimatpfarrei St. Bonifaz in Mainz, wo die Kapuziner engagiert waren. Dort habe ich ein dynamisches Team erlebt. Alte und junge Ordensleute haben ihre vielfältigen Begabungen eingebracht. Ich war außerdem vom sozialen Engagement der Kapuziner angetan. Gemeinsam mit diesen Brüdern wollte ich meinen Weg gehen, in der Seelsorge, als Pfarrer.
Wir wollen franziskanische Werte in der Gesellschaft leben und diese Gesellschaft mitgestalten. Da spielt das Evangelium die Hauptrolle.“
Wenn Sie auf den jungen Mann von damals blicken: Was ist geblieben und was hat sich verändert?
Ich konnte mir damals nicht vorstellen, außerhalb Deutschlands zu arbeiten. Da habe ich mich verändert, auch von Franziskus gelernt. Ich bin viele Jahre außerhalb Deutschlands unterwegs gewesen, in Mexiko und Rom. Das war eine große Bereicherung für mich und hat mich verändert. Ich bin durch diese Erlebnisse heute weniger von einem klerikalen Denken geprägt als früher, das muss ich schon sagen.
Sie sprechen Ihre Zeit in Mexiko an. Was war das für eine Erfahrung?
Es war umwerfend. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie ich mich fühlte, als ich in Mexico City ankam und kaum Spanisch konnte. Allein in dieser Millionenstadt, überfordert vom Verkehr. Irgendwann nach langem Warten an der Haltestelle hing ich an einem Bus draußen an der Tür, um doch noch zu meinem Ziel zu kommen. In diesem Moment habe ich mich gefragt: Was machst Du hier? Warum machst Du das? Es war ein Kulturschock.
Wie lange hat es gedauert, bis Sie angekommen waren?
Das hat sicher ein Jahr gedauert. Dieser Zeitraum prägt mich noch heute, bei meinen Entscheidungen, aber auch im Umgang mit Veränderungen meiner Brüder: Wenn etwas Neues kommt und es sagt mir nicht zu, dann gebe ich den Veränderungen Zeit. Wenn es sich nach einem Jahr immer noch ungut anfühlt, dann geh es an! Es ist erstaunlich, wie man persönlich wächst, wenn man schwierige Zeiten durchsteht.
Nach ein paar Jahren in Münster ging es nach Rom. Sicher eine andere Welt als Mexiko.
Es kam die Frage, ob ich nicht nach Rom gehen wollte – als Missionsverantwortlicher für den Orden. Das habe ich erstmal abgelehnt, aber beim zweiten Mal ging das nicht mehr. Es folgten zehn Jahre im Generalat im Einsatz für die Mission der Kapuziner weltweit. Das war eine sehr spannende Zeit mit vielen Reisen und Begegnungen. Anschließend arbeitete ich dann nochmal vier Jahre im Vatikan. Diese Zeit hat in mir die Erfahrung von Weltkirche und Weltorden verankert. Entgegen so mancher Auffassung besteht Rom nicht nur aus Kontrolle und Vorschriften. Viele sind dort sehr bemüht, Fortschritt zu erreichen und weltweit Dinge anzuregen.
Als Sie in den Orden eingetreten sind, war das Ansehen von Kirche und Orden ganz anders als heute. Wie fühlt sich das an?
Auf den ersten Blick ist das natürlich nicht schön und wenig aufbauend, wenn man sich selber immer wieder fragen muss: Bist du am richtigen Ort, ist das überhaupt richtig, was du tust? Ist diese Institution völlig verloren? Auf der anderen Seite ist dieser Prozess vielleicht gar nicht so dramatisch: Wir gehen von einer gesellschaftsgeprägten Art der Kirche hin zu einer hoffentlich aufrichtigeren und überzeugteren Glaubensgemeinschaft. Diese ist nicht mehr so groß und besitzt auch weniger Macht. Es rückt mehr in den Fokus, was uns antreibt: Wir wollen franziskanische Werte in der Gesellschaft leben und diese Gesellschaft mitgestalten. Da spielt das Evangelium die Hauptrolle.
Lassen Sie uns über die Veränderungen im Orden sprechen, die in den nächsten Jahren anstehen. Zuallererst: Ist es schwieriger, einen Veränderungsprozess in demokratisch verfassten Orden zu organisieren als in einer Unternehmenshierarchie?
Das ist ein spannender Punkt, ich empfinde es so. Es ist tatsächlich schwieriger, weil es im Orden keine starken Hierarchien mehr gibt. Und ich suche mir meine Mitarbeitenden ja auch nicht auf dem freien Markt aus, sondern ich habe Mitbrüder mit sehr unterschiedlichem Charakter und Eigenschaften. Wir sind eine Lebensgemeinschaft, wir leben zusammen.
Kapuziner leben von dem, was uns die Leute spenden und was wir durch unsere Arbeit erwirtschaften.“
Was ist die Lösung für diese Komplexität?
Ich glaube, dass es wichtig ist, unseren Weg und die Entscheidungen spirituell zu begründen und anzugehen. Wir müssen gemeinsam verstehen, dass der eingeschlagene Weg in die gleiche Richtung geht, wie wir ihn vor vielen Jahren oder Jahrzehnten gewählt haben.
Ganz konkret: Was bedeutet es, wenn die Kapuziner in Zukunft „mit leichtem Gepäck“ unterwegs sein wollen?
Ich nenne Ihnen ein konkretes Beispiel, das wir hier in München leben. Wir haben das große Kloster St. Anton abgegeben und leben mit sechs Brüdern in einem kleinen Anbau daneben. Dieser Raum ist leicht zu erhalten und zu pflegen. So eine Lösung brauchen wir auch an anderen Orten. Wir haben insgesamt zu viele überdimensionierte Häuser. Wir können die Kosten nicht mehr stemmen und haben auch nicht die ausreichende Anzahl der Brüder dafür. Konkret bedeutet „mit leichtem Gepäck“ also, dass wir in Zukunft an manchen Orten nur noch einen Flügel des Klosters bewohnen können. Oder ein Kloster ganz aufgeben müssen. Wir müssen Freiräume dafür schaffen, damit wir Kapuziner unseren eigentlichen Auftrag erfüllen können: geistliches Leben und mit den Menschen um uns herum in Kontakt kommen.
Welche Klöster sind betroffen?
Wir haben uns schon vor wenigen Wochen aus Stühlingen verabschiedet, Ingolstadt wird folgen. In Zell wird es einen Umzug vor Ort geben. An den Orten Frankfurt und Münster schauen wir uns die Situation zurzeit an. Wir werden alle diese Dinge zeitnah und transparent kommunizieren, das ist der ausdrückliche Wunsch der neuen Leitung. Das sind wir unseren Freunden vor Ort, den Angestellten und den Mitbrüdern schuldig. Kommunikation ist uns wichtig. Auf unserer Homepage oder in unserem Newsletter finden Sie immer den Stand der Dinge.
Wie sieht die Provinz in zehn Jahren aus?
In zehn Jahren wird unsere Provinz keine deutsche Provinz mehr sein, sondern eine deutschsprachige Provinz. Auf diesem großen Gebiet wird es höchstens zehn große Häuser geben, einige davon Leuchtturmprojekte und Neuaufbrüche. Wir werden weiterhin junge Brüder in unseren Reihen haben. Wir gehen froh und zuversichtlich in die Zukunft.
Wir müssen auch über das Geld sprechen. Der Provinz fehlen nicht nur die Brüder, sondern auch das Geld.
Ja, und das möchte ich auch klar benennen. Wir hatten in der Vergangenheit die Situation, dass wir mit den arbeitenden Brüdern so viel verdienen konnten, dass wir die Ausgaben für die Alten und Kranken und auch für die ganz jungen Brüder gestemmt haben. Das geht heute nicht mehr. Die Preise steigen, die Pflegekosten, die Lasten für Gebäude auch. Es passt nicht mehr zusammen.
Die Kapuziner leben nur von Spenden und dem Ertrag eigener Arbeit. Bekommen Sie keine Kirchensteuern?
Nein, auch wenn das viele annehmen. Wir bekommen Gehälter von den Diözesen, wenn Ordensleute dort als Priester arbeiten. Kapuziner leben von dem, was uns die Leute spenden und was wir durch unsere Arbeit erwirtschaften.
Was sind die größten Kostenfaktoren?
Die großen Gebäude, für die wir die Verantwortung tragen. Das sind etwa Renovierungen von Kirchen, aber auch Brandschutzvorgaben – und da reden wir über große Summen.
Kapuziner-Sein ist ein Lebensmodell, das auf viele Fragen der heutigen Zeit gute und sinnstiftende Antworten gibt.
Können Sie Klöster nicht verkaufen?
Die große Mehrheit unserer Klöster gehört uns gar nicht. Das ist in der Geschichte unseres Ordens verwurzelt. Heute gehören diese Grundstücke einer Pfarrei, einem Kirchenfond oder einer Diözese. Oft leben wir zwar mietfrei, aber tragen die Baulast. Diese Baulast ist mit hohen Kosten verbunden, die wir nicht mehr stemmen können. Die wenigen Grundstücke, die uns gehören, sind für die Altersversorgung hinterlegt, an die können wir kaum heran.
Sind diese Herausforderungen ein Problem, um junge Männer vom Kapuziner-Sein zu überzeugen?
Nein, das glaube ich nicht. Im Gegenteil: In den ersten Gesprächen, die ich in den letzten Monaten geführt habe, wird dieser Weg, uns neu aufzustellen und die Kräfte zu bündeln, gerade von jungen Menschen unterstützt und begrüßt. Mit leichtem Gepäck unterwegs zu sein, ohne die Bürde mancher Aufgabe, ist ja auch für unsere jungen Ordensbrüder eine Chance, ihr Charisma an der richtigen Stelle frei einbringen zu können. Das wollen wir ihnen ermöglichen, auch dazu dient diese Neuaufstellung.
Warum sollte ein junger Mann Kapuziner werden?
Kapuziner-Sein ist ein Lebensmodell, das auf viele Fragen der heutigen Zeit gute und sinnstiftende Antworten gibt. Einfach leben, ohne Besitz. Die Gemeinschaft, in der die Brüder gemeinsam in einer Beziehung mit Gott leben, trägt uns. Und gerade wir Franziskaner haben eine Menge zum Thema Bewahrung der Schöpfung und Nachhaltigkeit zu sagen. Mir ist schon klar, dass keine Massen kommen werden. Aber es wird eine Zahl junger Leute geben, die das Leben in der Kapuziner-Gemeinschaft für ein erstrebenswertes alternatives Lebensmodell hält.
Wenn Sie heute Franz von Assisi treffen würden, welche Frage würden Sie ihm stellen?
Ich würde gerne wissen, was er dem Papst in der aktuellen Situation der Kirche heute raten und sagen würde. Und den heiligen Franz fragen, ob er das mit seiner strengen Auslegung des Gehorsams im Orden auch heute noch so sehen würde.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Tobias Rauser