
FOTO: KAPUZINER
Br. Guido Kreppold
wurde 1939 in Lukka geboren und trat mit 20 Jahren in den Kapuzinerorden ein. Der Priester und Psychologe lebt im Kapuzinerkloster in Ingolstadt.
Ist Gott überflüssig geworden?
Wenn Gott und Kirche in der Gesellschaft verschwinden, dann gilt dennoch: Gott ist nicht tot. Der Weg zu einer Gotteserfahrung, die nicht einengt, sondern Freiheit, Liebe und Entfaltung ermöglicht, ist auch heute möglich und nötig, sagt Br. Guido Kreppold.
„Gott ist tot.“ Das sagte vor mehr als 100 Jahren Friedrich Nietzsche. „Die Kirche ist am Nullpunkt.“ Das sagte erst vor kurzem das Oberhaupt der Diözese München. Gott ist aus dem Lebens- und Gedankenkreis eines großen Teils der Bevölkerung verschwunden, ebenso die organisierte, wahrnehmbare Kirche. Müssen wir das ratlos alles nur hinnehmen?
Am besten ist es, wenn wir auf Jesus selbst zurückgehen. Seine erste Rede in Kapharnaum (Mk 1,21–28) ist ein Muster für das weitere Wirken. Die Anwesenden reißen Mund und Ohren auf. Jedes Wort schlägt ein und lässt sie nicht mehr los. Es ist eine Atmosphäre im Raum, in der keiner mehr hustet oder aus Langweile mit Füßen scharrt. Sie hätten ihm stundenlang zuhören können. Dabei redet er „nur“ von Gott. Es wird weitergesagt als die neueste, wichtigste Nachricht, die Massen in Aufregung versetzt. Es ist eine Kraft in seiner Sprache, in seinem Blick, in seiner Berührung, welche zutiefst aufwühlt, erschüttert. Manche schreien auf oder weinen vor Freude, andere können nicht mehr aufhören, Gott zu loben, werfen alles hin, geben das Letzte und können sich nicht mehr von ihm trennen. Dies zeigt die Spur, auf der wir heute Gott suchen können.
Gott ist innen.
Der Wendepunkt für Kirche und Gesellschaft liegt in der Tiefe der eigenen Existenz, an jenem Punkt unserer Person, an dem wir wie die Leute von damals zutiefst betroffen sind. Oft sogar so, dass Tränen fließen und die Stimme versagt. Dann muss man nicht etwas glauben oder machen, es geschieht etwas mit einem. Der alte Ausdruck dafür ist „Gnade“. Diese Erfahrung ist jedem möglich, ganz gleich, ob jemand an Gott glaubt oder nicht. Darin zeigt sich ein neues Gottesbild: Nicht mehr eines, welches das Leben einengt, sondern eines, in dem wir uns entfalten, wo Freiheit und Nähe zugleich möglich sind, wo die Liebe gelingt.
Die Aufgabe besteht nicht darin, jemand mit Argumenten zuzuschütten, sondern uns selbst und anderen die Chance zu geben, sich dem zu öffnen, was zuinnerst nahe geht, was schmerzt und was hoffen lässt. Dies ist in einer therapeutischen Begegnung und in jedem vertrauensvollen Gespräch über das eigene Schicksal möglich.
Die andere Spur ist die der absoluten Stille, welche die großen Mystiker schon immer verfolgten und die über die fernöstliche Meditation bei uns neu entdeckt wurde. Gemeint ist eine Stille, die mehr ist als nur schweigen. Eine Stille, die von sich aus wirkt, die immer neu anzieht. Viele spüren das, wenn sie ihren Urlaub in einem Meditationshaus oder in einem Kloster verbringen. Religiöse Inhalte, Bilder, Worte: All das wird lebendig, man spürt das Heilige einer Kirche, der heiligen Handlungen, man hört die Texte anders. Beten macht wieder Freude. Wenn Gott aus dem Horizont verschwindet, dann gilt: Nicht Gott ist tot, sondern das religiöse Organ. Aber es kann zu neuem Leben geweckt werden, das sogar stärker ist als die Strömung der Zeit.