
FOTO: KAPUZINER
BR. Othmar Noggler
wurde 1934 in Meran im Bistum Bozen-Brixen geboren. Er ist seit 1957 Kapuziner und wurde 1963 zum Priester geweiht. Br. Othmar lebt im Kloster „St. Anton“ in der bayerischen Landeshauptstadt München.
Kapuziner in Chile: „Kampf ums Lebensrecht der Mapuche“
Die Geschichte der bayerischen Kapuziner in der chilenischen Region Araukanien ist eng mit dem Kampf um die Rechte des indigenen Volkes der Mapuche verbunden. Was die Mission in Chile ausmachte und wie die Situation heute ist, sagt Br. Othmar Noggler im Interview.
Wann begann die Geschichte der Kapuziner in Araukanien, einer Region in Chile, in denen das indigene Volk der Mapuche lebt?
Die Geschichte der Kapuziner in Chile beginnt 1837 mit italienischen “Apostolischen Missionaren“, zu ihnen stieß 1848 der erste Bayer. 1886 eilten den inzwischen alten Italienern sechs bayerische Mitbrüder zu Hilfe. Im Jahr 1900 übernahm die bayerische Provinz das Missionsgebiet Araukanien. Auf dem Höhepunkt der Mission 1932 waren dort 78 Kapuziner tätig. Etwa die Hälfte davon waren als Laienbrüder in Verwaltung und Handwerksausbildung tätig.
Welche Situation herrschte 1896 in Chile?
Chile wurde 1820 unabhängig und erbte die schwierige Geschichte der Kolonialmacht Spanien. Diese hatte allerdings im Vertrag von Quillín vom 6. Januar 1641 die territoriale Eigenständigkeit der Mapuche anerkannt. Für die Mission bedeutete das zum Beispiel, dass die Region selber entscheiden konnte ob, wann und wie lang Missionare ins Land durften.
Als die bayerischen Kapuziner kamen, war es mit dieser Eigenständigkeit schon wieder vorbei.
In der Tat. Ab 1861 begann die gewaltsame Angliederung, die im Jahr 1883 aus Sicht der Zentralregierung erfolgreich endete. Als die bayerischen Kapuziner kamen, war die grausame und kriegerische Eroberung des Gebietes also etwas mehr als zehn Jahre her. Man hatte das Mapuche-Land zum Staatsland erklärt und angeworbenen Kolonisten, viele davon deutscher Zunge, das Land übertragen. Das hatte dramatische Folgen für die ursprüngliche Bevölkerung. Armut und bis heute andauernde soziale Konflikte waren die Folge.
Wie haben sich die bayerischen Kapuziner in dieser Lage verhalten, auf welcher Seite standen sie?
Einer der ersten Kapuziner, Siegfried Schneider, wird so zitiert: „Wir brauchen hier vom Evangelium nicht viel erzählen, solange die Mapuche so behandelt werden.“ Die Ordensleute entwickelten ein großes Interesse an Sprache und Kultur. Zur Aufgabe der Mission kam also auch das Studium des Lebens vor Ort und das soziale Engagement, sowie Bildung. Ich kann jemandem nur glaubwürdig von Gott erzählen, wenn ich ihn auch verstehe. Kurz: Es war ein Kampf ums Lebensrecht der Mapuche in diesen Jahren.
Wie fanden der Staat und die Kolonisten im Land das?
Der „Indianeradvokat“ P. Siegfried brauchte sogar Leibwachen für sein Wirken, da ihm Kolonisten aufgrund seines Engagements für die Mapuche nach dem Leben trachteten.
Wie lief es denn mit der Mission?
Die Kapuziner haben es verstanden, die alten Traditionen und den vorhandenen Ein-Gott-Glauben entsprechend zu werten und in die Verkündung zu integrieren. So gab es z. B. einen Gottesdienst, der mit dem von den Mapuche ererbten Ritual als deren Altem Testament begann und mit einer Eucharistiefeier mit dem Bischof ins Neue Testament wies. Auf diese Weise haben unter Katholiken die alten Riten überlebt.
Kann man grundsätzlich zusammenfassen, dass der soziale Gedanke in dieser Mission der prägende Leitstrahl ist?
Ja, das ist gut formuliert. Katholisch sein bedeutet immer auch, den Sozialbereich mitzudenken. Den Kapuzinern vor Ort war wichtig, dass die Mapuche ihre Rechte zurückbekommen und dass auch sie Schulbildung und Ausbildung besitzen.
Sie waren auch eine kurze Zeit in Chile. Wie kam das?
Ich habe mich schon beim Eintritt in den Orden für die Mission interessiert. In den sechziger Jahren hatte ich hier in Deutschland die Möglichkeit, Gastarbeitern in ihren Nöten beizustehen und spanisch zu lernen. Der damalige Provinzial entschied, dass ich Pastoraltheologie studieren sollte, um anschließend nach Chile zu gehen. Diese Pläne wurden jedoch aus politischen Gründen ad acta gelegt. Im Rahmen meines Studiums durfte ich mich in meiner Dissertation sehr ausführlich mit der Mission in Chile beschäftigen und konnte zu Recherchezwecken ins Land reisen. Das war 1963. Für ein halbes Jahr arbeitete ich als Pfarrer und lernte das Land genauer kennen. Auch später war ich noch ein paar Mal kurz im Land.
In den kommenden Jahren sank die Zahl der Kapuziner in Chile.
Richtig, so war es aber auch geplant. Das Ziel war immer, eine selbstständige Ortskirche aufzubauen und sich dann zurückzuziehen. Der Orden stand hintenan – es ging in erster Linie um die Kirche. So wurde auch das Priesterseminar in Chile sehr viel früher gegründet als das Noviziat der Kapuziner. Im Jahr 1973 ist der letzte bayerische Kapuziner nach Chile übergesiedelt.
War das Projekt von Erfolg gekrönt?
Ja. Auf jeden Fall kirchlich ist das so, es gibt heute eine funktionierende Diözese vor Ort. Was den Orden angeht: Es gibt Kapuziner im Land, die aber aufgrund ihrer kleinen Anzahl ganz aktuell in die Provinz Brasilien integriert werden. Drei deutsche Kapuziner leben noch im Land, unter anderem der deutsche Bischof emeritus Sixtus Parzinger. Und wenn wir von Erfolg sprechen: Es ist auch ein Erfolg und ein Erbe der Kapuziner, dass die Region Araukanien ihre eigene Identität gefunden hat.
Wie sieht es heute um die Rechte der Mapuche aus?
Das ist bis heute nicht ausgefochten. Dennoch gibt es formale Fortschritte. Die Rechte der indigenen Bevölkerung werden mittlerweile auch in Chile anerkannt und es gibt kleinere Erfolge, wenn unrechtmäßig erworbenes Gebiet wieder zurückgegeben wird.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Tobias Rauser