

FOTO: KNA/KAPUZINER
Stadtdekan Johannes zu Eltz (links)
und Bruder Christophorus Goedereis
„Wir müssen jeden Stein umdrehen“
In welcher Lage befindet sich die Ökumene in Deutschland? Was spricht für ein gemeinsames Abendmahl? Johannes zu Eltz, Stadtdekan von Frankfurt, und Bruder Christophorus Goedereis, Provinzial der Deutschen Kapuzinerprovinz, im Gespräch über verhärtete Fronten, Frustration und Hoffnung sowie den Reichtum der Gegensätze.
Wie würden Sie die Lage der Ökumene in Deutschland in wenigen Sätzen beschreiben?
Johannes zu Eltz: Da kommt mir der Begriff des Quantensprungs in den Sinn. Das sind unregelmäßige und auch nur schwer berechenbare Sprünge, die etwas Ruckartiges, Überraschendes und auch Beunruhigendes haben. Sie bringen Sicherheiten durcheinander. Im ökumenischen Sinne stehen wir vor einem Quantensprung und sollten die Muskeln spannen, um diesen Sprung zu meistern. Wir springen in einen neuen, unbekannten Zustand von Kirchlichkeit durch eine Entwicklung, die die Gesellschaft vorgibt. Wir als Kirche müssen reagieren – ob wir wollen oder nicht.
Christophorus Goedereis: Wenn ich das Bild vom Sprung aufgreifen darf: Mir kommt es so vor, als hätten wir in Sachen Ökumene im Laufe der letzten Jahrzehnte immer wieder zwei Schritte vor und einen zurück gemacht. Mit der Zeit kommt man aber auch damit voran. Von meiner persönlichen Biographie her habe ich das Gefühl, dass wir schon mal weiter waren. Ich teile zwar die Hoffnung des Stadtdekans auf den Quantensprung, bin aber diesbezüglich auch skeptisch. Ich frage mich, wohin der Sprung gehen soll und ob im Becken auch wirklich genügend Wasser ist. Immer nur springen, ob wohl es eigentlich verboten ist, das finde ich schwierig.
In der Öffentlichkeit wird meist das Thema „gemeinsames Abendmahl“ diskutiert. Was spricht aus Ihrer Sicht dafür?
Johannes zu Eltz: Es gibt eine Spannung, die dann entsteht, wenn Menschen dasselbe auf verschiedene Weise tun. Ich finde, man muss diese Spannung aushalten, da sie menschlich wie spirituell sehr bereichernd ist. Aus klug gemanagten Gegensätzen entsteht Leben – bei Menschen und in der Kirche. Ja, es gibt Unterschiede. Aber wenn wir darauf verzichten, eine Einheitsliturgie zu erzeugen, mit der dann beide nicht zufrieden sind, kann man dennoch im Glauben die Überzeugung gewinnen, dass der andere, der dasselbe auf eine andere Weise tut, in derselben Weise dem Ursprung und dem Wunsch Jesu, seiner Stiftung und seinem Vermächtnis treu bleibt.
Ökumene ist das Ereignis, in dem Gegensätze lebendig gehalten werden.
Das fasziniert mich auch persönlich so an der Ökumene: Was macht es mit mir, wenn ich es für möglich halte, dass nicht nur ich selber in meiner Tradition die Treue zu Jesu Auftrag wahre? Sondern dass vielleicht auch der andere, der das auf eine dezidiert ungleiche Weise mit einem anderen Verständnis tut, sich auf Jesu legitimierende Zustimmung berufen kann? Das ist für mich der entscheidende Punkt geworden. Ökumene ist das Ereignis, in dem Gegensätze lebendig gehalten werden.
Das sehen viele, vor allem in Rom, anders. Es gibt massiven Widerstand.
Johannes zu Eltz: Wenn der andere auf meinem Feld anders ist und anders handelt als ich, dann irritiert mich das gewaltig. Und Unsicherheit, das ist ein natürliches Bestreben, versucht man loszuwerden. So wird die Eucharistie als Mittel zum Zweck zur Stärkung der Zusammengehörigkeit und des Selbstgefühls der eigenen Gruppe verwendet. Ich habe aber die Hoffnung, dass alle, sogar Kirchenleitungen, am Ende verstehen werden, dass es die Zukunft sichert, wenn wir diesen Reichtum der Gegensatzspannung pflegen. Ich glaube, dass man gescheite Leute zu dieser Erkenntnis bringen kann.
Wie kann das gelingen? Man hat oft das Gefühl, in dieser Debatte geht’s um Politik und Prinzipien.
Johannes zu Eltz: Wir werden die reformselige, unbedarfte Stimmung der späten 60er-Jahre nicht zurückbekommen. Wir müssen jeden Stein umdrehen, um auch theologisch ein durch und durch reflektiertes und überzeugendes Ergebnis zu produzieren.
Was ist Ihr Eindruck, Br. Christophorus? Gibt es ausreichend Dialog oder sind die Fronten verhärtet?
Christophorus Goedereis: Ich habe das gemeinsame Abendmahl in früheren Jahren ganz selbstverständlich und unproblematisch gefeiert. Das würde ich heute wahrscheinlich so nicht mehr machen. Damals habe ich es als stimmig erlebt, aber ich stimme dem Stadtdekan zu: Wir müssen die Steine einzeln umdrehen und theologisch echte Feinarbeit leisten. Und das Ganze mit einer inneren Überzeugung angehen, und nicht aus einer kämpferischen Haltung heraus. Das wäre wichtig. Und der erste Schritt dazu scheint mir die eucharistische Gastfreundschaft zu sein.
Wir müssen die Steine einzeln umdrehen und theologisch echte Feinarbeit leisten.
Praktizieren Sie denn ganz konkret diese eucharistische Gastfreundschaft?
Christophorus Goedereis: Ich habe das letzte Mal in den 90er-Jahren mit einer evangelischen Pfarrerin oder einem evangelischen Pfarrer am Altar gestanden. Danach hat sich die Gelegenheit nicht mehr ergeben, ich habe sie allerdings auch nicht gesucht oder wirklich vermisst.
Wie würden Sie es heute halten?
Christophorus Goedereis: Mir gefällt der Gedanke der eucharistischen Gastfreundschaft und ich würde diese auch heute praktizieren, vor allem im kleineren oder vertrauten Kreis. Anders sieht es aus, wenn es um einen Gottesdienst mit großer Öffentlichkeitswirkung geht. In diesem Fall würde ich mich fragen, ob die eucharistische Gastfreundschaft in dieser konkreten Situation einen Zuwachs an Ökumene, Dialog und Gemeinschaft bringt, oder ob ich durch mein Handeln eher provoziere. Dann würde ich es bleiben lassen.
Die Frage nach dem gemeinsamen Abendmahl stellt sich noch stärker, wenn ein katholischer Christ in einer evangelischen Kirche kommuniziert.
Johannes zu Eltz: Das ist in der Tat so. Was passiert, wenn Katholiken in eine Abendmahlsfeier gehen, um dort ihre Sonntagseucharistie zu feiern? Was, wenn eine Pfarrerin dem Gottesdienst vorsteht? Wenn ich es glauben kann, dass die Pfarrerin mit ihrer Treue zum Ordinationsversprechen und der liturgisch richtigen evangelischen Abendmahlshandlung, Christi Leib und Blut auch für mich zugänglich machen kann, dann ist, ohne dass man darüber reden muss, die Frage von Zölibat und Frauenpriestertum auch für uns beantwortet. Das sollten wir uns eingestehen.
Aus Sicht mancher bedeutet Ökumene eine Art „Rückkehr-Ökumene“. Sprich: Die einen müssen sich auf die anderen zubewegen, weil diese die einzig wahre Kirche ist. Wie stehen Sie zu diesem Begriff?
Johannes zu Eltz: Die Haltung, die hinter diesem Begriff steht, die ist so lebendig wie eh und je. Sie ist sogar eher noch härter geworden, weil die mit Stärke einhergehende Bereitschaft zur Großzügigkeit und zur Selbstkritik in dieser Zeit einer Schwächung des katholischen Zeugnisses seltener geworden ist.
Frustriert Sie das?
Johannes zu Eltz: Ja, das frustriert mich sehr. Vor allem, wenn solche Leute in leitender Verantwortung sind. Es frustriert mich auch, dass meine Kirche keine Verfahren vorsieht, die dafür sorgen, dass in Leitungspositionen Leute hineinkommen, die zu anderem Handeln fähig sind, auch von ihren persönlichen biographischen Voraussetzungen her. Ein angstbeißerischer Oberer mit verdeckten Aggressionen, die er selber nicht kennt, ist eine echte Herausforderung für die Gemeinschaft. Und das bekümmert mich ganz besonders dann, wenn es mit einer Hingabehandlung wie der Eucharistie verbunden ist.
Es frustriert mich , dass meine Kirche keine Verfahren vorsieht, die dafür sorgen, dass in Leitungspositionen Leute hineinkommen, die zu anderem Handeln fähig sind.
Es ist für mich ein schreiend lauter Wertungswiderspruch, wenn Jesus, der sich zerbrechen lässt, mit entgegengesetzten Methoden in einer Wagenburg hinter hochgezogenen Zäunen verteidigt wird. Das muss man doch spüren, wenn man das Evangelium verkündet! Jesus sagt: Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Und dann verweigert man Leuten die Kommunion, die diese Erquickung suchen und sie gerne hätten. Was wir da anrichten, die ist wirklich vom Bösen, eine Herzlosigkeit, für die es keine christliche Entschuldigung gibt.
Br. Christophorus, empfinden Sie das ähnlich mit dem Frust?
Christophorus Goedereis: Menschen, die denken, alles könnte den Bach runtergehen, nur weil jemand anders denkt als sie selber, kenne ich auch, aber die stehen auf der falschen Seite. Vielen fehlt aber auch die persönliche oder die nationale Biographie, um zu einer ökumenischen Weite zu gelangen.
Ich hoffe sehr, dass diesbezüglich recht bald ein paar Quantensprünge kommen. Sie müssen kommen.
Die Umbrüche in Gesellschaft und Menschheit sind allerdings mittlerweile so groß, dass die Kirche nicht einfach nur sagen kann: Wir sitzen auf unserem Lehramt und Naturrecht und von diesem Weg weichen wir nicht ab. Ich hoffe sehr, dass diesbezüglich recht bald ein paar Quantensprünge kommen. Sie müssen kommen.
Wie könnte es in zehn Jahren aussehen?
Johannes zu Eltz: Zur Zukunft habe ich keine Prognose, mir reicht die Gegenwart. Das christliche Zeugnis in unserem Land hängt davon ab, dass wir offenherzig und wahrhaftig kommunizieren. Die Kraft Christi, die wir brauchen und von der wir leben, die hängt davon ab, dass wir der Wahrheit die Ehre geben. Auf der einen Seite Freundlichkeit und Demut, auf der anderen Seite eine hartherzige und herrschsüchtige Kirche, das geht nicht. Da muss sich die katholische Kirche in eine Jesusfrömmigkeit hineinstellen, bis hin zur Bereitschaft der Selbstentäußerung und der Unsicherheit durch Aufgabe von Grenzen und Definitionsmacht. All das hätte in der Person Jesu ein Vorbild. Da haben wir sicher noch einen Weg vor uns, aber ich bin frohen Mutes.
Wie sieht es bei Ihnen aus, Bruder Christophorus?
Christophorus Goedereis: Ich wünsche mir, dass der Heilige Geist uns alle neu immer wieder tiefer in die Wahrheit einführt. Es ist ja erst einmal schön, dass jeder von seiner konfessionellen Wahrheit überzeugt ist und die auch vertritt. Aber ich glaube, wir müssen uns auch auf der geistlichen Ebene aufeinander einlassen, den Weg ernsthaft und demütig weitergehen und miteinander ringen. Wenn wir das machen und die Unterschiede nicht einfach wegwischen, dann glaube ich, dass am Ende der Heilige Geist uns zu neuen Formen führt, die wir heute noch nicht kennen.
Herzlichen Dank nach Frankfurt und München für das Gespräch!
Das Interview führte Tobias Rauser