
FOTO: KAPUZINER/LEMRICH
BR. THOMAS DIENBERG
ist Direktor von IUNCTUS, dem Kompetenzzentrum für Christliche Spiritualität. Der Kapuziner arbeitet als als Professor für Theologie der Spiritualität an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Münster (PTH). Schwerpunkte seiner Arbeit sind unter anderem die franziskanische Spiritualität und die Spiritualität in Management und Führung.
Werte und Führung: „Spiritualität gehört zum Leadership“
Welche Rolle spielen Werte und franziskanische Spiritualität für Führungskräfte? Br. Thomas Dienberg, Professor für Spiritualität, arbeitet mit Unternehmern und sagt: „Im Alltag fehlt viel zu oft die Zeit für die Arbeit an der eigenen Person.“
Welche Bedeutung hat Spiritualität für Sie persönlich?
Br. Thomas Dienberg: Spiritualität ist für mich mein Lebenselixier. Sie speist sich aus meinem Glauben an einen Gott, der mit mir und uns auf dem Weg ist, der mir in dieser Welt begegnet und mich herausfordert, diesen Glauben immer wieder zu hinterfragen. Eine Leitfrage dabei ist: Mache ich wirklich ernst mit der Nachfolge Jesu? Wenn ich auf ihn schaue: Wo muss ich wie was verändern, oder altmodisch gesprochen: umkehren?
Liegt Spiritualität in der Gesellschaft im Trend?
Das kann man schon so sagen: Spiritualität ist absolut trendy. Allerdings ist es oft nicht klar, was Spiritualität eigentlich ist. Die einen verbinden sie mit Religion, die anderen sagen von sich, sie seien spirituell, aber nicht religiös. Wenn ich Spiritualität mit dem Geist oder der Quelle in Verbindung bringe, die mich trägt und unverzichtbar in meinem Leben ist, die mir Kraft und Leben schenkt, dann war Spiritualität eigentlich immer im Trend. Suchen nicht alle Menschen nach Sinn im Leben, ob religiös oder nicht?
Was ist „christliche“ Spiritualität?
Christliche Spiritualität, und das klingt so simpel und banal, ist das Leben in der Nachfolge Jesu. Er ist Maßstab und Regel, Orientierung und Herausforderung für mein Leben im Glauben, für meine Haltungen den anderen gegenüber, für Führung und Leitung im christlich-kirchlichen Kontext.
Die Arbeit an der eigenen Person ist für mich im Kontext von Führung und Leitung zentral.
Sollten sich auch Führungskräfte mit diesen Themen beschäftigen?
Ja, auf jeden Fall! Meine tiefste Überzeugung ist, dass ich als Führungskraft das wichtigste und auch wirksamste Instrument bin, das mir zur Verfügung steht. Das bedeutet, dass ich um meine Stärken und Schwächen, um meine Führungsprinzipien und vor allem um meine Quellen wissen muss. Was trägt mich und gibt mir Kraft? Was hilft mir, mit Krisen umzugehen und Konflikte auszuhalten? Was hilft mir in Zeiten des Scheiterns und im Umgang mit schwierigen Mitarbeitenden? Da spielt das Thema Spiritualität eine ganz gewichtige Rolle.
Ist das ein Aspekt der Mitarbeiterbindung?
Atmosphäre und Wertschätzung sind zwei der wichtigsten Säulen für die Mitarbeiterbindung. Wenn eine Führungsperson ständig das Christsein betont, sich aber im Verhalten gegenüber den Mitarbeitenden weder durch Wertschätzung und Respekt noch durch klare und transparente Kommunikation auszeichnet, dann wird sie die Mitarbeitenden nicht binden können. Umgekehrt: Eine gelebte und authentische Spiritualität, die sich in gelebten Haltungen ausdrückt, vermag Mitarbeitende zu binden. In der christlichen Spiritualität gibt es das schöne Wort von den Früchten: An den Früchten werdet Ihr sie erkennen. Und die Frucht einer Führungskraft, die aus ihrer Spiritualität heraus ihre Führung wahrnimmt, sind: Liebe, Gelassenheit, Geduld und respektvolles Handeln. Oder anders übersetzt: Wertschätzung, Wahrnehmung der einzelnen, Befähigung anderer und eine gute, offene Atmosphäre.
Sind Führungskräfte für diese Themen ausreichend sensibilisiert?
Die Arbeit an der eigenen Person ist für mich im Kontext von Führung und Leitung zentral. In der Arbeit mit Führungskräften erlebe ich das immer als sehr fruchtbar. Im Führungsalltag jedoch fehlt dazu oftmals die Zeit. Gerade die sogenannte Generation Z fordert Führungskräfte heute heraus, nach Werten zu fragen, authentisch zu sein und eine transparente Kommunikation einzuüben. Wer das nicht tut, verliert die Mitarbeitenden ganz schnell. Wir sehen das im Moment auch sehr stark im kirchlichen Kontext.
Geschwisterlichkeit: Gute Führung gelingt nur gemeinschaftlich, gerade in Zeiten wie heute.
Welche franziskanischen Werte sind für Führungskräfte interessant?
Für mich sind drei Werte aus der franziskanischen Spiritualität sehr wichtig im Zusammenhang mit Leadership. Zum einen die Armut: Es geht hier um eine tiefe Haltung, mir, dem Leben und dem anderen gegenüber. Es geht um das Loslassen und Sich-Einlassen, sich frei machen von, um für etwas und jemanden da zu sein: das Loslassen von Vorurteilen und Schubladen, das Loslassen von Festschreibungen. In dem Kleinen das Große suchen und finden, also auch andere zu ermutigen, bei sich selbst Fähigkeiten und Charismen zu finden, die sie nicht bei sich vermutet hätten. Die Kunst der kleinen Schritte – und vor allem auch der Mut zu Unvollkommenheit, zum Schwachen und Fragmentarischen. Und da bin ich beim zweiten Aspekt: Geschwisterlichkeit. Leben geht nur gemeinsam mit anderen. Gute Führung gelingt nur gemeinschaftlich, gerade in Zeiten wie heute. Flache Hierarchien, miteinander reden und sich vertrauensvoll offenbaren: die franziskanische Spiritualität steht dafür.
Und der dritte Wert?
Das dritte ist das „Mindersein“: Leadership im franziskanischen Sinne heißt Dienen wollen; dem einzelnen, der Gemeinschaft und dem Gesamt dienen wollen und Sorge dafür tragen, dass Wachstum und auch Umkehr gelingen können.
Viele Führungskräfte fragen meist zuerst nach dem Output. Was bringt mir als Unternehmerin oder Unternehmer die Beschäftigung mit „Spiritualität“ und „Leadership“ denn ganz konkret im Alltag?
Ja, das stimmt, und die Frage ist ja auch sinnvoll. Ich glaube, dass der Output der Beschäftigung mit Leadership und Spiritualität sehr groß ist: Ich überprüfe meine Quellen und stärke sie. Ich überprüfe meine Haltungen, meinen Führungsstil, mein Menschenbild und auch meine Rolle. Ich wende Tools professionell an, nicht um der Tools willen, sondern aus Sorge um das Ganze, um so besser und effizienter die Arbeit zu gestalten und das gemeinsame Ziel zu erreichen. Letztlich ist eine Vergewisserung meiner selbst, meiner Haltungen zum Leben, zum Mitmenschen und zur Welt ein ziemlich konkreter Output.
Sie sind Direktor von IUNCTUS, dem Kompetenzzentrum für Christliche Spiritualität. Wie gehen Sie dort das Thema an?
IUNCTUS arbeitet auf der einen Seite natürlich wissenschaftlich an diesen Themen, das heißt in Form von Forschungsprojekten und Publikationen. Doch den weitaus größeren Raum nimmt die Arbeit mit Führungskräften ein, vor allem in kirchlichen Organisationen wie Diözesen, Ordensgemeinschaften, Einrichtungen und Stiftungen im sozial-caritativen und im Gesundheitsbereich. Wir versuchen dabei sowohl auf die Haltungen zu schauen, aber auch auf relevante Instrumentarien, die einen Veränderungsprozess oder ein Meeting besser und auch effizienter, vor allem erfolgreicher werden lassen. Es ist ein gesunder Mix von Theorie, Anwendung und Training und Selbstreflexion. Wir haben ein Leadership-Programm mit Spiritualität entwickelt, das wir Organisationen vorstellen und es auch entsprechend ihrer Bedürfnisse verändern und fokussieren können.
Wie ist die Resonanz?
Sehr gut! Das Thema macht mir persönlich sehr viel Freude. Leadership gehört professionalisiert, dazu zählt vor allem auch die Auseinandersetzung mit der Spiritualität und den Quellen der jeweiligen Organisation, um so dem Geist noch mehr Raum zur Entfaltung geben zu können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Tobias Rauser