

FOTO: KIÊN HÓNG LÉ
BR. STEFAN REISCH
wurde 1972 in Memmingen geboren. Der gelernte Bankkaufmann trat 2007 in den Kapuzinerorden ein und legte 2014 seine ewige Profess ab. Der Kapuziner wird in Zukunft im Konvent der Kapuziner in Frankfurt leben und arbeiten.
Wie gehe ich mit meinem Nächsten um?
Br. Stefan Reisch ist Kapuziner und arbeitet unter anderem als Pförtner. Im Interview sagt der Ordensmann, was sein Dienst mit Fasten zu tun hat und wie er vom Bankschalter an die Klosterpforte gekommen ist.
Br. Stefan, wann saßen Sie zum ersten Mal an einer Klosterpforte und haben gedacht: Das ist etwas für mich?
Das war in meinem Juniorat, also in der Ausbildung zum Kapuziner. Dort verbrachte ich einen größeren Teil an der Pforte. Da wurde mir klar: Das könnte eine Aufgabe sein, die mich erfüllt.
Warum?
Mir gefällt die Begegnung mit Menschen. Und die Abwechslung: Ich weiß nie, was im Laufe des Tages auf mich zukommt. Es kann ein ruhiger Tag werden, aber auch sehr hektisch und fordernd sein.
Wer klopft an die Pforte im Kloster?
Zuerst muss ich sagen: Diese Personen wollen in erster Linie nicht zu mir, sondern haben ein Anliegen oder Fragen, die oft an jemand anderen gerichtet ist. Ich bin da nur der Vermittler. Die Menschen, die zu uns Kapuzinern kommen, sind sehr unterschiedlich. Viele arme Menschen klopfen an die Pforte, um bei uns etwas zu essen zu bekommen.
Was macht einen guten Pförtner aus?
Da würde ich eindeutig sagen: die Offenheit. Jeder darf kommen mit dem, was ihn gerade umtreibt. Das kann eine Kleinigkeit sein oder etwas Schwerwiegendes. Der Pförtner sollte versuchen, eine offene Tür und ein offenes Ohr zu bieten.
Wie bleibt man offen?
Ich mag Menschen. Jeder soll erst einmal unvoreingenommen willkommen sein. Aber natürlich ist das ein wechselseitiger Prozess, es kommt in einer längeren Beziehung auch darauf an, wie der andere mir begegnet.
Rückt denn jeder gleich raus mit der Sprache und seinem Anliegen?
Nein, deswegen ist wichtig, gut hinzuschauen. Es gibt ein Zusammentreffen, das mich nachhaltig bewegt. Es war Samstag und am Nachmittag kam ein Mann an die Pforte. Ich kannte ihn vom Sehen, er stand nur da und wartete auf jemanden. Ich hatte gleich das Gefühl, dass es ihm nicht gut ging und habe ihm geholfen, seinen Gesprächspartner zu finden. Erst später habe ich erfahren, dass sich die Frau des Mannes wenige Stunden zuvor das Leben genommen hatte. Er war bei uns, um mit jemandem zu reden.
In den nächsten Wochen geht es für Sie von Münster nach Frankfurt. Was warten dort für Aufgaben auf Sie?
(Anmerkung: Das Interview wurde Anfang 2023 geführt, mittlerweile lebt Br. Stefan in Frankfurt)
Auch dort werde ich unter anderem den Pfortendienst übernehmen. Die Details werden wir aber erst vor Ort klären. Den Menschen an der Pforte begegnen, Hospizbegleitung und geistliche Begleitung: Das alles wird in Frankfurt in ein gutes Verhältnis kommen.
Es gibt eine Bibelstelle, in der es indirekt um den Pfortendienst geht. In Jesaja 58 heißt es: „Ist nicht das ein Fasten, wie ich es wünsche: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, Unterdrückte freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen? Bedeutet es nicht, dem Hungrigen dein Brot zu brechen, obdachlose Arme ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deiner Verwandtschaft nicht zu entziehen?“ Ist das eine treffende Berufsbeschreibung?
Mir ist diese Bibelstelle sehr wichtig! Fasten ist heutzutage ja fast ein Modebegriff geworden, der mit Schönheit, Fitness und Body Maß Index in Verbindung gebracht wird. Dabei ist Fasten etwas anderes: Es geht nicht um das eigene Wurstbrot, sondern darum, wie Du dem Hungrigen, woran auch immer es ihm fehlt, begegnest. Das ist die Aussage dieser Stelle. Und das passt sehr gut für mich und meine Aufgabe an der Pforte.
Das Fasten findet in der Begegnung statt?
Ja, das ist genau das, was ich meine. Es ist nicht so: Ich verzichte auf Schokolode und bin damit ein besserer Mensch. Das widerlegen diese Zeilen. Jeder von uns ist aufgerufen, sich selbst zu fragen: Wie gehe ich mit meinem Nächsten um?
Schon bevor Sie Kapuziner geworden sind, hatten Sie viel Kontakt mit Menschen. Sie sind gelernter Bankkaufmann. Wie kommt man vom Bankschalter an die Klosterpforte?
Erst einmal möchte ich sagen, dass mir dieser Beruf viel wert ist. Ich schätze ihn immer noch sehr, auch und wegen des Kontaktes mit Menschen. Zu meinem Weg bei den Kapuzinern: Ab einem bestimmten Alter habe ich mir Fragen gestellt und mich auf die Suche gemacht. Ganz konkret kannte ich einen Priester, der mich fragte, ob ich auf den Weltjugendtag nach Köln mitfahren möchte. Das war 2005 und ich schon 33 Jahre alt. Die Frage habe ich erstmal mit ‚Nein‚ beantwortet. Zum einen war ich 33 Jahre alt und nicht mehr ganz zur Zielgruppe gehörig und eine Million Menschen, die zusammenkommen, sind dann doch ganz ordentlich. Dann habe ich überlegt und bin mit. Es war eine unglaubliche Woche, die alles verändert hat. Ich habe mich gefragt: Was ist mein Fundament?
Wie haben Sie diese Frage beantwortet?
Erst einmal habe ich mit dem Priester gesprochen und mich beschwert (lacht): „Da haben Sie mir ja etwas eingebrockt! Nun ist alles anders, was soll ich denn jetzt machen?“. Später bekam ich jede Menge Prospekte in die Hand, darunter einer von den Kapuzinern ‚Einfach – Engagiert – Evangelium‚. Knapp zwei Monate später war ich dann im Kapuzinerkloster Salzburg zur Klosterwoche und neue Wege öffneten sich.
Dann stand eine drastische Entscheidung an.
In der Tat. Es war der dritte Besuch bei den Kapuzinern über ein langes Wochenende. Am Montag kam ich dann zurück in die Bank und mein Kollege meinte nur: „Ich glaube, wir können dieses Jahr nicht so mit Dir planen, wie bisher.“ Er hatte Recht.
Interview: Tobias Rauser