

FOTO: KAPUZINER/LEMRICH
Aus der Angst kommen
Krieg, Klimakrise, Krankheiten: Die Weltlage ist furchteinflößend. Angst bestimmt das Leben vieler Menschen. Doch wie komme ich aus dieser Angst ins Handeln?
Angst essen Seele auf. Was seit einem Film aus den 70er-Jahren als geflügeltes Wort gilt, hat in den letzten Jahren an Dramatik gewonnen. Angst um die Gesundheit, Angst um die Demokratie und die Freiheit, Angst um die Zukunft unseres Planeten, Angst um den Frieden. Diese Liste ist nur ein Ausschnitt – und jeder kann diese Liste um eigene, persönliche Ängste verlängern.
Neu ist: Immer mehr junge Leute haben existenzielle Ängste. So glauben nur acht Prozent junger Erwachsener laut einer Zukunftsstudie der Allianz Foundation, dass die Menschheit den Kampf gegen den Klimawandel gewinnen kann. Achtzig Prozent der Befragten können nachvollziehen, wenn Menschen in diesen Zeiten zögern, Kinder zu bekommen. Fest steht: Der Krisen-Dauerbeschuss hat tiefe Furchen im Bewusstsein der jungen Generation hinterlassen. Sie sorgen sich um ihre Zukunft.
„Wovor habt Ihr Angst?“: Diese Frage stellte auch Br. Hans Pruckner, Kapuziner in Salzburg und dort als Lehrer tätig, seinen Schülerinnen und Schülern vor einigen Wochen im Unterricht. Die Antworten waren vielfältig: „Verlustängste, Jobsuche, Angst vor Krieg, auch die Sorge, ohne richtigen Partner einsam durchs Leben zu gehen: die Jugendlichen beschäftigen sich mit ihren 16 Jahren mit existenziellen Fragen“, berichtet der Ordensmann. Bei einigen jungen Menschen beobachtet Br. Hans einen Mix aus Gelassenheit und Verdrängung: „Mancher kapituliert vor der Anzahl negativer Schlagzeilen und versucht, sich auf seine nähere Umgebung zu konzentrieren.“
Doch wie verhindere ich, dass mich meine Angst lähmt? Was gibt Halt und Kraft zum Handeln? Br. Marinus Parzinger, der als Kapuziner und Seelsorger in Altötting lebt, ist immer wieder mit diesen Fragen konfrontiert. „Viele Menschen fühlen sich orientierungslos, sie haben Angst vor der Zukunft. Die Menge an Krisen weltweit erzeugt ein Gefühl der Ohnmacht und eine fast apokalyptische Grundstimmung“, sagt er. Die Reaktion auf die Ängste fällt dabei unterschiedlich aus: „Manche resignieren und sagen: Es ist schon zu spät. Andere kommen über die Angst ins Handeln. Es gilt, politisch zu sein, etwas zu verändern“, sagt Br. Marinus.
Auch die Bibel kennt das Thema „Angst“. Eine der beeindruckendsten Geschichten ist die vom Sturm auf dem See (Mt 14,22–33): Hier sind die Apostel ohne Jesus auf einem Boot unterwegs. Sie geraten in einen Sturm und bekommen Angst. Diese steigert sich noch, als Jesus kommt, denn sie erkennen ihn zuerst nicht, weil er auf dem Wasser daherkommt. Dann aber erkennt ihn Petrus, fasst sich ein Herz und läuft auf dem Wasser auf Jesus zu. Er geht unter, Jesus zieht ihn hoch und wieder ins Boot zurück.
Angst ist etwas Menschliches, das an ganz tiefe Schichten rührt, denn sie zeigt an: Da stimmt etwas nicht, etwas ist aus der Ordnung geraten und bedroht mich. Angst ist nichts Schlechtes. Sie will mich auf etwas aufmerksam machen. Und doch funktioniert genau das dann meist nicht so gut: Oft führt Angst zu Stillstand oder Überreaktion. Angst ist ein schlechter Berater, heißt es, denn in Erstarrung ist positives Handeln nicht möglich. Und genau dieses Handeln ist nötig, um die Angst abzustellen oder wenigstens zu mindern.
Um aus dieser Situation zu kommen, hilft es, rational auf die Gründe der Angst zu schauen: Ist es in diesem Moment wirklich so bedrohlich, wie ich denke? Ist die Situation hoffnungslos oder bleibt mir doch ein wenig Spielraum, um zu agieren?
„Wo ein Mensch aktiv wird, durch ein Gespräch oder ein kreatives Tun, kommt er aus seiner lähmenden Haltung heraus“, weiß Br. Marinus. Dabei können auch sehr kleine Schritte helfen. „Wenn ich mich auf Erreichbares konzentriere und damit Lasten abwerfe, dann habe ich eine gute Chance, aus der Angst und der Enge zu kommen“, sagt er. Denn das Erleben, dass sich etwas ändern kann, und sei es noch so wenig, ermutigt zum Weitergehen.
Hoffnung spielt dabei eine große Rolle, denn Hoffnung ist auf die Zukunft ausgerichtet. Und es kann helfen, sich zu vergewissern, dass man nicht allein ist. Das beobachtet auch Br. Hans bei seinen Schülerinnen und Schülern. „Wer Menschen vertraut, sich anderen anvertraut, der kann so einiges bewältigen“, sagt der Kapuziner. Auch deshalb wollte der heilige Franziskus, dass die Brüder in seinem Orden immer mindestens zu zweit unterwegs sind. Damit da jemand ist, an den man sich in seiner Angst klammern kann. Nicht zuletzt ist für Christinnen und Christen die größte Hoffnung, dass es Gott gibt. Einen Gott, der weiß, was Todesangst ist. Vor dem man nichts verstecken muss.
Text: Br. Jens Kusenberg und Tobias Rauser. Der Artikel ist zuerst in cap! erschienen.