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FOTO: KAPUZINER/LEMRICH

15. März 2024

Die freie Wahl des Franz von Assisi

Was bedeu­tet Frei­heit? Tun zu kön­nen, was man will? Franz von Assi­si ent­schied sich anders, in aller Frei­heit. Denn der freie Mensch ist fähig, sein Leben nicht zum Selbst­zweck zu machen. 

Franz von Assi­si war frei. Er war so frei, als jun­ger Mann von zuhau­se weg­zu­lau­fen. Die vier Wän­de des Lebens sei­ner Eltern waren ihm zu eng. Hier konn­te er nicht ent­fal­ten, was in ihm groß wer­den woll­te. Er litt an der Enge. Aber er wuss­te noch nicht, was in ihm wach­sen woll­te. Er ließ los, ohne etwas Neu­es ergrei­fen zu kön­nen. Er wuss­te, was er nicht woll­te: Kauf­mann wer­den wie sein Vater Pie­tro Ber­na­do­ne. So such­te er in ver­schie­de­ne Rich­tun­gen. Viel­leicht soll­te er den Ruhm eines Rit­ters anstre­ben? Das Unter­neh­men schei­ter­te. Zwei Mal. Krank­heit und Depres­si­on plag­ten ihn ange­sichts des Scheiterns.

Selt­sam hört sich das an. Im Beruf sei­nes Vaters, als Tuch­händ­ler, hät­te er in Wohl­stand und Anse­hen leben kön­nen. Für man­chen – damals wie heu­te – eine Bedin­gung, frei zu sein: tun und sich leis­ten zu kön­nen, was man will. Die­se Frei­heit such­te Fran­ces­co nicht. Sie kann­te er. Es war zu wenig – auch wenn die­se Sicher­heit von außen betrach­tet doch sehr viel zu ver­spre­chen scheint. Die Frei­heit, die er such­te, war eine andere.

Frei­heit ist ein durch­aus schil­lern­der Begriff ist: der Frei­heits­wunsch eines Men­schen, der im Gefäng­nis sei­ne gerech­te Stra­fe absitzt fühlt sich anders an, als die Frei­heits­sehn­sucht einer Frau, die in einem Sys­tem lebt, das ihr jede selbst­stän­di­ge Ent­fal­tungs­mög­lich­keit nimmt. Die unbe­küm­mer­te Frei­heit eines spie­len­den Kin­des fühlt sich anders an als jene eines Obdach­lo­sen, der sich aus den Rah­men­be­din­gun­gen des Sozi­al­staats her­aus­ge­löst hat. Was eigent­lich bedeu­tet die­ses Zau­ber­wort „frei“? Vie­les kann den Men­schen ein­engen – vom poli­ti­schen Sys­tem bis zu fami­liä­ren oder sozia­len Bedin­gun­gen, in denen er auf­wächst, die er nicht selbst gewählt hat.

Immer aber steht der Mensch in Bezü­gen und Bezie­hun­gen. Ein völ­li­ges Los­ge­löst­sein gibt es nicht. Stets muss der Mensch sich ver­hal­ten zu ande­ren, zu Eltern, Geschwis­tern, Mit­men­schen, Chefs, zum Staat, zu Geset­zen – und zu sich selbst. Man könn­te fra­gen, ob es Frei­heit über­haupt geben kann? So vie­les ist vor­ge­ge­ben und „gesetzt“. 

Frei­heit scheint in direk­ter Ver­bin­dung zu ste­hen zu zwei Wirk­lich­kei­ten, denen kein Mensch ent­kommt: alle ste­hen wir in Bezie­hun­gen – vogel­frei ist kei­ner. Und jeder Mensch steht in der Situa­ti­on, sich ent­schei­den zu müs­sen, wel­che Posi­ti­on er ein­nimmt ange­sichts des­sen, was ihn umgibt. Die „Frei­heit von“ ist das eine – die „Frei­heit für“ das ande­re. Wozu will ich mich frei machen, mich entscheiden?

Franz von Assi­si schäl­te sich her­aus aus den ver­schie­de­nen Umman­te­lun­gen, die ihn umga­ben. Aus dem Eltern­haus – unter Schmerz und Streit. Sei­ne Fehl­ver­su­che ent­hüll­ten im nächs­ten Schritt, was dem Kern der Sache auch nicht näher­kam – unter Ent­täu­schung und Trau­rig­keit über sich selbst.  Wel­chen Sinn konn­te sein Leben fin­den, wenn es nicht Reich­tum und Ehre waren? Alle Deck­män­tel und Mas­kie­run­gen abzu­le­gen war unab­ding­bar, wenn er das wesent­li­che ent­de­cken woll­te. Die Fra­ge „Wer bin ich?“ stell­te Franz von Assi­si betend und rin­gend, wenn er ein­sam durch die Wäl­der oder die Ebe­ne von Assi­si zog. Er war Anfang 20 damals.

Aus dem ein­sa­men Suchen und Beten fin­det er schließ­lich her­aus. Er wird neu in die Bezie­hung zur Welt, zum Men­schen, zu sich selbst geführt. Zumin­dest deu­tet er es in sei­nem Tes­ta­ment auf die­se Wei­se: ich wur­de geführt. „Du, Herr, hast mir gege­ben …“, for­mu­liert er rück­bli­ckend unge­fähr ein Jahr vor sei­nem Tod. Das Rin­gen, Beten, Nach­den­ken, Nicht­nach­las­sen und das Nicht-Zurück-Kön­nen führt ihn in die Begeg­nung mit einem Ausgestoßenen.

Eine prä­gen­de, eine befrei­en­de Begeg­nung, die in Fran­zis­kus und in dem ande­ren Außen­sei­ter tie­fe Kräf­te weckt. Fran­zis­kus hat­te sich selbst aus­ge­sto­ßen aus den gesell­schaft­li­chen Kon­ven­tio­nen. Der Aus­sät­zi­ge, der ihm begeg­net, wur­de auf­grund sei­ner Krank­heit geäch­tet und aus­ge­sto­ßen – unfrei­wil­lig. Dem Bedürf­ti­gen, Nack­ten, sei­ner Wür­de beraub­ten lie­be­voll zu begeg­nen, ver­wan­del­te sich für Franz in tie­fes Erfüllt­sein. Er erfuhr tie­fen Sinn. Und für die­se Erfah­rung ent­schied er sich – frei. Er bin­det sich neu – frei. Und das lässt ihn wachsen.

Tag für Tag wird er sich mehr und mehr dem zuwen­den, was von außen betrach­tet absto­ßend ist. Das sind die unheil­bar Kran­ken im Hos­piz. Das sind die Ent­täu­schun­gen, die sei­ne wach­sen­de Brü­der­ge­mein­schaft ihm berei­tet (und wer nicht auf einer ein­sa­men Insel lebt, wird vor Ent­täu­schung durch Men­schen nicht bewahrt blei­ben). Das ist die schon vor 800 Jah­ren zutiefst maro­de Kir­che, deren macht­hung­ri­ger Papst und deren unge­bil­de­te Seel­sor­ger vie­le Fra­gen auf­wer­fen. Das ist auch der eige­ne Leib, dem Fran­zis­kus gegen­über­steht: Ver­su­chun­gen wie auch chro­ni­sche Krank­hei­ten bis hin zur Blind­heit zeich­nen sein Leben.

Fran­zis­kus stellt sich nach Kräf­ten: er ent­schei­det sich frei für den Dienst an den Armen – und für die eige­ne Armut. Er nimmt die Brü­der an, die zu ihm kom­men und ver­sucht, mit ihnen ein Lebens­pro­gramm zu for­men und zu ver­wirk­li­chen. Er will die Bestä­ti­gung sei­ner Ordens­re­gel durch die römi­sche Kir­che – er will die­se „ver­run­zel­te“ Kir­che nicht im Stich las­sen son­dern in ihr das Evan­ge­li­um ver­wirk­li­chen, gegen alle Zwei­fel der Kurie. Er will in Frei­heit sich selbst ganz und gar in den Dienst, in die Fuß­spu­ren Jesu stellen.

Frei ent­schei­det er sich dazu. Er hät­te es anders haben kön­nen. Der freie Mensch ist dazu fähig, sein Leben nicht zum Selbst­zweck zu machen. Und dar­in liegt der Adel, zu der der Mensch fähig ist: in die­ser Hin­ga­be kann er zum „könig­li­chen“ Men­schen wer­den – zumin­dest schreibt Franz das in sei­ne Ordens­re­gel, genau in die Mit­te, hin­ein. Sol­che Men­schen beschen­ken die Welt.

Text: Br. Bernd Kober, Kapu­zi­ner in Frank­furt am Main

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