Interview

FOTO: OFMCAP.ORG

Raniero Kardinal Cantalamessa

wur­de 1934 in Ita­li­en gebo­ren. Er ist Kapu­zi­ner, Pries­ter und arbei­te­te lan­ge als Wis­sen­schaft­ler. Der Ordens­mann ist seit 2020 Kar­di­nal und war auch als Autor und Mode­ra­tor im TV tätig. Seit 1980 ist er offi­zi­el­ler Pre­di­ger des päpst­li­chen Hauses. 

27. Sep­tem­ber 2023

Es geht darum, Christus zu predigen“

Ranie­ro Kar­di­nal Can­tal­am­es­sa ist Kapu­zi­ner und offi­zi­el­ler Pre­di­ger des päpst­li­chen Hau­ses. Was das für ein Job ist, was eine gute Pre­digt aus­macht und war­um Jesus heu­te ein guter Fern­seh­pre­di­ger gewe­sen wäre, sagt der Ordens­mann im Interview.

Kar­di­nal Can­tal­am­es­sa, Br. Ranie­ro, Sie sind Kapu­zi­ner und der offi­zi­el­le „Pre­di­gers des Päpst­li­chen Hau­ses“. Was bedeu­tet das?
Das Amt des Pre­di­gers des Päpst­li­chen Hau­ses geht auf Papst Paul IV. und das Jahr 1555 zurück. Es wur­de von Ordens­leu­ten ver­schie­de­ner Orden, ins­be­son­de­re von Jesui­ten, aus­ge­übt. Bene­dikt XIV. über­trug es 1743 dau­er­haft dem Orden der Kapu­zi­ner. Seit­dem haben Kapu­zi­ner das Amt unun­ter­bro­chen inne.

Was genau machen Sie?
Der Papst fin­det die Zeit und hat die Demut, der Pre­digt eines ein­fa­chen Kapu­zi­ner­bru­ders zuzu­hö­ren! Gegen­wär­tig besteht mein Amt dar­in, für den Papst, die Kar­di­nä­le, die Bischö­fe, die Prä­la­ten die Mit­ar­bei­ter der Römi­schen Kurie und die Gene­ral­obe­ren der Orden jeden Frei­tag im Advent und in der Fas­ten­zeit eine Medi­ta­ti­on durch­zu­füh­ren. Bis vor drei Jah­ren fan­den die Pre­dig­ten in der Kapel­le „Redemp­to­ris Mater“ im Vati­kan­pa­last statt. Der Papst hör­te von einer klei­nen Sei­ten­ni­sche aus zu und kom­mu­ni­zier­te visu­ell mit dem Pre­di­ger, aber nicht mit dem Rest der Zuhö­rer­schaft. Papst Fran­zis­kus setz­te sich zum ers­ten Mal zu den ande­ren in der Kapel­le. Wäh­rend der Covid-Pan­de­mie wur­de die Pre­digt auf­grund der Grö­ße in die Audi­enz­hal­le Paul VI. ver­legt – und blieb danach dort. Die Pre­digt ist auch für Men­schen außer­halb des Vati­kans zugäng­lich und wird live auf You­Tube von der Web­site des Vati­kans übertragen.

Wie wird man denn „Pre­di­ger des Päpst­li­chen Hauses“?
Wenn ein Pre­di­ger den Dienst been­det, legt der Gene­ral­obe­re der Kapu­zi­ner dem Papst drei Namen vor, aus denen der Hei­li­ge Vater einen aus­wähl­te. Auf Vor­schlag des dama­li­gen Gene­ral­mi­nis­ters, Pater Pas­cal Rywal­ski aus der Schwei­zer Pro­vinz, wur­de mir Anfang 1980 die­ses Amt übertragen.

Erfül­le dein Herz mit Jesus und ver­kün­de ihn dann aus einer Über­fül­le von Liebe

Zuvor waren Sie Pro­fes­sor für Theologie.
Ja, zum Zeit­punkt mei­ner Ernen­nung war ich Pro­fes­sor für Alte Kir­chen­ge­schich­te und Patris­tik an der Katho­li­schen Uni­ver­si­tät Sacro Cuo­re in Mai­land. Ein Jahr zuvor hat­te ich jedoch den Ruf des Herrn erhal­ten, die uni­ver­si­tä­re Leh­re auf­zu­ge­ben, um mich ganz der Ver­kün­di­gung des Evan­ge­li­ums zu wid­men. Ich wuss­te nicht, wo und wie ich die­se neue Tätig­keit begin­nen soll­te! Aber ich fand es bald her­aus: Ich berei­te­te mich gera­de in einem klei­nen Klos­ter in der ita­lie­ni­schen Schweiz auf mei­nen neu­en Dienst vor, als ich einen Anruf aus Rom erhielt. Es war der Gene­ral­mi­nis­ter, der mir mit­teil­te: „Der Hei­li­ge Vater Johan­nes Paul II. hat Sie zum Pre­di­ger des Päpst­li­chen Hau­ses ernannt.“ Ich fand kei­nen guten Grund, nein zu sagen, und so muss­te ich mich in weni­gen Wochen dar­auf vor­be­rei­ten, die ers­te Fas­ten­pre­digt im Päpst­li­chen Haus zu hal­ten. Das war im Jahr 1980.

Sie sind seit 44 Jah­ren im Dienst und haben meh­re­re Päps­te gekannt. Sind die Päps­te gute Zuhörer?
Ich bin selbst erstaunt, dass die Päps­te den Momen­ten mei­ner Pre­digt so viel Bedeu­tung zuwei­sen. Sie geben damit ein außer­ge­wöhn­li­ches Bei­spiel für die gan­ze Kir­che. Ein­mal, in der Fas­ten­zeit, war Papst Johan­nes Paul II. auf einer Rei­se nach Mit­tel­ame­ri­ka und ver­säum­te zwei Pre­dig­ten. Als er am dar­auf­fol­gen­den Frei­tag kam, lös­te er sich von den Sekre­tä­ren und kam zu mir, um sich zu ent­schul­di­gen, dass er zwei Pre­dig­ten ver­säumt hatte.

Papst Bene­dikt XVI. war schon als Kar­di­nal einer der eif­rigs­ten Teil­neh­mer an mei­nen Medi­ta­tio­nen. Und ich kann ver­si­chern, es ist nicht all­zu ent­spannt, wenn der Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on in der ers­ten Rei­he sitzt. Bene­dikt XVI hat sich sogar bereit­erklärt, die Prä­sen­ta­ti­on des Buches zu schrei­ben, in dem mei­ne Medi­ta­tio­nen über den Pfingst­hym­nus „Veni Crea­tor“ ver­öf­fent­licht sind. Die­se fünf Medi­ta­tio­nen für die Fas­ten­zeit hat­te ich 2013 für Bene­dikt XVI. vor­be­rei­tet, aber sie blie­ben in der Schub­la­de, weil er kurz vor Beginn der Fas­ten­zeit sei­nen Rück­tritt vom Papst­amt ange­kün­digt hatte.

Sie haben 2013 auch die „Ermah­nun­gen an die Kar­di­nä­le“ verfasst. 
Zur Wahl des Nach­fol­gers von Bene­dikt XVI. wur­de ich vom Staats­se­kre­tär beauf­tragt, die ers­te von zwei „Ermah­nun­gen an die Kar­di­nä­le“ zu ver­fas­sen, was auch schon anläss­lich der Wahl von Bene­dikt XVI. im Kon­kla­ve 2005 gesche­hen war. Die­se Ermah­nun­gen haben einen dop­pel­ten Zweck: Sie sol­len den Kar­di­nä­len dabei hel­fen, die aktu­el­len Bedürf­nis­se der Kir­che zu erken­nen und sozu­sa­gen das Pro­fil des neu­en Paps­tes zu zeich­nen. Kurz gesagt: Sie sol­len ihnen hel­fen, auf den Hei­li­gen Geist zu hören. Ich kann­te Kar­di­nal Berg­o­glio, nach­dem ich im Jahr zuvor in Bue­nos Aires gepre­digt hat­te. Ich kann nur sagen, dass sei­ne Wahl mich mit einer Hoff­nung erfüllt hat, die ich in den zehn Jah­ren sei­nes Pon­ti­fi­ka­tes voll und ganz erfüllt gese­hen habe.

Ich ver­stand mit gro­ßer Klar­heit, dass das Leben eine erns­te Sache ist und dass man nur ein­mal lebt.

Wie wird man eigent­lich ein guter Prediger?
Ich kann kei­ne bes­se­re Ant­wort auf die­se Fra­ge fin­den als das, was wir in unse­ren Kapu­zi­ner­kon­sti­tu­tio­nen lesen: „Erfül­le dein Herz mit Jesus und ver­kün­de ihn dann aus einer Über­fül­le von Lie­be“. Ich sage nicht, dass ich das immer getan habe, aber ich weiß, dass das Wesent­li­che genau die­ser Punkt ist. Es geht dar­um, Chris­tus zu pre­di­gen, und nicht sich selbst oder die eige­nen Ideen. Sie wer­den mir ver­zei­hen, mei­ne lie­ben deut­schen Freun­de, wenn ich Ihnen sage, dass ich gera­de in Deutsch­land vor der Gefahr gewarnt habe, die christ­li­che Ver­kün­di­gung auf die Ver­mitt­lung von Ideen zu reduzieren.

Nach über 40 Jah­ren: Wie blei­ben Sie krea­tiv und kom­men auf neue Ideen?
Wenn ich eine eige­ne Leh­re pre­di­gen oder eine Bot­schaft aus mei­nem Stu­di­um ver­mit­teln müss­te, hät­te ich Angst, dass mir die Ideen aus­ge­hen. Aber da es um das Evan­ge­li­um geht, blei­be ich ruhig. Ich weiß, dass das Wort Chris­ti Geist und Leben ist und es ver­dient, immer und von allen gehört zu wer­den. Die Tat­sa­che, dass ich so lan­ge und vor den­sel­ben Zuhö­rern pre­di­gen muss­te, war für mich eine Gele­gen­heit zu erfah­ren, was der hei­li­ge Pau­lus die uner­schöpf­li­chen „Schät­ze der Weis­heit und der Erkennt­nis, die in Chris­tus ver­bor­gen sind“ (vgl. Kol 2,3) nennt. 44 Jah­re lang (ein­schließ­lich des lau­fen­den Jah­res) habe ich am Kar­frei­tag im Peters­dom über die Pas­si­on Chris­ti gepre­digt. Am Ende stell­te ich zu mei­ner eige­nen Über­ra­schung fest, dass es mir nie schwer­ge­fal­len ist, etwas Neu­es über das gefei­er­te Geheim­nis zu sagen. Die Pas­si­on Chris­ti ist wirk­lich ein boden­lo­ser und ufer­lo­ser Oze­an der Lie­be und des Schmer­zes, der den Weg der Kir­che und die Geschich­te der Welt immer wie­der neu bestimmt.

Sie waren eini­ge Jah­re lang Fern­seh­mo­de­ra­tor bei „Rai Uno“. Wie wich­tig sind die Medi­en für die Ver­brei­tung der Bot­schaft des Evangeliums?
Ich habe nicht genau gezählt, aber ich glau­be, ich habe bis 2008 ins­ge­samt etwa 700 Fern­seh­sen­dun­gen am Sams­tag­abend mode­riert. In mei­nen Kom­men­ta­ren zum Sonn­tags­evan­ge­li­um habe ich mich bemüht, all das in den Dienst der Fro­hen Bot­schaft zu stel­len, was moder­ne Mas­sen­kom­mu­ni­ka­ti­on aus­macht: Kür­ze, Wesent­lich­keit, Lebens­nä­he, Wort und Bild. Das ist kei­nes­wegs ein Ver­rat am Evan­ge­li­um, son­dern im Gegen­teil. Es ahmt den Stil des Evan­ge­li­ums nach. Auch die Spra­che Jesu ist sehr kon­kret, beglei­tet von Gleich­nis­sen, Bil­dern, Apho­ris­men und kur­zen Geschichten.

Dies war die größ­te Gna­de, die Gott mir nach der Tau­fe schen­ken konnte.

Was hät­te Jesus heu­te davon gehalten?
Ich behaup­te, dass Jesus, hät­te er heu­te gelebt, der idea­le Fern­seh­pre­di­ger gewe­sen wäre. Die größ­te Freu­de, die ich bei die­ser Art des Got­tes­diens­tes hat­te, war die Reak­ti­on der Men­schen, die sich in Brie­fen und noch mehr in per­sön­li­chen Begeg­nun­gen mit mir auf der Stra­ße äußer­te. Das hat mir nicht nur die Macht des Fern­se­hens gezeigt, son­dern auch die Macht des Wor­tes Gottes.

Im Jahr 2020 wur­den Sie Kar­di­nal, lehn­ten aber die Bischofs­wei­he ab. Warum?
Auf mei­nen Wunsch hin gestat­te­te mir der Hei­li­ge Vater, den Kapu­zi­ner­ha­bit statt des Pur­purs des Kar­di­nals zu tra­gen. „Ein beson­de­res Zuge­ständ­nis zu Ehren des hei­li­gen Fran­zis­kus“: So erklär­te Papst Fran­zis­kus bei unse­rem Höf­lich­keits­be­such bei Bene­dikt XVI. die­sem unmit­tel­bar nach dem Kon­sis­to­ri­um die­se Aus­nah­me – denn Bene­dikt war über­rascht, unter den neu­en Kar­di­nä­len einen Ordens­bru­der zu sehen, der ein rotes Kar­di­nals­käpp­chen trägt. Da die­se Mög­lich­keit vor­ge­se­hen war, bat ich Papst Fran­zis­kus auch um die Dis­pens von der Bischofs­wei­he, zum einen wegen mei­nes Alters, zum ande­ren, weil ich für mei­nen Dienst kei­ne Not­wen­dig­keit dafür sah.

War­um sind Sie eigent­lich vor vie­len Jahr­zehn­ten Kapu­zi­ner geworden?
Ich den­ke, die wahr­haf­tigs­te Ant­wort ist: weil Gott woll­te, dass ich Kapu­zi­ner wer­de! Aber wie immer geschieht der Wil­le Got­tes durch die Umstän­de. Die Kapu­zi­ner waren der am wei­tes­ten ver­brei­te­te und belieb­tes­te Orden in mei­ner Regi­on, den Mar­ken, wo der Orden im Jahr 1528 gegrün­det wur­de. Ich hat­te auch einen Onkel, der Kapu­zi­ner war. Und so lag es nah, bei den ers­ten Anzei­chen einer geist­li­chen Beru­fung in ein Aus­bil­dungs­haus des Ordens ein­zu­tre­ten. Nach ein paar Mona­ten fan­den Exer­zi­ti­en statt. Zum ers­ten Mal hör­te ich als Jun­ge, der aus den Schre­cken des Krie­ges kam, von Gott, von Jesus, von sei­ner Lie­be, vom ewi­gen Leben. Ich ver­stand mit gro­ßer Klar­heit, dass das Leben eine erns­te Sache ist und dass man nur ein­mal lebt. Am Ende der Exer­zi­ti­en hat­te ich in mei­nem Her­zen die abso­lu­te und freu­di­ge Gewiss­heit, dass ich von Gott beru­fen war, ein fran­zis­ka­ni­sches Leben zu füh­ren und Pries­ter zu wer­den. Es war mei­ne ers­te wirk­li­che per­sön­li­che Begeg­nung mit Gott, eine Erin­ne­rung, die mich mein gan­zes Leben lang beglei­tet hat. Dies war die größ­te Gna­de, die Gott mir nach der Tau­fe schen­ken konnte.

Bis wann wer­den Sie Ihren Job wei­ter machen?
Ich habe gera­de mein 90. Lebens­jahr voll­endet und stel­le mir natür­lich auch die Fra­ge, die Sie mir hier stel­len. Es ist das ers­te Mal, dass ein päpst­li­cher Pre­di­ger so lan­ge im Amt ist: 44 Jah­re! Manch­mal sage ich, dass die letz­ten drei Päps­te in ihrer Weis­heit ver­stan­den haben, dass dies der Ort war, an dem Pater Ranie­ro Can­tal­am­es­sa der Kir­che am wenigs­ten scha­den kann – und sie haben mich des­we­gen dort behal­ten! Jede Fas­ten­zeit den­ke ich mir: Das ist die letz­te! Und ich glau­be, die nächs­te könn­te tat­säch­lich die letz­te sein. 

Vie­len Dank für das Gespräch!

Das Inter­view führ­te Tobi­as Rauser

Pressekontakt

Bei Fra­gen zu die­ser Mel­dung oder zur Auf­nah­me in den Pres­se­ver­tei­ler mel­den Sie sich per Mail oder Tele­fon bei Tobi­as Rau­ser, Lei­ter Pres­­se- und Öffent­lich­keits­ar­beit: Tele­fon: +49 (0)160–99605655 oder

KAPNEWS

Der News­let­ter der Kapuziner
Wol­len Sie über die Kapu­zi­ner und ihr Enga­ge­ment  infor­miert blei­ben? Dann mel­den Sie sich kos­ten­los für unse­re monat­li­chen „KAPNEWSan.
www.kapuziner.org/newsletter

START­SEI­TE
Pressekontakt

Bei Fra­gen zu die­ser Mel­dung oder zur Auf­nah­me in den Pres­se­ver­tei­ler mel­den Sie sich per Mail oder Tele­fon bei Tobi­as Rau­ser, Lei­ter Pres­­se- und Öffent­lich­keits­ar­beit: Tele­fon: +49 (0)160–99605655 oder

KAPNEWS

Der News­let­ter der Kapuziner
Wol­len Sie über die Kapu­zi­ner und ihr Enga­ge­ment  infor­miert blei­ben? Dann mel­den Sie sich kos­ten­los für unse­re monat­li­chen „KAPNEWSan.
www.kapuziner.org/newsletter