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Raniero Kardinal Cantalamessa
wurde 1934 in Italien geboren. Er ist Kapuziner, Priester und arbeitete lange als Wissenschaftler. Der Ordensmann ist seit 2020 Kardinal und war auch als Autor und Moderator im TV tätig. Seit 1980 ist er offizieller Prediger des päpstlichen Hauses.
„Es geht darum, Christus zu predigen“
Raniero Kardinal Cantalamessa ist Kapuziner und offizieller Prediger des päpstlichen Hauses. Was das für ein Job ist, was eine gute Predigt ausmacht und warum Jesus heute ein guter Fernsehprediger gewesen wäre, sagt der Ordensmann im Interview.
Kardinal Cantalamessa, Br. Raniero, Sie sind Kapuziner und der offizielle „Predigers des Päpstlichen Hauses“. Was bedeutet das?
Das Amt des Predigers des Päpstlichen Hauses geht auf Papst Paul IV. und das Jahr 1555 zurück. Es wurde von Ordensleuten verschiedener Orden, insbesondere von Jesuiten, ausgeübt. Benedikt XIV. übertrug es 1743 dauerhaft dem Orden der Kapuziner. Seitdem haben Kapuziner das Amt ununterbrochen inne.
Was genau machen Sie?
Der Papst findet die Zeit und hat die Demut, der Predigt eines einfachen Kapuzinerbruders zuzuhören! Gegenwärtig besteht mein Amt darin, für den Papst, die Kardinäle, die Bischöfe, die Prälaten die Mitarbeiter der Römischen Kurie und die Generaloberen der Orden jeden Freitag im Advent und in der Fastenzeit eine Meditation durchzuführen. Bis vor drei Jahren fanden die Predigten in der Kapelle „Redemptoris Mater“ im Vatikanpalast statt. Der Papst hörte von einer kleinen Seitennische aus zu und kommunizierte visuell mit dem Prediger, aber nicht mit dem Rest der Zuhörerschaft. Papst Franziskus setzte sich zum ersten Mal zu den anderen in der Kapelle. Während der Covid-Pandemie wurde die Predigt aufgrund der Größe in die Audienzhalle Paul VI. verlegt – und blieb danach dort. Die Predigt ist auch für Menschen außerhalb des Vatikans zugänglich und wird live auf YouTube von der Website des Vatikans übertragen.
Wie wird man denn „Prediger des Päpstlichen Hauses“?
Wenn ein Prediger den Dienst beendet, legt der Generalobere der Kapuziner dem Papst drei Namen vor, aus denen der Heilige Vater einen auswählte. Auf Vorschlag des damaligen Generalministers, Pater Pascal Rywalski aus der Schweizer Provinz, wurde mir Anfang 1980 dieses Amt übertragen.
Erfülle dein Herz mit Jesus und verkünde ihn dann aus einer Überfülle von Liebe
Zuvor waren Sie Professor für Theologie.
Ja, zum Zeitpunkt meiner Ernennung war ich Professor für Alte Kirchengeschichte und Patristik an der Katholischen Universität Sacro Cuore in Mailand. Ein Jahr zuvor hatte ich jedoch den Ruf des Herrn erhalten, die universitäre Lehre aufzugeben, um mich ganz der Verkündigung des Evangeliums zu widmen. Ich wusste nicht, wo und wie ich diese neue Tätigkeit beginnen sollte! Aber ich fand es bald heraus: Ich bereitete mich gerade in einem kleinen Kloster in der italienischen Schweiz auf meinen neuen Dienst vor, als ich einen Anruf aus Rom erhielt. Es war der Generalminister, der mir mitteilte: „Der Heilige Vater Johannes Paul II. hat Sie zum Prediger des Päpstlichen Hauses ernannt.“ Ich fand keinen guten Grund, nein zu sagen, und so musste ich mich in wenigen Wochen darauf vorbereiten, die erste Fastenpredigt im Päpstlichen Haus zu halten. Das war im Jahr 1980.
Sie sind seit 44 Jahren im Dienst und haben mehrere Päpste gekannt. Sind die Päpste gute Zuhörer?
Ich bin selbst erstaunt, dass die Päpste den Momenten meiner Predigt so viel Bedeutung zuweisen. Sie geben damit ein außergewöhnliches Beispiel für die ganze Kirche. Einmal, in der Fastenzeit, war Papst Johannes Paul II. auf einer Reise nach Mittelamerika und versäumte zwei Predigten. Als er am darauffolgenden Freitag kam, löste er sich von den Sekretären und kam zu mir, um sich zu entschuldigen, dass er zwei Predigten versäumt hatte.
Papst Benedikt XVI. war schon als Kardinal einer der eifrigsten Teilnehmer an meinen Meditationen. Und ich kann versichern, es ist nicht allzu entspannt, wenn der Präfekt der Glaubenskongregation in der ersten Reihe sitzt. Benedikt XVI hat sich sogar bereiterklärt, die Präsentation des Buches zu schreiben, in dem meine Meditationen über den Pfingsthymnus „Veni Creator“ veröffentlicht sind. Diese fünf Meditationen für die Fastenzeit hatte ich 2013 für Benedikt XVI. vorbereitet, aber sie blieben in der Schublade, weil er kurz vor Beginn der Fastenzeit seinen Rücktritt vom Papstamt angekündigt hatte.
Sie haben 2013 auch die „Ermahnungen an die Kardinäle“ verfasst.
Zur Wahl des Nachfolgers von Benedikt XVI. wurde ich vom Staatssekretär beauftragt, die erste von zwei „Ermahnungen an die Kardinäle“ zu verfassen, was auch schon anlässlich der Wahl von Benedikt XVI. im Konklave 2005 geschehen war. Diese Ermahnungen haben einen doppelten Zweck: Sie sollen den Kardinälen dabei helfen, die aktuellen Bedürfnisse der Kirche zu erkennen und sozusagen das Profil des neuen Papstes zu zeichnen. Kurz gesagt: Sie sollen ihnen helfen, auf den Heiligen Geist zu hören. Ich kannte Kardinal Bergoglio, nachdem ich im Jahr zuvor in Buenos Aires gepredigt hatte. Ich kann nur sagen, dass seine Wahl mich mit einer Hoffnung erfüllt hat, die ich in den zehn Jahren seines Pontifikates voll und ganz erfüllt gesehen habe.
Ich verstand mit großer Klarheit, dass das Leben eine ernste Sache ist und dass man nur einmal lebt.
Wie wird man eigentlich ein guter Prediger?
Ich kann keine bessere Antwort auf diese Frage finden als das, was wir in unseren Kapuzinerkonstitutionen lesen: „Erfülle dein Herz mit Jesus und verkünde ihn dann aus einer Überfülle von Liebe“. Ich sage nicht, dass ich das immer getan habe, aber ich weiß, dass das Wesentliche genau dieser Punkt ist. Es geht darum, Christus zu predigen, und nicht sich selbst oder die eigenen Ideen. Sie werden mir verzeihen, meine lieben deutschen Freunde, wenn ich Ihnen sage, dass ich gerade in Deutschland vor der Gefahr gewarnt habe, die christliche Verkündigung auf die Vermittlung von Ideen zu reduzieren.
Nach über 40 Jahren: Wie bleiben Sie kreativ und kommen auf neue Ideen?
Wenn ich eine eigene Lehre predigen oder eine Botschaft aus meinem Studium vermitteln müsste, hätte ich Angst, dass mir die Ideen ausgehen. Aber da es um das Evangelium geht, bleibe ich ruhig. Ich weiß, dass das Wort Christi Geist und Leben ist und es verdient, immer und von allen gehört zu werden. Die Tatsache, dass ich so lange und vor denselben Zuhörern predigen musste, war für mich eine Gelegenheit zu erfahren, was der heilige Paulus die unerschöpflichen „Schätze der Weisheit und der Erkenntnis, die in Christus verborgen sind“ (vgl. Kol 2,3) nennt. 44 Jahre lang (einschließlich des laufenden Jahres) habe ich am Karfreitag im Petersdom über die Passion Christi gepredigt. Am Ende stellte ich zu meiner eigenen Überraschung fest, dass es mir nie schwergefallen ist, etwas Neues über das gefeierte Geheimnis zu sagen. Die Passion Christi ist wirklich ein bodenloser und uferloser Ozean der Liebe und des Schmerzes, der den Weg der Kirche und die Geschichte der Welt immer wieder neu bestimmt.
Sie waren einige Jahre lang Fernsehmoderator bei „Rai Uno“. Wie wichtig sind die Medien für die Verbreitung der Botschaft des Evangeliums?
Ich habe nicht genau gezählt, aber ich glaube, ich habe bis 2008 insgesamt etwa 700 Fernsehsendungen am Samstagabend moderiert. In meinen Kommentaren zum Sonntagsevangelium habe ich mich bemüht, all das in den Dienst der Frohen Botschaft zu stellen, was moderne Massenkommunikation ausmacht: Kürze, Wesentlichkeit, Lebensnähe, Wort und Bild. Das ist keineswegs ein Verrat am Evangelium, sondern im Gegenteil. Es ahmt den Stil des Evangeliums nach. Auch die Sprache Jesu ist sehr konkret, begleitet von Gleichnissen, Bildern, Aphorismen und kurzen Geschichten.
Dies war die größte Gnade, die Gott mir nach der Taufe schenken konnte.
Was hätte Jesus heute davon gehalten?
Ich behaupte, dass Jesus, hätte er heute gelebt, der ideale Fernsehprediger gewesen wäre. Die größte Freude, die ich bei dieser Art des Gottesdienstes hatte, war die Reaktion der Menschen, die sich in Briefen und noch mehr in persönlichen Begegnungen mit mir auf der Straße äußerte. Das hat mir nicht nur die Macht des Fernsehens gezeigt, sondern auch die Macht des Wortes Gottes.
Im Jahr 2020 wurden Sie Kardinal, lehnten aber die Bischofsweihe ab. Warum?
Auf meinen Wunsch hin gestattete mir der Heilige Vater, den Kapuzinerhabit statt des Purpurs des Kardinals zu tragen. „Ein besonderes Zugeständnis zu Ehren des heiligen Franziskus“: So erklärte Papst Franziskus bei unserem Höflichkeitsbesuch bei Benedikt XVI. diesem unmittelbar nach dem Konsistorium diese Ausnahme – denn Benedikt war überrascht, unter den neuen Kardinälen einen Ordensbruder zu sehen, der ein rotes Kardinalskäppchen trägt. Da diese Möglichkeit vorgesehen war, bat ich Papst Franziskus auch um die Dispens von der Bischofsweihe, zum einen wegen meines Alters, zum anderen, weil ich für meinen Dienst keine Notwendigkeit dafür sah.
Warum sind Sie eigentlich vor vielen Jahrzehnten Kapuziner geworden?
Ich denke, die wahrhaftigste Antwort ist: weil Gott wollte, dass ich Kapuziner werde! Aber wie immer geschieht der Wille Gottes durch die Umstände. Die Kapuziner waren der am weitesten verbreitete und beliebteste Orden in meiner Region, den Marken, wo der Orden im Jahr 1528 gegründet wurde. Ich hatte auch einen Onkel, der Kapuziner war. Und so lag es nah, bei den ersten Anzeichen einer geistlichen Berufung in ein Ausbildungshaus des Ordens einzutreten. Nach ein paar Monaten fanden Exerzitien statt. Zum ersten Mal hörte ich als Junge, der aus den Schrecken des Krieges kam, von Gott, von Jesus, von seiner Liebe, vom ewigen Leben. Ich verstand mit großer Klarheit, dass das Leben eine ernste Sache ist und dass man nur einmal lebt. Am Ende der Exerzitien hatte ich in meinem Herzen die absolute und freudige Gewissheit, dass ich von Gott berufen war, ein franziskanisches Leben zu führen und Priester zu werden. Es war meine erste wirkliche persönliche Begegnung mit Gott, eine Erinnerung, die mich mein ganzes Leben lang begleitet hat. Dies war die größte Gnade, die Gott mir nach der Taufe schenken konnte.
Bis wann werden Sie Ihren Job weiter machen?
Ich habe gerade mein 90. Lebensjahr vollendet und stelle mir natürlich auch die Frage, die Sie mir hier stellen. Es ist das erste Mal, dass ein päpstlicher Prediger so lange im Amt ist: 44 Jahre! Manchmal sage ich, dass die letzten drei Päpste in ihrer Weisheit verstanden haben, dass dies der Ort war, an dem Pater Raniero Cantalamessa der Kirche am wenigsten schaden kann – und sie haben mich deswegen dort behalten! Jede Fastenzeit denke ich mir: Das ist die letzte! Und ich glaube, die nächste könnte tatsächlich die letzte sein.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Tobias Rauser