
FOTO: KAPUZINER/LEMRICH
„Wir tun gut daran, unseren Glauben mit mehr Staunen und Zweifel anzureichern“
Das neue Buch von Br. Stefan Walser beschäftigt sich mit der Frage „Fehlt Gott?“. Warum diese Frage wichtig ist und wie die Autorinnen und Autoren diese beantworten, sagt er im Interview.
Br. Stefan, Ihr Buch stellt die Frage: Fehlt Gott? Wie lautet die Antwort?
Wenn ein Kapuziner ein Buch schreibt mit dem Titel „Fehlt Gott?“, dürfen die Leser vermuten, dass die Antwort lautet: „Nein, natürlich nicht!“ Aber meine Antwort lautet ehrlicherweise: „Ja! Er fehlt!“
Was bedeutet dieses „Ja“?
Das ist kein Atheismus oder die alte, oft gestellte Theodizeefrage. Ein ehrliches „Ja, er fehlt“ ist aus meiner Sicht viel mehr eine Liebeserklärung. Er fehlt eben so, wie wenn ich zu einem Menschen sage: „Du fehlst mir! Ich würde Dich gerne öfter sehen; schade, dass wir so wenig Zeit miteinander haben.“ So fehlt Gott. Und manchmal erinnern wir uns nur, dass wir früher, vielleicht in der Kindheit, mal anders, inniger Glauben durften. Und allein so eine Erinnerung ist auch eine Form zu Glauben. Das Buch ist also keine dogmatische Gotteslehre, sondern am ehesten eine Vermisstenanzeige.
Wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Das hatte einen ganz praktischen Hintergrund: die Predigt. Es ist ja nicht so, dass nur Atheisten und Agnostiker sich nicht so richtig vorstellen können, wer oder was dieser „Gott“ sein soll. Diese Frage ist mitten in unseren Gottesdienstgemeinden. Und ich soll jetzt als Prediger den Leuten erzählen, wer Gott ist? Wenn wir mal ehrlich sind, dann spüren wir, dass sich Gott immer entzieht, dass wir ihn nicht in der Hand haben und nicht auf einen Begriff bringen können. Zum Glück. Auch wir mehr oder weniger Glaubenden tun gut daran, unseren Glauben mit mehr Staunen und Zweifel anzureichern und den Mund nicht ganz so voll zu nehmen.
Geht es auch anderen „Predigern“ so?
Ja. Alle Autoren des Bandes haben etwas mit der Predigtzeitschrift „Prediger und Katechet“ zu tun. Ich selbst bin Redaktionsmitglied und wir veröffentlichen zu jedem Sonn- und Feiertag des Jahres drei exemplarische und intensiv ausgearbeitete Predigten. Irgendwann fiel uns im Team auf, dass diejenigen Texte besonders anspruchsvoll sind, die nicht sagen: Gott ist x und Gott ist y, sondern die etwas vorsichtiger und zarter und fragender drangehen. Die Texte, die vielleicht sogar die große Frage zulassen: Fehlt Gott in unserer Zeit?
Wie gehen Sie es an in Ihrem Buch?
Wir beleuchten die Fragen aus verschiedenen Blickwinkeln. So geht es in einem Beitrag um die Würde des Fragens. Fragen bringen uns oft viel mehr voran als Antworten. Dass auch die Bibel viel mehr nach Gott fragt, als dass sie antwortet, zeigt ein anderer Artikel. Nehmen wir nur die Jüngerinnen am leeren Grab: Wo ist der Auferstandene jetzt? Jesus fehlt am Ostermorgen einfach! Es gibt einen Einblick in die Spiritualität des heiligen Johannes vom Kreuz, der schon im späten Mittelalter viel Kluges über die „Dunkle Nacht“ des Glaubens sagt. Dazu kommen eine Reihe von sehr aktuellen theologischen Auseinandersetzungen mit der Frage nach dem fehlenden Gott. Bis hin zu der Vermutung, dass Gott gar nicht fehlt, sondern wir nur viel zu enge Vorstellungen haben und einen viel zu engen Fokus, wo wir ihn vermuten – etwa nur innerhalb der Kirche. Und wie können wir dann noch von Gott predigen? Damit beschäftige ich mich in einem Beitrag.