
FOTO: KAPUZINER/LÊMRICH
BR. Leonhard Lehmann
wurde 1947 in Zell am Harmersbach geboren und blickt auf eine lange wissenschaftliche Laufbahn zurück. So lehrte Bruder Leonhard 30 Jahre lang in Rom franziskanische Spiritualität. Er produziert den Podcast „SANCTUM_Franziskanische Heilige“.
„Franz von Assisi weist Wege in die Zukunft“
Bruder Leonhard Lehmann ist einer der bekanntesten Franziskusforscher. Der Kapuziner produziert auch einen Podcast zu franziskanischen Heiligen. Im Interview sagt der Theologe, warum wir uns auch heute mit diesen Vorbildern beschäftigen sollen und was sein „Lieblings-Heiliger“ ist.
Bruder Leonhard, warum sollten wir uns in diesen Zeiten überhaupt noch mit Heiligen beschäftigen?
Heute leiden viele Menschen darunter, dass ihnen das Leben leer und sinnlos erscheint. Viele haben keine Leitbilder mehr, nach denen sie ihren Weg ausrichten können. Oder sie sind auf der Suche nach diesen Vorbildern. Hier können Frauen und Männer helfen, die als Heilige oder Selige die Nachfolge Christi verwirklicht haben. Dazu gehören seit der Zeit der Apostel Menschen aus allen Jahrhunderten und aus allen Regionen. Eine spannende Vielfalt.
Wie wird man eigentlich zum Heiligen?
Im ersten Jahrtausend stellten sich Heilige dadurch heraus, dass sie vom Volk lange verehrt und diese Verehrung dann vom Bischof anerkannt wurde. Als im 12. und 13. Jahrhundert die Heiligenverehrung so zunahm, dass sie zur Konkurrenz zwischen Städten und Diözesen führte, griff der Papst Innozenz III. (1198–1216) ein, forderte einen kirchlichen Prozess und reservierte sich das Recht auf die Heiligsprechung.
Seitdem gibt es ein kirchenrechtliches Verfahren. Wie sieht das aus?
Besteht in einer Gegend oder Ordensgemeinschaft das Interesse, einen verstorbenen Katholiken als selig oder heilig zu verehren, so kann eine größere Gruppe von Menschen durch Unterschriften beim Bischof der betreffenden Diözese eine Seligsprechung beantragen. Das Verfahren gliedert sich dann in einen Tugend- und einen Wunderprozess.
Es soll der heroische Tugendgrad festgestellt und der Kandidat als Vorbild im Glauben erwiesen werden
Was heißt das konkret?
Der Tugend- oder Informativprozess wird in der Regel in der Diözese geführt, in welcher der „Diener Gottes“ den größten Teil seines Lebens verbracht hat. In dieser Erhebung soll der heroische Tugendgrad festgestellt und der Kandidat als Vorbild im Glauben erwiesen werden. Nach Abschluss dieses lokalen Informativprozesses wird alles Material an die Kongregation für Heiligsprechungen in Rom geschickt. Bestätigt diese den heroischen Tugendgrad, kann ein Märtyrer sofort seliggesprochen werden. Für alle anderen beginnt dann der Wunderprozess, in dem für die Seligsprechung mindestens eine auf die Fürsprache des Kandidaten erfolgte, medizinisch nachgewiesene Heilung vorgelegt werden muss.
Und wo ist der Unterschied zwischen einem Heiligen und einem Seligen?
Für die Heiligsprechung wird das ganze Verfahren, das ich beschrieben habe, wiederholt. Und zwar unter dem Gesichtspunkt, ob die Kandidatin oder der Kandidat als Vorbild für die ganze Weltkirche gelten kann.
Warum stehen eigentlich so viele Heilige im Kalender?
Das II. Vatikanische Konzil in den Jahren 1962 bis 1965 brachte mit der erneuerten Liturgie auch eine Neuordnung des Heiligenkalenders mit sich. Legendäre, aber historisch nicht nachweisbare Heilige wurden gestrichen. Johannes Paul II. hat in seinem langen Pontifikat weit mehr Dienerinnen und Diener Gottes selig- und heiliggesprochen als jeder Papst zuvor. Er wollte damit herausstellen, dass es in dem von Ideologien beherrschten finsteren 20. Jahrhundert auch christliche Leuchten gab. Darum sind unter den neuen Heiligen viele Märtyrerinnen und Märtyrer der Nazizeit, des Kommunismus und des spanischen Bürgerkriegs.
Heilige und Selige zeigen uns, wie das Evangelium konkret gelebt werden kann
Sie beschäftigen sich im Kapuziner-Podcast „Franziskanische Heilige“ regelmäßig und intensiv mit diesen Frauen und Männern. Was bedeuten Heilige für Ihr Leben?
Als ich noch ein Kind war, hat mir meine Oma vor allem im Winter nicht nur aus Grimms Märchen vorgelesen, sondern an manchen Abenden auch aus der Heiligenlegende des Martin von Cochem. Wir saßen auf der Bank am warmen Ofen, und ich hatte immer viele Fragen zu jeder Geschichte. Später las ich dann gern selber die Märchen und die Legenden und erzählte sie nach. Im Noviziat 1967 bekam jeder von uns fünf Novizen einen heiligen Kapuziner zugeteilt, um im Novizen-Unterricht über sein Leben und seine Bedeutung zu sprechen. Mich traf der heilige Fidelis von Sigmaringen. Also las ich Biografien über ihn und sein schreckliches Martyrium und stellte ihn dann in Wort und Bild vor. Als ich später selber in der Ausbildung tätig war, riet ich jedem jungen Ordensbruder, jedes Jahr wenigstens eine Biografie über eine herausragende Person zu lesen; das müssen nicht immer Heilige sein. Doch Selige und Heilige helfen dazu, uns mit dem Orden zu identifizieren. Und sie zeigen, dass und wie das Evangelium konkret gelebt werden kann.
Haben Sie einen „Lieblings-Heiligen“ und warum?
Von Jugend an Franz von Assisi, weil er in Schulbüchern vorkam und in einem Theaterspiel; später dann wegen seiner Naturliebe. Heute, weil er konsequent die Bergpredigt lebte, ohne fanatisch zu werden. Ich sehe, dass er viele Menschen inspirierte und heute noch inspiriert und in allen Religionen geschätzt wird. Sein Lebensprogramm ist so aktuell, dass der jetzige Papst den Namen Franziskus wählte und dessen Idee der Geschwisterlichkeit zum Ausgangspunkt seiner zwei letzten Enzykliken machte. Der Heilige aus Assisi ist somit nicht nur beliebt, sondern er weist auch Wege in die Zukunft.
Den Podcast „SANCTUM_Franziskanische Heilige“ mit Bruder Leonhard Lehmann können Sie in Ihrem Podcast-Player abonnieren (nach „PODKAP“ suchen!) oder hier auf der Internet-Seite anhören (klicken Sie hier).