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FOTO: KAPUZINER/JACOBY

22. Novem­ber 2022

„Gott ist ein Freund der Stille“

Ein ara­bi­sches Sprich­wort sagt: „Zehn Gebo­te hat die Weis­heit. Neun­mal ‚Schweig!‘ und ein­mal ‚Red wenig!“ War­um Stil­le wich­tig und eine dau­ern­de Her­aus­for­de­rung ist, sagt Br. Pius Kirchgessner.

Unse­re Zeit ist lärm­er­füllt, hek­tisch, betrieb­sam, schnell­le­big. Immer mehr Geräu­sche, Töne, Wor­te, Bil­der drin­gen auf uns ein. Die meis­ten davon belang­los, über­flüs­sig, oft sogar ner­vend und ver­let­zend. Und beach­tet wird, was mit Getö­se und gro­ßem Geba­ren daher­kommt. Lei­se Töne sind out.

Dazu kommt: Vie­le füh­len sich wie in einem Hams­ter­rad, stän­dig bean­sprucht, pau­sen­los gefor­dert, immer auf Trab, dau­ernd in Action, ein­ge­spannt und dar­um ange­spannt, über­mü­det, gereizt, erschöpft.

Sören Kier­ke­gaard schrieb ein­mal: „Die Welt ist krank! Wenn ich Arzt wäre und man mich fra­gen wür­de, was getan wer­den soll­te? Ich wür­de ant­wor­ten: Das ers­te, was gesche­hen muss, ist: Schaf­fe Schwei­gen! Hilf ande­ren zum Schwei­gen!“ Was Kier­ke­gaard for­dert, ist leich­ter gesagt als getan! Wir wis­sen, wie schwer es ist, zur Stil­le zu fin­den. Je unru­hi­ger wir sind, umso schwe­rer ertra­gen wir sie. Aber es gibt auch eine gro­ße Sehn­sucht nach Ruhe und Stil­le. Das erfah­re ich immer wie­der bei Exer­zi­ti­en. Die Teil­neh­men­den wol­len zur Ruhe kom­men, sie suchen die Stil­le, um sich neu zu ori­en­tie­ren und – im Hören nach Innen bezie­hungs­wei­se auf das Wort Got­tes – ihr Leben neu zu formen.

Stil­le und Schwei­gen machen fähi­ger zum Auf­neh­men, zum Emp­fan­gen, zum Wahr­neh­men. Stil­le und Schwei­gen sind aber kein Selbst­zweck. Bei Exer­zi­ti­en meint Still­sein und Schwei­gen mehr als nicht reden. Es geht um Stil­le und Schwei­gen als Nähr­bo­den sowohl für eine gesun­de Selbst­fin­dung als auch für ein auf­merk­sa­mes Hören. Stil­le als Lehr­meis­te­rin des inne­ren Lebens.

Aber auch Ver­dräng­tes und Zuge­deck­tes kann in der Stil­le hoch kom­men, Ängs­te, Sor­gen, Ärger, unaus­ge­stan­de­ne Kon­flik­te, Rache­ge­dan­ken, Schuld­ge­füh­le… Des­we­gen scheu­en man­che die Stil­le oder hal­ten sie nur schwer aus, flüch­ten in die Arbeit, suchen die Abwechs­lung, den Zeit­ver­treib, die Unterhaltung.

In der Tat: Nichts ist so laut wie die Stil­le. Sie kon­fron­tiert mich mit mir selbst. Was ich im All­tag „unter der Decke“ hal­te, drängt in der Stil­le mit Wucht ins Bewusst­sein. Das Sich-dem-Stel­len erfor­dert Mut und Ehr­lich­keit. Genau dar­in liegt aber auch das Befrei­en­de und Heil­sa­me der Stille.

Mei­ne Erfah­rung bei Exer­zi­ti­en: Stil­le und Schwei­gen ver­mö­gen zu klä­ren, zu rei­ni­gen. Die Din­ge set­zen sich. Leben kann sich ord­nen. Wenn man mit sich selbst zur Ruhe kommt, wenn es still in einem wird, wenn auch das Ich schweigt, dann sieht man die Welt und das Leben mit ande­ren Augen. Stil­le und Schwei­gen sind eine Art Schlüs­sel zur Selbsterkenntnis.

Und noch etwas: Ich ver­mag auch bes­ser auf Gott zu hören, auf sein Wort, auf sei­ne Klopf­zei­chen, auf sei­ne lei­se Stim­me in mir. Wenn ich näm­lich laut bin, dann ist Gott nicht noch lauter.

Wich­tig aber ist, nicht nur den äuße­ren Lärm zu mei­den und sich der Flut der Wor­te zu ent­zie­hen, son­dern auch das Gebro­del der Gedan­ken zu beru­hi­gen und den schril­len Chor der inne­ren Stim­men zum Schwei­gen zu bringen.

Hel­der Cama­ra sagt: „Der Lärm, der uns hin­dert, die Stim­me Got­tes zu hören, ist nicht, wirk­lich nicht, das Geschrei der Men­schen oder das Fie­bern der Städ­te und noch weni­ger das Sau­sen der Win­de oder das Plät­schern der Was­ser. – Der Lärm, der die gött­li­che Stim­me erstickt, ist der inne­re Auf­ruhr gekränk­ter Eigen­lie­be, erwa­chen­den Arg­wohns und uner­müd­li­chen Ehrgeizes.“

Ich bin über­zeugt: Wer Gott fin­den will, muss das Schwei­gen ler­nen, die Stil­le lie­ben und vor allem sein eige­nes Herz still machen. Man kann sich nicht in die Gegen­wart Got­tes ver­set­zen, ohne sich zu einer äuße­ren und inne­ren Stil­le zu zwin­gen. Die inne­re Stil­le ist aller­dings nicht leicht. Man muss sich dar­um mühen und sie einüben.

Wenn ich in die Stil­le gehe, brau­che ich oft lan­ge, um dar­in anzu­kom­men. Ich las­se alles zu, las­se kom­men, was mich bewegt und beschäf­tigt, schaue es lie­be­voll an – und las­se es wei­ter­zie­hen. Es braucht oft viel Zeit, bis das Herz ruhig schlägt und der Atem gleich­mä­ßig fließt, bis mein Ver­stand zu den­ken auf­hört und mei­ne Sor­gen das Grü­beln las­sen. Irgend­wann bin ich ange­kom­men und ich hüte die Stil­le wie einen kost­ba­ren Schatz. Und dann mer­ke ich, wie die Stil­le, die ich hüte, mich hütet.

Ja, man muss still sein, schwei­gen und war­ten, um zu erfah­ren, dass Gott nicht im Lau­ten und Spek­ta­ku­lä­ren ist – son­dern im lei­sen Säu­seln des Win­des, in der „Stim­me ver­schwe­ben­den Schwei­gens“ (Mar­tin Buber). Die Stil­le ist der Raum der Got­tes­be­geg­nung. Das Schwei­gen der Ort sei­ner beson­de­ren Nähe und Gegenwart.

In der Stil­le des Her­zens, da, wo ich nicht mehr pla­ne und über­le­ge, wo ich nicht mehr über ande­re nach­den­ke und urtei­le, da, wo ich auch auf­hö­re, mich selbst zu bewer­ten, da zeigt sich Gott als der Nahe, als der, der da ist. Und in Gott erfah­re ich dann mein wah­res Selbst. Ich wer­de frei von allem Zwang, mich bewei­sen, mich recht­fer­ti­gen, mich mit ande­ren ver­glei­chen und mich erklä­ren zu müs­sen. Und das ist unwahr­schein­lich ent­las­tend und befreiend.

So gese­hen sind in der Tat – nach einem Wort von Fried­rich Nietz­sche „die größ­ten Ereig­nis­se nicht die lau­tes­ten, son­dern unse­re stills­ten Stun­den.“ Oder wie Sören Kier­ke­gaard sagt: „Wenn alles still ist, geschieht am meisten“.

Gott ist ein Freund der Stil­le. Die Natur zeigt es. Bäu­me, Blu­men und Grä­ser wach­sen still und lei­se. Die Ster­ne, der Mond und die Son­ne gehen in der Stil­le auf und unter. Wachs­tum, Rei­fung, Lebens­be­ja­hung bedür­fen der Stil­le, um zu gedei­hen. In vie­len Reli­gio­nen ist die Stil­le der Raum der Anwe­sen­heit Got­tes. Von Jesus wis­sen wir, dass er immer wie­der ein­sa­me Orte auf­such­te, dass er immer wie­der in die Stil­le ging. Eben­so die gro­ßen Gestal­ten christ­li­cher Spi­ri­tua­li­tät. Und sie kamen erneu­ert zurück, gereift, gelas­sen, begütigt.

 

Br. Pius Kirch­gess­ner ist seit 1972 Kapu­zi­ner und wur­de 1978 zum Pries­ter geweiht. Er lebt und arbei­tet zur­zeit im Kapu­zi­ner-Klos­ter in Zell am Har­mers­bach und bie­tet dort Exer­zi­ti­en­kur­se an. Ab Ostern 2023 wird er in Mün­chen leben und arbeiten. 

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