

FOTO: KAPUZINER/RAUSER
Impuls und Leben: Einen Wüstentag gestalten
Abstand vom Alltag, in die äußere und innere Stille finden. Frei sein für die Begegnung mit Gott. Dafür kann es helfen, einen „stillen Tag“ einzulegen. Ein möglicher Tagesablauf als Inspiration für das Abenteuer der Stille.
Vorbereitung
Mein Wüstentag beginnt schon am Vorabend. Ich erledige alle To do’s, sodass der nächste Tag wirklich frei ist und ich mein Handy morgens gar nicht erst einschalten muss. Ich horche in mich hinein: Gibt es eine Frage, die ich in den stillen Tag mitnehmen will? Zuletzt mache ich mir einen groben Tagesablauf – es hilft, einige Fixpunkte zu haben, die dem Tag eine Struktur geben.
6:00 Uhr: Aufstehen
Auch wenn es verlockend ist, an diesem freien Tag auszuschlafen, gilt das Sprichwort „Morgenstund’ hat Gold im Mund“. In der Frühe ist der Geist besonders frisch und aufnahmefähig. Schon auf der Bettkante mache ich ein Stoßgebet und vertraue den Tag Gott an. Zu meiner Morgenroutine gehört ein „kontemplativer Kaffee“: ohne in großes Nachdenken zu verfallen nehme ich die Stille wahr, das Vogelgezwitscher, die aufgehende Sonne…
7:00 Uhr: Rückblick
Mit Stift und Papier bewaffnet mache ich mich an die Arbeit: Ich schaue zurück auf die Ereignisse und Begegnungen der letzten Zeit. Ich schreibe auf, wofür ich dankbar bin, was ich gern loslassen möchte und auch, was noch zu tun ist – nach dem stillen Tag. Entrümpelung.
8:00 Uhr: Frühstück
Beim Essen gibt es zwei Optionen: Entweder ich genieße ganz bewusst, gestalte die Mahlzeiten besonders liebevoll, wie bei einem Date mit mir selbst. Oder ich nutze den Tag für Verzicht: Stille und Fasten sind eng miteinander verbunden und können mich neu mit mir in Kontakt bringen.
9:00 Uhr: Input und Stille
Ich nehme mir Zeit für einen Input. Weg von mir selbst, offen für etwas Schönes, Wahres, Gutes. Das kann die Bibel sein, ein Buch, Kunst. Wichtig: Qualität vor Quantität. Der Input soll mich nicht ablenken, sondern in die Tiefe führen. Ich lasse die Lektüre in eine konzentrierte Zeit von 20 Minuten Stille münden.
Von der Hl. Mutter Teresa
Die Frucht der Stille
ist das Gebet.
Die Frucht des Gebets ist der Glaube.
Die Frucht des Glaubens ist die Liebe.
Die Frucht der Liebe
ist das Dienen.
Die Frucht des Dienens ist der Friede.
10:00 Uhr: Spaziergang
Zum stillen Tag gehört für mich die Natur. Nach der Kopfarbeit geht es raus zu einem ersten Spaziergang. Ich versuche, auch altbekannte Wege „wie ein Tourist“ zu gehen: mit offenen Augen, in einer Haltung von wacher Empfänglichkeit, Sein vor Tun.
12:30 Uhr: Mittagessen
Während des Spaziergangs habe ich die Gedanken des Morgens verdaut. Jetzt ist Zeit für eine leibliche Stärkung und vielleicht auch einen Power-Nap.
14:00 Uhr: Ortswechsel
Die äußere Stille führt nicht automatisch zu innerer, im Gegenteil: Gedanken und Gefühle, die sonst im Autopiloten zugedeckelt werden, kommen an die Oberfläche. Ich versuche, sie ohne Urteil wahrzunehmen, mit mir selbst „ins Gespräch“ zu kommen, sie in ein Gebet münden zu lassen. Für diesen Perspektivwechsel hilft mir auch ein Ortswechsel. Ich suche mir eine ruhige Kirche, wo ich bleiben und mir Zeit lassen kann. Innerer Dialog wird Zuhören, Zuhören wird zur Stille.
17:00 Uhr: Abschluss
Wieder Zuhause kehre ich bewusst in meinen Alltag zurück: Was waren die Highlights, die Erkenntnisse dieses Tages? Was steht in nächster Zeit an – und kann ich aus der Stille heraus mit einer neuen Perspektive auf das Kommende schauen?
Wüstentage – eine alte Tradition
Seit den frühen Anfängen des Christentums zog es Menschen in die Stille und Einsamkeit der Wüste. Sie hatten die Intuition, dass es Abstand braucht, um frei zu sein von den Vereinnahmungen der Umwelt, frei zu sein für die Begegnung mit Gott. Dabei hatten sie auch Jesus vor Augen, der abgelegene Orte aufgesucht hat, wenn wichtige Entscheidungen anstanden. Regelmäßig einen stillen Tag einzulegen, hat Auswirkungen auf den ganzen Alltag und hilft, auch zwischendurch leichter in die eigene Mitte zu finden – und Gottes Gegenwart wahrzunehmen, seine Stimme im Trubel der Alltagssorgen und dem Lärm der Welt zu hören.
Text: Br. Brian Thomas
Der Artikel ist zuerst in cap! erschienen