Interview

FOTO: KAPUZINER/LEMRICH

BR. CHRISTOPHORUS GOEDEREIS

wur­de 1965 in Nord­horn gebo­ren. Seit 1984 ist er Kapu­zi­ner und lebt zur­zeit im nie­der­län­di­schen Velp. 

27. Mai 2024

Kapuziner-Neuaufbruch in einem säkularisierten Land

Br. Chris­to­pho­rus Goe­de­r­eis ist Kapu­zi­ner und lebt seit knapp zwei Jah­ren in den Nie­der­lan­den. Dort berei­tet er einen Neu­auf­bruch im Kapu­zi­ner­klos­ter Velp vor. Wie die Situa­ti­on von Kir­che und Orden vor Ort ist, beschreibt er im Interview.

Br. Chris­to­pho­rus, seit 2022 leben und arbei­ten Sie in den Nie­der­lan­den: Füh­len Sie sich dort zu Hau­se und wie klappt es mit der Sprache?
Ja, inzwi­schen bin ich dort ange­kom­men und füh­le mich daheim. Was die Spra­che betrifft: Ich habe das Gefühl, dass es gut klappt. Die Spra­che war mir ja nicht total fremd. Ich bin drei Kilo­me­ter von der nie­der­län­di­schen Gren­ze groß gewor­den und der Klang des Nie­der­län­di­schen ist mir seit Kin­des­bei­nen vertraut.

Was ver­mis­sen Sie an Deutschland?
Das Ein­zi­ge, das ich wirk­lich manch­mal ver­mis­se, sind deut­sche Got­tes­diens­te mit einer ver­trau­ten Lit­ur­gie, mit kräf­ti­gem Gesang, gutem Orgel­spiel und viel­fäl­ti­gen lit­ur­gi­schen Diensten.

Was ist Velp für ein Ort, und was macht ihn aus?
Mein Wohn­ort ist das Kapu­zi­ner­klos­ter in Velp bei Gra­ve, wo wir einen neu­en Auf­bruch mit einer inter­na­tio­na­len Gemein­schaft vor­be­rei­ten. Dort mag ich die Men­schen, von denen ich mitt­ler­wei­le vie­le ken­ne und die sich auf den Neu­start der Kapu­zi­ner freu­en. Da ich aus­hilfs­wei­se in der Pfar­rei mit­ar­bei­te, bin ich auch dort inzwi­schen zu Hau­se. Ich lie­be das alte Klos­ter aus dem Jahr 1645. Ich lie­be den mor­gend­li­chen Blick von mei­nem Zim­mer auf den See hin­ter dem Klos­ter und ich lie­be die traum­haf­te Natur, in der das Klos­ter liegt. Nicht zuletzt aber mag ich die nüch­ter­ne und tole­ran­te nie­der­län­di­sche Mentalität.

Es gibt eine star­ke Suche nach neu­en For­men von Gemeinschaft­sleben und nach Spiritualität.

Wie sind Sie an den Ort gekom­men, an dem Sie leben?
Als ich noch Pro­vin­zi­al in Deutsch­land war, erhielt die deut­sche Pro­vinz den Auf­trag, in den Nie­der­lan­den einen Neu­auf­bruch nach dem Vor­bild des San Loren­zo Pro­jekts zu initi­ie­ren. Die­ses Pro­jekt inner­halb des Kapu­zi­ner­or­dens ver­sucht, an prä­gnan­ten Orten mit einer inter­na­tio­na­len Gemein­schaft einen Neu­auf­bruch zu wagen. Die Brü­der sol­len dort ein Leben in Ein­fach­heit füh­ren mit Schwer­punkt auf Gemein­schaft, Gebet und Gast­freund­schaft. Letzt­lich geht es dar­um, „die Flam­me unse­res Cha­ris­mas neu zu ent­zün­den“. Auf der Suche nach einem guten Platz dafür besuch­te ich 2021 das für ein paar Jah­re ver­las­se­ne Kapu­zi­ner­klos­ter in Velp. Ich habe mich sofort in den Ort ver­liebt und sofort gespürt: Dies könn­te der rich­ti­ge Ort für einen Neu­auf­bruch sein.

Wie wür­den Sie das kirch­li­che und reli­giö­se Umfeld beschrei­ben, in dem der Neu­auf­bruch stattfindet?
Da muss ich ein biss­chen aus­ho­len: Jahr­hun­der­te­lang waren die Nie­der­lan­de streng cal­vi­nis­tisch. Durch bestimm­te poli­ti­sche Kon­stel­la­tio­nen kam es ab 1853 zu einem unglaub­li­chen Auf­schwung der katho­li­schen Kir­che. Die Klös­ter und Pries­ter­se­mi­na­re waren voll. Es gab katho­li­sche Zei­tun­gen, katho­li­sche Schu­len und katho­li­sche Fuß­ball­ver­ei­ne. Nach dem Zwei­ten Welt­krieg jedoch wur­de die­se katho­li­sche Säu­le der nie­der­län­di­schen Gesell­schaft immer schwä­cher und das Phä­no­men der Säku­la­ri­sie­rung immer stärker.

Ent­schei­dend war das zwei­te Vati­ka­ni­sche Konzil.
So ist es. Nach dem Kon­zil in den 1960er Jah­ren kam es zum Knall: Das Pen­del des sehr tra­di­tio­nell gepräg­ten nie­der­län­di­schen Katho­li­zis­mus schlug auf die ande­re Sei­te um. Von 1966 bis 1970 tag­te in Noor­dwi­jker­hout das soge­nann­te Pas­to­ral­kon­zil, um die Beschlüs­se des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils umzu­set­zen. Das führ­te zu radi­ka­len Neue­run­gen. Zum Bei­spiel votier­te das Pas­to­ral­kon­zil mit gro­ßer Mehr­heit für die sofor­ti­ge Abschaf­fung des Zöli­bats. In den fol­gen­den Jah­ren kam es dann zu tur­bu­len­ten Zustän­den. Ein Bei­spiel: Pries­ter hei­ra­te­ten und übten mit Erlaub­nis des zustän­di­gen Orts­bi­schofs wei­ter­hin ihr Amt aus. Das alles führ­te zu einem gro­ßen Kon­flikt mit dem Hei­li­gen Stuhl. Die Beschlüs­se des Pas­to­ral­kon­zils wur­den für nich­tig erklärt.

Ja, ich glau­be an und hof­fe auf neue Berufungen!

Die Fol­ge war ein Exodus der Gläubigen.
Genau. Vie­les von dem ist bis heu­te spür­bar und klingt noch nach. Wäh­rend das offi­zi­el­le kirch­li­che Leben heu­te gen Null geht, gibt es laut sozio­lo­gi­schen Stu­di­en mehr Sinn­su­che­rin­nen und Sinn­su­cher als in ande­ren euro­päi­schen Län­dern. Es gibt eine star­ke Suche nach neu­en For­men von Gemeinschaft­sleben und nach Spi­ri­tua­li­tät. The­men wie Nach­hal­tig­keit und Schöp­fung spie­len in den säku­la­ren Nie­der­lan­den eine gro­ße Rol­le. Und die Nie­der­län­der haben das Pil­gern, das spi­ri­tu­el­le Unter­wegs­sein wie­der neu entdeckt.

Das birgt Chancen?
Natür­lich! Am Emma­us­kloos­ter in Velp etwa lau­fen zwei Pil­ger­we­ge ent­lang. Fast jede Nacht über­nach­ten bei uns ein paar die­ser moder­nen Sinn­su­cher. Die meis­ten sind nicht kirch­lich oder expli­zit christ­lich unter­wegs, aber eben doch offen für spi­ri­tu­el­le Fra­gen. Das bedeu­tet auch, dass wir alle Ange­bo­te sehr nie­der­schwel­lig anset­zen müssen.

Was macht die­ser Trend, dass Kir­che weg­bricht, mit Ihnen per­sön­lich, mit Ihrem Glauben?
Ich habe mich immer ger­ne auf der Grenz­li­nie zwi­schen Glau­ben und Kir­che auf der einen und der post­mo­der­nen Gesell­schaft auf der ande­ren Sei­te bewegt. Ich fin­de die­se Her­aus­for­de­rung span­nend und inter­es­sant. Kurz­um: Mein Glau­be wird durch die säku­la­re Rea­li­tät eher inspi­riert als bedrängt.

In wel­cher Situa­ti­on befin­den sich die nie­der­län­di­schen Kapuziner?
Die nie­der­län­di­sche Pro­vinz war frü­her eine der stärks­ten im Orden. In mei­nem Geburts­jahr 1965 gab es dort mehr als 600 Kapu­zi­ner. Heu­te gibt es dort es noch 24 nie­der­län­di­sche Kapu­zi­ner, von denen der jüngs­te 67 Jah­re alt ist.

Hofft man noch auf neue Berufungen?
Die nie­der­län­di­schen Brü­der haben die­se Hoff­nung bereits vor 20 oder 30 Jah­ren auf­ge­ge­ben. Ich sel­ber wäre jedoch nicht hier, wenn ich nicht dar­an glau­ben wür­de, dass Gott auch heu­te noch Men­schen in unse­re fran­zis­ka­ni­sche Lebens­form beruft, auch in den Nie­der­lan­den. Daher: Ja, ich glau­be an und hof­fe auf neue Berufungen!

Der Kapu­zi­ner-Orden im Land hat also schon vor vie­len Jah­ren sein eige­nes Ende und Ster­ben in den Fokus genom­men. Wie gehen die Brü­der mit einem Neu­auf­bruch um?
Zu Anfang waren vie­le kri­tisch und skep­tisch. Das ist auch okay und hilft mir sel­ber, immer mehr in die kirch­li­che Rea­li­tät der Nie­der­lan­de ein­zu­drin­gen. Mitt­ler­wei­le habe ich aber das Gefühl, dass sich zumin­dest eini­ge der alten Brü­der auch freu­en, dass sich doch noch etwas bewegt und etwas wei­ter­geht. Unter den alten Brü­dern sind auch vie­le Mis­sio­na­re, die frü­her in Indo­ne­si­en oder Tan­sa­nia gewirkt haben. Aus die­sen Län­dern kom­men nun neue Mit­brü­der in die Nie­der­lan­de. Für mich sind das die gro­ßen Bewe­gun­gen der Geschich­te, und nie­mand von uns weiß, was der lie­be Gott noch mit uns vorhat.

Wer­den wir mal etwas kon­kre­ter: Was für eine Gemein­schaft soll es wer­den in Velp?
Unse­re inter­na­tio­na­len Gemein­schaf­ten im soge­nann­ten Pro­jekt San Loren­zo bestehen aus fünf bis sie­ben Brü­dern. Die neue Gemein­schaft in Velp wird vor­aus­sicht­lich aus sechs Brü­dern bestehen, die aus Indo­ne­si­en, Indi­en, Tan­sa­nia, den Nie­der­lan­den und Deutsch­land kom­men. Der Alters­schnitt geht nach jet­zi­gem Stand von 30 bis 82. Star­ten wol­len wir Ende 2024.

Was sind die Her­aus­for­de­run­gen einer inter­na­tio­nal gemisch­ten Gemeinschaft?
Die­se lie­gen vor allem im Erler­nen der Spra­che, im Ein­le­ben in eine völ­lig ande­re Kul­tur sowie in eine total ande­re Situa­ti­on von Kir­che und Glau­be. Und nicht zuletzt auch im Gewöh­nen an Wet­ter und Essen. Dar­über hin­aus müs­sen alle mit­ein­an­der ler­nen, dass unter­schied­li­che Kul­tu­ren im all­täg­li­chen Leben unter­schied­lich „ticken“. Aber eben dar­in liegt auch die Chan­ce. Wir leben in Euro­pa inzwi­schen über­all in inter­na­tio­na­len Gesell­schaf­ten – und die katho­li­sche Kir­che, die eigent­lich Welt­kir­che ist, tut sich offen­bar nach wie vor schwer damit. Das ist doch eigent­lich para­dox. Das Wort katho­lisch bedeu­tet all­um­fass­send, welt­weit. Ich sage ger­ne: In der immer inter­na­tio­na­ler wer­den­den Welt kön­nen wir nun end­lich das wer­den, was wir eigent­lich sind, näm­lich katho­lisch (lacht).

Mein Glau­be wird durch die säku­la­re Rea­li­tät eher inspi­riert als bedrängt.

Wie gehen Sie das Pro­jekt kon­kret an?
Wir sind dabei, uns online ken­nen­zu­ler­nen, uns aus­zu­tau­schen und die Kan­di­da­ten inhalt­lich vor­zu­be­rei­ten. Das gilt natür­lich auch für die Spra­che. Dar­über hin­aus erar­bei­te ich gera­de für das ers­te Jahr vor Ort ein eige­nes, inter­nes Pro­gramm, bei dem es vor allem um die fol­gen­den Din­ge geht: Zeit für­ein­an­der haben, ein­an­der ken­nen­ler­nen, zuhö­ren, nicht urtei­len, den Reich­tum der Viel­falt ent­de­cken und Pro­ble­me offen benen­nen usw. Nur so kön­nen wir mit­ein­an­der und anein­an­der wachsen.

Wie sieht das Emma­us­kloos­ter in Velp dann zukünf­tig aus?
In der Visi­on für das Pro­jekts heißt es, dass der ältes­te kapu­zi­ni­sche Ort der Nie­der­lan­de wie­der zu einem Ort der Stil­le und des Gebets wird, der offen ist für Pil­ger, Sinn­su­cher und Inter­es­sier­te an unse­rem Leben. Wir wol­len ein inten­si­ves Gemein­schafts­le­ben und auch ein inten­si­ves Gebets­le­ben füh­ren, das zumin­dest zum Teil offen steht für die Men­schen. Gast­freund­schaft wird eine wich­ti­ge Rol­le spie­len, eben­so der Dia­log mit ande­ren Glau­bens­rich­tun­gen, vor allem auch mit den pro­tes­tan­ti­schen Kirchen.

Zur Per­son:

Br. Chris­to­pho­rus Goe­de­r­eis (Jahr­gang 1965) wur­de in Nord­horn gebo­ren. Seit 1984 ist er Kapu­zi­ner in der Deut­schen Kapu­zi­ner­pro­vinz. Der Ordens­mann lei­te­te unter ande­rem das City-Klos­ter in Frank­furt am Main und war vie­le Jah­re gewähl­ter Pro­vin­zi­al der Pro­vinz. Seit 2022 lebt der Ordens­mann in den Nie­der­lan­den und bereit dort einen Neu­auf­bruch des Ordens im alten Kapu­zi­ner­klos­ter Velp vor. Br. Chris­to­pho­rus ist seit 2023 auch Dele­gat der „Lage Lan­den“, also der Ver­tre­ter des Pro­vin­zi­als in der Dele­ga­ti­on „Bel­gi­en und Nie­der­lan­de“, die als Teil der deut­schen Kapu­zi­ner­pro­vinz die Klös­ter des Ordens in den bei­den Län­dern umfasst. Rund 60 Kapu­zi­ner leben in Bel­gi­en und Niederlande.

Das Inter­view führ­te Tobi­as Rauser

 

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