

FOTO: KAPUZINER
„Christus suchen, heißt aufzubrechen. Lasst uns anfangen!“
Franz von Assisi war ein Wanderer. Die, die sich ihm angeschlossen haben und anschließen, ringen mit diesem Lebensmodell. Br. Bernd Kober über Pilgerschaft, den Weg als Heimat und nötige Ruheorte.
Wer mit Kleinen oder Großen unterwegs ist oder war, wird die ungeduldige Frage im Ohr haben: „Wie weit ist es denn noch?“ Zumindest die Eltern ringen dann um eine Antwort, die die Kinder ermutigt und zum Durchhalten bewegt. Aber auch für alle, die auf Durststrecken unterwegs sind, kann es zur existentiellen Frage werden: „Wie lange denn noch? Wann endlich bin ich am Ziel?“
Franziskus‘ Leben ist vom Anfang bis zum Ende eine Wanderschaft. Als junger Mann durchstreift er die Ebene vor seiner Heimatstadt. Er sucht und fragt. Er ringt mit sich und der Frage, was er mit seinem eigentlich gut situierten Leben anfangen soll. Er kommt aus wohlhabendem Haus. Und dennoch sucht er eine Bleibe, eine innere Heimat. Als sich ihm die ersten Gefährten angeschlossen hatten, wandern sie weiter. In Assisi sind sie nicht gern gesehen, so wandern sie ins Rietital, wo noch heute die urfranziskanischen Orte und Einsiedeleien einladen, innezuhalten und die eigenen Lebenbewegungen zu betrachten und zu befragen.
Franziskus erkennt: Auf dem Weg ist meine Heimat. Ich bin ein Pilger. Auf dem Weg macht er entscheidende Begegnungen. Wäre er in der Stadt und zuhause geblieben, so hätte er niemals den Aussätzigen getroffen, der ihm auf seiner Wanderschaft begegnet. Im Testament bekennt und erkennt er: Diese Begegnung war entscheidend. Diese Begegnung hat eine Kehrtwende bewirkt. Bitter wird süß, so formuliert er. Seit dieser Begegnung geraten die Armen und Bedürftigen nie mehr aus seinem Blickfeld. Sie werden Teil seiner Berufung – und des Lebens derer, die sich Franziskus anschließen. In der sogenannten „nicht bestätigten Regel“ (eine Vorform der Ordensregel, die 1223 von Papst Honorius bestätigt werden wird) ermuntert er seine Brüder: Am Weg ist euer Ort, dort wo ihr den Bettlern begegnet und denen, die nicht Schritt halten können.
Franz von Assisi kommt nie wirklich an in dieser Welt und in seinem Leben. Immer fühlt er sich unbehaust. Immer wieder fühlt er sich gezwungen, aufzubrechen und weiter zu wandern. Er hat eine Abwehr gegen feste, gemauerte und steingewordene Klöster und Niederlassungen der Brüder – eine Abwehr bis hin zum Zorn. Dabei geht es nicht nur um das Ideal, materiell arm zu sein und nichts zu besitzen. Es geht um die Lebenshaltung. Nichts wird bleiben, nichts in dieser Zeit ist wirklich dauerhaft. Gott, den er mit allen Fasern seines Herzens sucht, ist immer voraus und nie zu haben und festzuhalten. Sein Biograph Bonaventura wird das in einem Wort und Programm zusammenfassen, das „Transitus“ heißt – Hinübergang. Immer ist das Leben ein Durchgang, es geht hinüber.
Auf der Wanderschaft braucht es Ruheorte. Liebfrauen in Frankfurt, wo ich zurzeit lebe, ist ein solcher Ruheort für den Leib und für die Seele. In allem Getriebensein und Treiben der Stadt ist es eine Oase, in der der Mensch ankommen darf, still werden, Platz nehmen am Tisch der Eucharistie und auch am Frühstückstisch im Franziskustreff.
Aber hier wie dort steht die Frage nach dem nächsten Schritt. Ein vorzeitiges triumphales wie auch resigniertes Ankommen dient nicht dem Leben – nicht der Entwicklung des Einzelnen wie auch dem Gemeinschaftsleben. Ein vorzeitiges Ankommen kann zum religiösen Fundamentalismus führen, der glaubt, alle Fragen letztgültig beantwortet zu haben. Ein vorzeitiges Ankommen verhindert Kreativität und Phantasie, die vom Evangelium inspiriert ist. Ein vorzeitiges Ankommen soll auch die Sache der Kapuziner nicht sein. Unsere Gemeinschaften leben wesentlich vom Wechsel der Brüder und dem sich immer neu miteinander auf den Weg machen.
Papst Franziskus hat in voller Absicht seinen Namen gewählt. Mit Christus ist die Kirche wanderndes Gottesvolk. Sie ist und hat nicht selbst die fertige Wahrheit. Sie folgt dem einzigen, der die Wahrheit ist: Jesus Christus. Festhalten kann sie ihn, den Auferstandenen, nicht und niemals. Wandert sie nicht, verliert sie ihn aus dem Blick. Auf dem Weg durch die Zeiten und Jahrhunderte begegnet sie denen, die Not haben, Fragen stellen, sie herausfordern und bitten – oder auch ablehnen. Am Weg begegnet die Kirche Christus, der ihr in verschiedensten Gestalten begegnet – oftmals unerkannt, fremd, überraschend und anstößig.
Mut zur Wanderschaft ist kein abstraktes Ideal. Es mahnt zur Bescheidenheit. Es mahnt zu Erkenntnis: Christus ist uns voraus. Ihn suchen, heißt aufzubrechen. Dann wird er mit uns sein. Das Wort, das der sterbende Franz von Assisi seinen Brüdern sagt, gilt auch uns: „Lasst uns endlich anfangen!“ Let’s go!