FOTO: KAPUZINER/LEMRICH
BR. STEFAN WALSER
ist seit 2006 Kapuziner. Der Theologe ist Juniorprofessor für Fundamentaltheologie und christliche Identitäten an der Uni in Bonn.
Lehre an der Uni Bonn: „Das Gegengift zum Fundamentalismus“
Br. Stefan Walser arbeitet als Professor für Fundamentaltheologie in Bonn, am Wochenende lebt er ab März in Frankfurt. Ein Interview über Fundamentalismus, Theorie und Praxis, interfranziskanische Zusammenarbeit und Berufung.
Br. Stefan, bei Ihnen ist im letzten halben Jahr viel passiert. Sie arbeiten nun als „Professor für Fundamentaltheologie“ in Bonn. Was ist denn eigentlich „Fundamentaltheologie“?
Fundamentaltheologie ist die Grundlagenwissenschaft der Theologie. Hier wird sehr grundsätzlich geklärt, was Theologie überhaupt ist, warum sie „Wissenschaft“ ist, wie sie methodisch vorgeht, arbeitet, argumentiert. Dann werden wiederum sehr fundamentale Fragen gestellt, wie: Was soll eigentlich Religion? Wen oder was verstehen wir unter den vier Buchstaben „Gott“? Warum gibt es Kirche und was ist ihre Daseinsberechtigung?
„Fundamental“ verbinden manche mit „fundamentalistisch“.
Ja, das stimmt. Aber das Gegenteil ist der Fall. Bei all den genannten Fragen wird das Gespräch mit Andersdenkenden und Kritikern gesucht, auch mit anderen Religionen oder mit Nicht-Glaubenden. Die Fundamentaltheologie ist also nach außen hin orientiert, sozusagen das „Außenministerium“ der Theologie, und versucht daher möglichst all ihre Hypothesen sehr transparent zu machen und nicht nur in kirchlicher Binnensprache zu sprechen. Weil Fundamentaltheologie grundlegende Fragen zum Thema macht, und nicht einfach sagt „Das ist halt so!“, ist sie das Gegenteil und das Gegengift zum Fundamentalismus.
Ich lebe unter der Woche in Bonn und erlebe eine wunderbare und unkomplizierte franziskanische Gastfreundschaft bei unseren Mitbrüdern Franziskanern.
Sie sind in Bonn „Juniorprofessor“, was bedeutet das?
Im September 2022 wurde ich als Juniorprofessor für Fundamentaltheologie und christliche Identitäten ernannt und vereidigt. Eine Juniorprofessur ist ein Verfahren, um wissenschaftliche Nachwuchskräfte rechtzeitig zu binden und in eine Professur zu bringen. Das heißt konkret, dass ich bereits Professor mit allen Rechten und Pflichten bin. Ich habe aber noch ein kleineres Stundendeputat – im Moment sind das „nur“ vier Stunden Lehre in der Woche – habe dafür aber mehr Zeit, meinen eigenen Schwerpunkt in der Forschung auszubauen und mehr zu schreiben. Allerdings ist das Gute daran, dass meine Professur einen sogenannten „tenure track“ hat, das heißt: Nach einer erfolgreichen Evaluation soll der Lehrstuhl auf eine Planstelle verstetigt werden.
Wie sind denn Ihre die ersten Monate gelaufen?
Mein erstes Semester ist geschafft. Es war anstrengend, aber vor allem motivierend und geradezu beflügelnd. Das liegt vor allem daran, dass ich in Bonn ganz viele Menschen angetroffen habe, die mich sehr herzlich empfangen haben und mir als Neuling jede Hilfe und jede Info gegeben haben. Eine gewisse rheinische Freundlichkeit und Leichtigkeit machen alles einfacher. Die Lehre – also Vorlesung und Seminar – hat echt Freude gemacht und ich bin zufrieden. Spannend wurde es immer da, wo Fragen auftauchen, wo Diskussion entsteht und wo ich zuschauen darf, wenn die Studierenden dazulernen und ein neuer Horizont aufgeht. Und sei es nur, indem ein ungelöstes theologisches Problem dazukommt, von dem sie vorher noch gar nichts ahnten.
Was ist Bonn für eine Uni?
Bonn ist seit 2019 eine von elf Exzellenzuniversitäten in Deutschland und hat eine sehr traditionsreiche katholische Fakultät. In der Fundamentaltheologie, also meinem Fach, lehrte etwa Anfang der 60er-Jahre ein junger Professor namens Joseph Ratzinger, der vor kurzem verstorbene Papst Benedikt XVI. Heute ist die Fakultät mit 16 Lehrstühlen voll ausgebaut und mit allen theologischen Disziplinen vertreten. Spannend für uns ist, dass es auch eine evangelische Schwester-Fakultät und ein Alt-Katholisches Seminar gibt.
Ich liebe tiefgehendes, ernsthaftes theologisches Nachdenken über Gott und die Welt. Und ich halte das für sehr wichtig.
Was waren Ihre Themen in diesem ersten Semester?
Ich habe eine Einführungsvorlesung in die Fundamentaltheologie gehalten. Für den Einstieg war das genau das richtige, ein Rundumschlag. Außerdem habe ich ein Lektüreseminar angeboten, wo wir theologische Texte aus verschiedenen Jahrhunderten gelesen haben. Das Seminar hieß „Wetten, dass…?“ und ging einem einzigen Gedankengang nach: nämlich der Frage, ob man erst verstehen muss, bevor man glauben darf, oder ob man nicht umgekehrt erst zu glauben beginnen sollte, um dann mit dem Verstand zu folgen. Der Philosoph Blaise Pascal hat einmal eine „Wette“ abgeschlossen, dass der zweite Weg der sinnvollere ist.
Wo wohnen Sie unter der Woche?
Ich lebe unter der Woche in Bonn, mitten in der Stadt am schönen Bonner Münster und erlebe eine wunderbare und unkomplizierte franziskanische Gastfreundschaft bei unseren Mitbrüdern Franziskanern. Wir leben dort zu viert in einer netten kleinen Wohnung. Im Nebengebäude ist der Sitz des großen Hilfswerks „Franziskaner helfen“, das von verschiedenen Ordensprovinzen in Europa getragen wird und Hilfsprojekte in der ganzen Welt unterstützt und organisiert.
Am Wochenende wohnen Sie ab Ende Februar in Frankfurt am Main.
So ist es. Meine kapuzinische Heimat ist die Gemeinschaft in Frankfurt, Liebfrauen. Von hier aus bringt mich die Bahn ganz schnell nach Bonn. Aber es ist mehr als eine Wochenend-Ehe. Wann immer ich am Wochenende, den Feiertagen oder Semesterferien hier bin, bringe ich mich sehr gerne als Priester in die Cityseelsorge mit ein.
Schon lange träume ich von der Idee, dass die männlichen Zweige des Franziskusordens stärker kooperieren und sich wiedervereinigen. Jetzt hat es sich mit meinem Ruf nach Bonn ergeben, dass ich halb in einem Kapuziner‑, halb in einem Franziskanerkonvent lebe. So fange ich mit der Vereinigung ganz praktisch bei mir an.
Es macht mir große Freude, mit jungen Menschen neue Horizonte zu erschließen.
Was treibt Sie an als Wissenschaftler?
Mein Leben lang versuche ich, Theorie und Praxis zu verbinden. Es gab in meinem Ordensleben Jahre, wo ich stärker in der Seelsorge tätig war und andere, in denen ich mehr Theologie treiben konnte. Ich möchte keines von beidem missen. Ich liebe tiefgehendes, ernsthaftes theologisches Nachdenken über Gott und die Welt. Und ich halte das für sehr wichtig. Kürzlich erst bin ich auf das schöne Wort gestoßen: „Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie.“ Das finde ich tatsächlich.
Glaube und Kirche sind im Umbruch.
Ja, in der Tat. Und in diesen Umbrüchen sind nicht nur Aktionen wichtig, sondern vieles muss auch neu gedacht werden. Wir dürfen nicht mehr theologische Antworten geben, die buchstäblich nicht gefragt sind. Meine Aufgabe ist es nun, junge Theologinnen und Theologen fit zu machen, um die großen Menschheitsthemen Glaube und Religion innerhalb und außerhalb von Kirche wach zu halten.
Was ist Ihnen wichtig in der Arbeit mit jungen Leuten?
Die Bonner Fakultät ist die theologische Ausbildungsstätte für das Erzbistum Köln. Ich darf also Priesteramtskandidaten, Studierende auf Lehramt und Studierende in ganz verschiedenen Bachelor- und Magister-Studiengängen unterrichten. Es macht mir große Freude, mit jungen Menschen zu denken. Und mit ihnen durch neues Wissen und gemeinsames Entdecken neue Horizonte zu erschließen. Ich darf einen Bildungsweg begleiten, der sie entdecken lässt, wo sie später als Theologin oder Theologe arbeiten möchten. Das ist wunderbar.
Sie sind auch Kapuziner, ein franziskanischer Ordensmann. Welche Rolle spielt das in Ihrem Job als Professor?
Zuallererst muss ich dazu sagen: Ich unterrichte an einer staatlichen Einrichtung, die vom Steuerzahler finanziert wird. Mein Arbeitgeber ist nicht die Kirche. Die Uni Bonn ist sehr groß und ich finde vor allem den Austausch mit anderen Disziplinen unglaublich bereichernd. Aber zur Frage: Derzeit gibt es an der Universität Bonn genau 636 Professorinnen und Professoren, darunter sind zwei Ordensleute. Als Kapuziner bringe ich zum einen viele internationale Kontakte mit. Und, auch wenn mir völlig klar ist, dass ich als Wissenschaftler an der Uni angestellt bin und nicht etwa als Seelsorger, bin und bleibe ich natürlich Kapuziner. Ich bringe in meine Lehre – wie jeder andere Dozierende auch – meine bisherigen Lebenserfahrungen mit ein, die bei mir stark mit meinem Glauben und meinem Leben im Orden zusammenhängen.
Sie sind zum Professor „berufen“ worden.
Ja, das ist so. Aber Sie haben ja eben die Frage formuliert, was mein Kapuzinersein für meinen neuen „Job“ bedeutet. Und das ist auch vollkommen richtig gefragt. In den letzten Monaten wurde mir zwar immer wieder zur „Berufung“ nach Bonn gratuliert. Und ich fühle mich auch zur Wissenschaft berufen, zu forschen und lehren. Aber meine geistliche innere Berufung zum Ordensleben als Kapuziner, die habe ich schon vor vielen Jahren erhalten und ich bin sehr dankbar, dass ich ihr an verschiedenen Orten und mit ganz verschiedenen Aufgaben bis heute folgen konnte.
Vielen Dank für das Gespräch!