

FOTO: KAPUZINER/RAKOWSKI
Mexikanisches Totenfest: Erlebtes Ostern im November
Zu Allerheiligen feiern die Mexikaner gemeinsam mit ihren Toten. Br. Helmut Rakowski, der viele Jahre vor Ort gelebt hat, berichtet von einem wunderbaren Fest des Glaubens, das die Familie zusammenbringt.
Ende Oktober herrscht Hochbetrieb auf den offenen Märkten in Mexiko. Riesige Berge gelber Tagetes stehen zum Verkauf, Lastwagenladungen Orangen und andere Früchte werden angeliefert, die Bäcker legen Sonderschichten ein, Tontöpfe und Schüsseln stapeln sich. Und selbst wer sonst den Peso zweimal umdrehen muss, greift zu und deckt sich ein.
Zu Allerheiligen feiern die Mexikaner das Totenfest. Besonders die indianische Urbevölkerung im Süden des Landes empfängt ihre Toten zuhause mit Blumen, Kerzen und Weihrauch. Auf dem Hausaltar steht für jeden Verstorbenen eine Schüssel mit Festtagsessen. Dazu eine Art Weckmann und Getränke. Je nach den Vorlieben der Verstorbenen wählen die Angehörigen Agavenwein, Schnaps, Bier oder Limonade aus.
An Allerheiligen und Allerseelen kommen die Toten zurück in ihre Häuser. Die Lebenden erwarten sie freudig und wollen, dass die Verstorbenen spüren „Ihr seid willkommen“. Die ganze Nacht sitzt man zusammen, isst, betet und tauscht Erinnerungen sowie Neuigkeiten aus. Es ist keine Nacht die Angst macht. Sie hat nichts mit Halloween zu tun.
Die Toten sind keine Geister, sondern liebe Gäste. Sie bringen die ganze Familie zusammen, die sonst weit zerstreut lebt, weil die Menschen in den Großstädten und bis hin in die USA und Kanada Arbeit suchen müssen. An diesen Tagen biegen sich die Tische, was längst nicht immer der Fall ist. Für alle wird spürbar, dass das Totenfest ein Fest des Lebens ist. Gott will Leben. Am Tag geht es dann zum Friedhof, wo die Messe gefeiert wird. Und auch hier wird wieder Mahl gehalten. Man sitzt an den Gräbern, schmaust und spielt Musik.
Jeder Tod schmerzt. Auch den Menschen in Mexiko. Aber er ist keine Katastrophe, denn man spürt, dass nach dem Tod Leben herrscht. Das Totenfest in Mexiko ist ein Fest des Glaubens, es ist erlebtes Ostern mitten im November.
Nach der Messe auf dem Friedhof öffnet sich die Familie für die Nachbarn und Verwandten. Man wendet sich den Lebenden zu. Jetzt werden die übriggebliebenen Lebensmittel an die Besucherinnen und Besucher verteilt. Die Weckmänner wandern von einem Haus zum anderen. Die Teller mit dem Festessen werden von den Nachbarn ausgelöffelt. Auf meine zweifelnde Frage, dass die angebotenen Speisen doch noch alle da seien und die Toten anscheinend nichts gegessen hätten, kam die Antwort: Sie haben das Aroma genommen. Tatsächlich schmeckt das Essen nach mehreren Tagen an der Luft und mit Kerzenruß und Weihrauch geräuchert nicht mehr ganz frisch. Und trotzdem teilt man es, schätzt es und fühlt sich verbunden über Generationen hinweg.
Der November ist ein Monat der Lebenden.