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FOTO: KAPU­ZI­NER

25. Janu­ar 2024

Missionarische Seelsorge in Albanien

Was bedeu­tet mis­sio­na­ri­sche Seel­sor­ge in einem ehe­mals kom­mu­nis­ti­schen Land wie Alba­ni­en? Br. Andre­as Wal­ter­mann lebt seit vie­len Jah­ren im Land und berich­tet von Vor­sicht, natür­li­cher Reli­gio­si­tät und Men­schen in Not. 

Seel­sor­ge im mis­sio­na­ri­schen Kon­text muss man umfas­sen­der ver­ste­hen. Wenn es nur um die See­le geht, das Inne­re des Men­schen, sei­ne spi­ri­tu­el­le Kom­pe­tenz, sei­ne geist­li­che Erfah­rung und Ent­wick­lung – dann sind wir in Alba­ni­en noch weit davon ent­fernt. Nur sehr sel­ten pas­siert es, dass Men­schen einen ande­ren in ihre See­le schau­en las­sen. Das hat man nicht gelernt; die See­le muss­te man wäh­rend der Zeit des rigi­den Kom­mu­nis­mus unter Enver Hox­ha ver­ste­cken; die Zugän­ge dazu wur­den ver­schüt­tet; Vie­les, was die See­le, das Inne­re des Men­schen aus­macht, wur­de bei­na­he bis zur Wur­zel aus­ge­ris­sen und mit Druck und Straf­an­dro­hung ausgemerzt.

Dies ist für mich einer­seits eine inter­es­san­te, aber auch eine bedrü­cken­de Erfah­rung. Hier in Alba­ni­en gibt es fol­gen­des Phä­no­men: Man hält sich bedeckt, man gibt wenig oder nichts von sei­nem Inne­ren preis. Die eige­nen Gefüh­le und das eige­ne Emp­fin­den blei­ben dem Gegen­über ver­bor­gen, man ver­liert sich im Ober­fläch­li­chen und geht tie­fe­ren Fra­gen aus dem Weg. Wahr­schein­lich ist das viel­fach mitt­ler­wei­le auch die gän­gi­ge Pra­xis in den säku­la­ri­sier­ten Län­dern West­eu­ro­pas, auch wenn es dort ein sehr breit auf­ge­stell­tes Netz von Gesprächs­seel­sor­ge und Bera­tung gibt. In Alba­ni­en ist das meist noch ein unbe­schrie­be­nes Blatt.

Alba­ne­rin­nen und Alba­ner besit­zen so etwas wie eine „natür­li­che Reli­gio­si­tät“. Die älte­ren Men­schen und vie­le Kin­der und Jugend­li­che haben einen gro­ßen und wun­der­ba­ren Glau­ben. Die mitt­le­re Gene­ra­ti­on ist wohl­wol­lend offen für kirch­li­che Ange­bo­te, aber oft distan­ziert und indif­fe­rent. Sie haben den Glau­ben als etwas Ver­bo­te­nes erlebt, sind reli­gi­ös nie sozia­li­siert wor­den und hat­ten nur weni­ge Mög­lich­kei­ten, eige­ne Glau­bens­er­fah­run­gen zu machen.

Und natür­lich hin­ter­lässt auch die Säku­la­ri­sie­rung ihre Spu­ren. Das klei­ne Pflänz­chen der wie­der erstan­de­nen Glau­bens­frei­heit in der alba­ni­schen Kir­che ist heu­te in Gefahr, vom Rasen­mä­her der Säku­la­ri­sie­rung gestutzt und abge­mäht zu wer­den – noch bevor sie zur vol­len Ent­fal­tung und Blü­te kommt.

Dazu kom­men ande­re Fak­to­ren, die nicht unwich­tig sind wie z.B. die ört­li­che Situa­ti­on. In unse­rer Berg­re­gi­on feh­len Per­spek­ti­ven beruf­li­cher und fami­liä­rer Ent­wick­lung, es gibt eine mas­si­ve Abwan­de­rung auf­grund von Arbeits­lo­sig­keit. Die Dör­fer blu­ten aus, in denen meist nur die Alten, die kin­der­rei­chen oder sozi­al schwa­chen Fami­li­en und die mit behin­der­ten Ange­hö­ri­gen geblie­ben sind. Dazu kommt die Ver­nach­läs­si­gung der infra­struk­tu­rel­len Gege­ben­hei­ten wie der Wege, der Bewäs­se­rungs­ka­nä­le, der Ver­sor­gung mit Elek­tri­zi­tät und Was­ser, die wei­ten Wege, die schwie­ri­gen Bedin­gun­gen, auf klei­nen Flä­chen Land­wirt­schaft zu betrei­ben, die feh­len­den Aus­bil­dungs- und Ein­kaufs­mög­lich­kei­ten und vie­les mehr. 

Wenn wir von Seel­sor­ge reden, müs­sen wir die­se Fak­to­ren mit­be­rück­sich­ti­gen. Sie beein­flus­sen das Leben der Men­schen, ihre All­tags­er­fah­rung, ihre Gefühls­welt, ihre Fähig­keit zu glau­ben und ihre Seele.

„Der Ort, wo du lebst, ist der Ort, an dem dir Gott begeg­net“. Seel­sor­ge ist nicht etwas Auf­ge­setz­tes, Oben-drauf-Geleg­tes und Das-Belas­ten­de-des-All­tags-Bede­cken­de. Eine los­ge­lös­te Seel­sor­ge gibt es nicht. Seel­sor­ge geht nicht ohne Leib­sor­ge, ohne Auf­merk­sam­keit für das all­täg­li­che Leben der Men­schen, ohne den Blick auf das Pro­fa­ne und Notwendige.

Seel­sor­ge im Kon­text der alba­ni­schen Ber­ge, in einer vom öffent­li­chen Inter­es­se und von allen Inves­ti­tio­nen aus­ge­spar­ten Regi­on, heißt für mich und für uns, eine Pas­to­ral der Nähe zu den Men­schen unse­rer Klein­stadt Fus­hë-Arrëz und den vie­len umlie­gen­den, armen Dör­fern zu gestal­ten. Seit Beginn der Mis­si­ons­sta­ti­on vor fast 29 Jah­ren wur­de viel Ver­trau­en auf­ge­baut. Die Kir­che ist für vie­le Men­schen hier der ein­zi­ge Hoff­nungs­trä­ger und eine ver­läss­li­che Grö­ße an der Sei­te der Armen.

Wir ken­nen die Situa­ti­on der Dör­fer und unse­rer Fami­li­en, wir sind regel­mä­ßig zu Got­tes­diens­ten und Kate­che­se vor Ort, wir hel­fen in Not­si­tua­tio­nen, wir bemü­hen uns, ein­mal im Jahr, alle Fami­li­en zu besu­chen, wir sehen man­che Nöte und suchen nach Wegen, sie zu lin­dern. Wir ver­mit­teln so sowohl durch unser kate­che­ti­sches und pas­to­ra­les, aber auch durch unser sozia­les Enga­ge­ment in viel­fäl­ti­ger Wei­se die Über­zeu­gung, dass nie­mand ohne Wür­de und ohne die Güte und Lie­be Got­tes sein muss.

Unse­re Mis­si­ons­sta­ti­on und unser gesam­tes Tun ver­ste­hen wir als einen Dienst an den Men­schen die­ser ver­ges­se­nen Berg­re­gi­on. Und wir erin­nern dadurch dar­an, dass Gott prä­sent ist, dass Gott die Armen liebt und dass es im Leben mehr gibt als das rein Fak­ti­sche und Mate­ri­el­le, was zwar nicht unwich­tig, aber doch nicht Alles ist.

Seel­sor­ge in unse­rem Kon­text heißt: bei den Men­schen zu sein, mit ihnen zusam­men unse­ren Weg zu gehen und für sie da zu sein. Es bedeu­tet die Weni­gen, die in den Dör­fern geblie­ben sind, nicht allein zu las­sen. Die Peri­phe­rie und ihre Men­schen blei­ben für uns Anspruch und Herausforderung.

„Der Ort, wo du lebst, ist der Ort, an dem dir Gott begeg­net.“ Uns und eben­so den Men­schen, die uns anver­traut sind.

 

Mehr zum Enga­ge­ment der Kapu­zi­ner in Alba­ni­en kön­nen Sie hier lesen.

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