FOTO: KAPUZINER
Missionarische Seelsorge in Albanien
Was bedeutet missionarische Seelsorge in einem ehemals kommunistischen Land wie Albanien? Br. Andreas Waltermann lebt seit vielen Jahren im Land und berichtet von Vorsicht, natürlicher Religiosität und Menschen in Not.
Seelsorge im missionarischen Kontext muss man umfassender verstehen. Wenn es nur um die Seele geht, das Innere des Menschen, seine spirituelle Kompetenz, seine geistliche Erfahrung und Entwicklung – dann sind wir in Albanien noch weit davon entfernt. Nur sehr selten passiert es, dass Menschen einen anderen in ihre Seele schauen lassen. Das hat man nicht gelernt; die Seele musste man während der Zeit des rigiden Kommunismus unter Enver Hoxha verstecken; die Zugänge dazu wurden verschüttet; Vieles, was die Seele, das Innere des Menschen ausmacht, wurde beinahe bis zur Wurzel ausgerissen und mit Druck und Strafandrohung ausgemerzt.
Dies ist für mich einerseits eine interessante, aber auch eine bedrückende Erfahrung. Hier in Albanien gibt es folgendes Phänomen: Man hält sich bedeckt, man gibt wenig oder nichts von seinem Inneren preis. Die eigenen Gefühle und das eigene Empfinden bleiben dem Gegenüber verborgen, man verliert sich im Oberflächlichen und geht tieferen Fragen aus dem Weg. Wahrscheinlich ist das vielfach mittlerweile auch die gängige Praxis in den säkularisierten Ländern Westeuropas, auch wenn es dort ein sehr breit aufgestelltes Netz von Gesprächsseelsorge und Beratung gibt. In Albanien ist das meist noch ein unbeschriebenes Blatt.
Albanerinnen und Albaner besitzen so etwas wie eine „natürliche Religiosität“. Die älteren Menschen und viele Kinder und Jugendliche haben einen großen und wunderbaren Glauben. Die mittlere Generation ist wohlwollend offen für kirchliche Angebote, aber oft distanziert und indifferent. Sie haben den Glauben als etwas Verbotenes erlebt, sind religiös nie sozialisiert worden und hatten nur wenige Möglichkeiten, eigene Glaubenserfahrungen zu machen.
Und natürlich hinterlässt auch die Säkularisierung ihre Spuren. Das kleine Pflänzchen der wieder erstandenen Glaubensfreiheit in der albanischen Kirche ist heute in Gefahr, vom Rasenmäher der Säkularisierung gestutzt und abgemäht zu werden – noch bevor sie zur vollen Entfaltung und Blüte kommt.
Dazu kommen andere Faktoren, die nicht unwichtig sind wie z.B. die örtliche Situation. In unserer Bergregion fehlen Perspektiven beruflicher und familiärer Entwicklung, es gibt eine massive Abwanderung aufgrund von Arbeitslosigkeit. Die Dörfer bluten aus, in denen meist nur die Alten, die kinderreichen oder sozial schwachen Familien und die mit behinderten Angehörigen geblieben sind. Dazu kommt die Vernachlässigung der infrastrukturellen Gegebenheiten wie der Wege, der Bewässerungskanäle, der Versorgung mit Elektrizität und Wasser, die weiten Wege, die schwierigen Bedingungen, auf kleinen Flächen Landwirtschaft zu betreiben, die fehlenden Ausbildungs- und Einkaufsmöglichkeiten und vieles mehr.
Wenn wir von Seelsorge reden, müssen wir diese Faktoren mitberücksichtigen. Sie beeinflussen das Leben der Menschen, ihre Alltagserfahrung, ihre Gefühlswelt, ihre Fähigkeit zu glauben und ihre Seele.
„Der Ort, wo du lebst, ist der Ort, an dem dir Gott begegnet“. Seelsorge ist nicht etwas Aufgesetztes, Oben-drauf-Gelegtes und Das-Belastende-des-Alltags-Bedeckende. Eine losgelöste Seelsorge gibt es nicht. Seelsorge geht nicht ohne Leibsorge, ohne Aufmerksamkeit für das alltägliche Leben der Menschen, ohne den Blick auf das Profane und Notwendige.
Seelsorge im Kontext der albanischen Berge, in einer vom öffentlichen Interesse und von allen Investitionen ausgesparten Region, heißt für mich und für uns, eine Pastoral der Nähe zu den Menschen unserer Kleinstadt Fushë-Arrëz und den vielen umliegenden, armen Dörfern zu gestalten. Seit Beginn der Missionsstation vor fast 29 Jahren wurde viel Vertrauen aufgebaut. Die Kirche ist für viele Menschen hier der einzige Hoffnungsträger und eine verlässliche Größe an der Seite der Armen.
Wir kennen die Situation der Dörfer und unserer Familien, wir sind regelmäßig zu Gottesdiensten und Katechese vor Ort, wir helfen in Notsituationen, wir bemühen uns, einmal im Jahr, alle Familien zu besuchen, wir sehen manche Nöte und suchen nach Wegen, sie zu lindern. Wir vermitteln so sowohl durch unser katechetisches und pastorales, aber auch durch unser soziales Engagement in vielfältiger Weise die Überzeugung, dass niemand ohne Würde und ohne die Güte und Liebe Gottes sein muss.
Unsere Missionsstation und unser gesamtes Tun verstehen wir als einen Dienst an den Menschen dieser vergessenen Bergregion. Und wir erinnern dadurch daran, dass Gott präsent ist, dass Gott die Armen liebt und dass es im Leben mehr gibt als das rein Faktische und Materielle, was zwar nicht unwichtig, aber doch nicht Alles ist.
Seelsorge in unserem Kontext heißt: bei den Menschen zu sein, mit ihnen zusammen unseren Weg zu gehen und für sie da zu sein. Es bedeutet die Wenigen, die in den Dörfern geblieben sind, nicht allein zu lassen. Die Peripherie und ihre Menschen bleiben für uns Anspruch und Herausforderung.
„Der Ort, wo du lebst, ist der Ort, an dem dir Gott begegnet.“ Uns und ebenso den Menschen, die uns anvertraut sind.
Mehr zum Engagement der Kapuziner in Albanien können Sie hier lesen.