

FOTO: KAPUZINER/KIÊN HÓANG LÉ
BR. MICHAEL WIES
lebt als Kapuziner im Kapuzinerkloster Liebfrauen in Frankfurt am Main. Als Guardian leitet er die dortige Klostergemeinschaft. Als Ordensbruder ist er tätig als Einrichtungsleiter im Franziskustreff.
Pandemie und Obdachlosigkeit: „Packen wir es an!“
Wohnungslose leiden ganz besonders unter der aktuellen Corona-Pandemie. Bruder Michael Wies, Guardian des Kapuziner-Klosters in Frankfurt am Main und Einrichtungsleiter des Franziskustreffs, benennt die Herausforderungen und fordert eine Politik des sozialen Wohnraums.
Die Wohnungsnotfallhilfe ist seit Corona im Dauereinsatz. Wie eine Feuerwehr, die von einem Einsatz zum nächsten eilt. Im Brennglas der Krise wurde deutlich, wie anfällig die Gesellschaft und das öffentliche Leben sind. Den Mitmenschen auf der Straße fehlt nun zusätzlich zum eigentlichen Hauptproblem – der fehlenden Wohnung – ein Rückzugsraum. Die meisten Einrichtungen haben den Zugang beschränkt und die Verweildauer angepasst. Das hat ganz konkrete Konsequenzen für das Leben von Wohnungslosen.
Im Franziskustreff, einer Einrichtung der Kapuziner für arme und obdachlose Mitmenschen, haben wir vor einem Jahr die Situation wie folgt zusammengefasst: „Alle bleiben zu Hause, wir aber haben keines“. Das ist heute immer noch aktuell. Wir merken in der Praxis, dass unsere Beratungsstellen überrannt werden.
Eines der drängendsten Probleme: Eine Gesellschaft, die sich an allen Stellen digitalisiert. Wie soll das gehen für einen armen und obdachlosen Menschen, der erstens nicht über die Technik verfügt und zweitens kein kostenloses WLAN zur Verfügung hat? Oft sind diese Menschen als Lebenskünstler mit dem Überleben beschäftigt, sie kümmern sie um ihre Grundbedürfnisse: Wo kann ich schlafen? Wo kann ich essen? Wo werde ich bei einer Krankheit ohne Krankenversicherung behandelt? Gibt es in meiner Stadt eine Beratung, eine Duschmöglichkeit, einen kostenlosen PC zur Nutzung, eine Kleiderkammer, ein Schließfach oder ein Postfach bei einer Beratungsstelle?
Diese Fragen sind nicht neu in der Obdachlosenarbeit. In der Pandemie aber haben sie an Schärfe zugenommen. Ämter, die nur schwer zu erreichen sind, sind für diesen Personenkreis eine doppelte Herausforderung.
Doch was tun? Meiner Meinung nach sollte man nun beginnen, konkrete Lösungen zu suchen. Wie wollen wir zukünftig unsere Gesellschaft ausrichten und gestalten? Wenn wir lösungsorientiert die Lebensperspektiven von Obdachlosen in den Blick nehmen, brauchen wir eine Politik des sozialen Wohnraumes. Wir müssen Rechte obdachloser Menschen einfordern. Es geht um einen Einsatz für Würde, Teilhabe, Gerechtigkeit und eine Barmherzigkeit aus christlicher Perspektive. Solidarität nicht Mitleid.
Ausbaufähig im System der Wohnungslosenhilfe ist vor allem die Frage, wie man dort mit den Betroffenen arbeitet und ihnen hilft, unabhängig von Hilfe zu werden. Es geht um das Wort „Mit“. „Mit“ den Betroffenen die Fragen nach Wünschen, Bedürfnissen und Perspektive zu klären.
Corona stellt die Gesellschaft vor eine neue Frage: Wer sind die neuen Armen? Mit Begeisterung werden wir diese Aufgabe angehen, denn die beste Medizin zur Verhinderung von Obdachlosigkeit ist Prävention. Es geht darum, Wohnungslosigkeit gar nicht erst entstehen zu lassen. Es geht darum, den Mitmenschen zu befähigen, dass er in seinen eigenen Fähigkeiten wachsen kann. Dazu müssen wir Zeit und Räume zur Verfügung stellen. Eine Daueraufgabe in jeder Gesellschaft. Packen wir es an!