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FOTO: KAPUZINER/LEMRICH

4. Janu­ar 2024

Sakrament der Beichte: Heimat in Gott und in mir

Das Frem­de wird auf­ge­ho­ben und der Mensch kommt zu sich. Wel­che wun­der­ba­ren Chan­cen das Sakra­ment der Beich­te bie­tet, schreibt der Kapu­zi­ner Br. Jens Kusen­berg in sei­nem Impuls. 

„Eigent­lich bin ich ganz anders, aber ich kom­me so sel­ten dazu“, so lässt der öster­rei­chi­sche Dich­ter Ödön von Hor­váth eine jun­ge Frau in sei­nem Stück Zur schö­nen Aus­sicht sagen. Die­ser fast hun­dert­jäh­ri­ge Satz  ist zu einem Welt­ge­fühl gewor­den: Eigent­lich bin ich ganz anders. Eigent­lich will ich anders sein und leben, aber ich kom­me so sel­ten dazu. Weil Anfor­de­run­gen von außen & innen mich dar­an hin­dern, dass zu tun, was ich eigent­lich vor­ha­be und der/die zu sein, der/die ich im Inners­ten bin. Hel­den wer­den die, die sich trau­en, so zu sein, wie sie es möch­ten. Nicht wie ande­re sie haben wollen.

In den post­mo­der­nen Gesell­schaf­ten des Wes­tens sind die Men­schen nicht mehr Sys­te­men wie der Fami­lie oder der Schicht zuge­ord­net. Alle erhal­ten prin­zi­pi­ell Zugang zu allen Sys­te­men. Arbei­ter­kin­der kön­nen stu­die­ren. Aka­de­mi­ker­kin­der kön­nen Land­wirt­schaft betrei­ben. Der Preis für die­se sozia­le Durch­läs­sig­keit ist der Ver­lust einer tra­gen­den Hei­mat. Wir sind auf uns selbst gestellt. Der Mensch kann ver­schie­de­ne Rol­len über­neh­men, die unver­bun­den neben­ein­an­der­ste­hen: Sonn­tags kann ich in die Kir­che gehen, mon­tags spie­le ich Fuß­ball, diens­tags hin­ter­zie­he ich Steu­ern etc.

Die­se nie dage­we­se­nen Ent­fal­tungs­mög­lich­kei­ten kön­nen aber zu Über­for­de­rung füh­ren. In unse­rer hoch­dif­fe­ren­zier­ten Gesell­schaft gibt es gro­ße Auto­no­mie für jede(n); Frei­hei­ten, die sich unse­re Urgroß­el­tern nicht hät­ten vor­stel­len kön­nen (vgl. Schaupp, 2011, S. 31ff). Der Preis, den wir dafür zah­len, ist Ver­un­si­che­rung, denn für alle Ent­schei­dun­gen ist jeder und jede allein ver­ant­wort­lich: „Dem Ein­zel­nen wird also auf allen mög­li­chen Kanä­len, sei es beim Vor­stel­lungs­ge­spräch, in der Wer­bung, durch ver­schie­de­nen Medi­en […] ein­ge­impft, dass er selbst dar­an schuld ist, wenn er nicht per­fekt oder zumin­dest „bes­ser“ ist, die Mit­tel stün­den ja zur Ver­fü­gung“ (Zit.: Wie­den­haus, 2010, S. 64).

Immer wie­der steht der heu­ti­ge Mensch vor der Her­aus­for­de­rung sich im Ange­sicht die­ser Welt zu erfin­den und eben „bes­ser“ zu wer­den. Das kann Angst machen und ihn von sich ent­frem­den, denn viel­leicht kann man in man­chen Din­gen gar nicht bes­ser wer­den! Man läuft stän­dig im Hams­ter­rad der Selbst­op­ti­mie­rung ohne von der Stel­le zu kommen.

Die Beich­te ist ein Sakra­ment, das die­ses Lebens­ge­fühl auf­nimmt. Es ist ein Sakra­ment, das uns nach Hau­se brin­gen möch­te. Des­halb geht es nicht zual­ler­erst dar­um mora­li­sche Män­gel, Fehl­trit­te oder dar­um, Feh­ler zu beken­nen. Die Kir­che ist kei­ne mora­li­sche Bes­se­rungs­an­stalt für Men­schen, die im täg­li­chen Klein­klein von Arbeit, Fami­lie oder Part­ner­schaft Feh­ler machen.

Beich­te dient dazu, dass der Mensch sich wie­der vor Gott stel­len kann. Er ist gelieb­tes Geschöpf. Es geht nicht um Opti­mie­rung oder Rol­len­spie­le. Es geht um Mensch­wer­dung. In der Beich­te darf ich der/die wer­den, der/die ich im tiefs­ten Her­zen bin. Man kommt dazu, anders zu wer­den. Nicht mehr auf das zu hören, was die Welt von mir will, son­dern was der barm­her­zi­ge Vater durch sei­nen auf­er­stan­de­nen Sohn gesagt hat: Die Wirk­lich­keit des Rei­ches Got­tes, also Glau­be, Hoff­nung, Lie­be, Gerech­tig­keit und Frie­den sind bereits in der Welt. Oft­mals bedroht und nur bruch­stück­haft, aber real gegen­wär­tig. Dafür kann ich in der Beich­te dan­ken und damit zu mir und nach Hau­se kom­men. Dort­hin, wo mei­ne Sehn­süch­te nach Ganz-Sein erfüllt wer­den. Auf dem Weg dahin gibt es immer wie­der Stol­per­fal­len und ich mache man­che Din­ge falsch. Im Ange­sicht des barm­her­zi­gen Got­tes wer­de ich aber erst fähig, mir und ihm das alles einzugestehen.

Ohne sei­ne Barm­her­zig­keit wäre ein ehr­li­ches Bekennt­nis nicht mög­lich, weil wir uns ja doch lie­ber als Per­fek­te sehen wol­len. Ich darf beken­nen, was in mir ist und was gegen das Reich Got­tes spricht. Kar­di­nal Mar­ti­ni fasst es so zusam­men: „Auch hier sind wir – ich wie­der­ho­le es – umso mehr wir sel­ber vor Gott, je kon­kre­ter wir sind, und zwar nicht in einem nega­ti­ven Sinn, indem wir uns voll Bit­ter­keit ankla­gen, son­dern voll Dank­bar­keit, indem wir sagen: Sie­he Herr, das bin ich, das ist das Mate­ri­al, über das du ver­fügst, das sind die Bau­stei­ne dei­ner Kir­che; sie sind schmut­zig, schlecht geschlif­fen, eckig, stumpf. Ich woll­te, es wären ande­re, aber Herr, ich brin­ge sie vor dein Ange­sicht, denn ich weiß, dass du barm­her­zig bist“ (Mar­ti­ni, 1981, S. 90).

Die Ent­frem­dung wird in der Beich­te auf­ge­ho­ben, weil ich zu mir kom­men darf, auch mit all dem Dunk­len. In dem Glau­ben, dass Gott in sei­ner Barm­her­zig­keit sogar mit den Bruch­stü­cken etwas bau­en kann. Das hat nichts mit Selbst­op­ti­mie­rung und einer klei­nen, mora­li­schen Bes­se­rung zu tun. Son­dern mit Hei­mat: Ich fin­de sie in Gott und in mir, so dass die Welt nicht fremd ist, son­dern der Ort, in den ich heim­kom­me. „Eigent­lich bin ich ganz anders, aber ich kom­me so sel­ten dazu.“ Ja, das ist oft so. Aber in der Beich­te haben wir die Chan­ce dann und wann anders zu wer­den. Näm­lich wir selbst.


Br. Jens Kusen­berg lebt im Kapu­zi­ner­klos­ter Lieb­frau­en in Frank­furt am Main und ist als Pries­ter in der Seel­sor­ge tätig. Er ist Jahr­gang 1981 und trat 2011 in den Kapu­zi­ner­or­den ein. 

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