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FOTO: KAPUZINER/JACOBY

SONNENGESANG

Der Son­nen­ge­sang des Franz von Assi­si ist die ältes­te Über­lie­fe­rung der ita­lie­ni­schen Lite­ra­tur, ver­fasst in einem umbri­schen Dia­lekt. Franz von Assi­si kom­po­nier­te die­sen Lob­ge­sang ver­mut­lich im Früh­jahr des Jah­res 1225. In die­sem Text besingt der Hei­li­ge aus Umbri­en die Gestir­ne sowie alle Geschöp­fe, aber auch Krank­heit und Tod als „Brü­der und Schwes­tern“. Die ursprüng­li­che Melo­die ist nicht mehr bekannt, dürf­te aber einem Psalm­ton ähn­lich gewe­sen sein.

6. Mai 2024

Sonnengesang von Franziskus: Gebet und Weckruf

Er ist einer der bekann­tes­ten Tex­te von Fran­zis­kus: der Son­nen­ge­sang. Vor knapp 800 Jah­ren ver­fass­te der Ordens­grün­der die­sen zeit­lo­sen Lob­ge­sang auf die Schöp­fung. Das Gebet ist damals wie heu­te die Auf­for­de­rung zur Umkehr.

Mit dem Namen Franz von Assi­si ver­bin­den vie­le einen Öko-Hei­li­gen. Eine Art Kli­ma­ak­ti­vis­ten, der bereits im 13. Jahr­hun­dert den Vögeln pre­dig­te und ein Lob­lied auf die Schöp­fung sang. Die­se Sicht­wei­se greift natür­lich viel zu kurz. Tat­sa­che ist: Fran­ces­co, so der ita­lie­ni­sche Name des hei­li­gen Fran­zis­kus, leb­te in einer his­to­ri­schen Umbruch­zeit, ähn­lich wie wir heu­te. Im Über­gang vom 12. zum 13. Jahr­hun­dert kam der inter­na­tio­na­le Han­del auf, die Welt begann sich zu glo­ba­li­sie­ren, das Geld wur­de zum alles bestim­men­den Macht­mit­tel. Die mit­tel­al­ter­li­che Stän­de­ge­sell­schaft brach zusam­men, das Bür­ger­tum mit sei­nen kom­mu­na­len und demo­kra­ti­schen Struk­tu­ren bahn­te sich den Weg. Die Kli­ma­fra­ge stand noch nicht zur Debat­te.  Aber mensch­li­che Aus­beu­tung und Unge­rech­tig­keit wur­den bereits damals ger­ne ausgeblendet.

Vor die­sem Zeit­hin­ter­grund ist der Son­nen­ge­sang des hei­li­gen Fran­zis­kus ein zeit­lo­ser Text, der nie­mals an Aktua­li­tät ver­liert. Als Ers­tes aber ist fest­zu­stel­len: Der Son­nen­ge­sang ist ein Gebet. Aus ver­schie­de­nen Quel­len erfah­ren wir, dass Fran­zis­kus die­ses Gebet schrieb, als er tod­krank in einer Hüt­te aus Stroh­mat­ten lag. Mäu­se krab­bel­ten über ihn hin­weg, und auf­grund einer Augen­krank­heit konn­te er kaum noch sehen. Der außer­ge­wöhn­li­che Text des Son­nen­lieds wur­de also nicht an einem son­ni­gen Früh­lings­tag in roman­ti­scher Stim­mung geschrie­ben, son­dern brach her­vor aus Krank­heit und Not. Gleich­sam ein Bild der Voll­endung, das sich sei­nen Weg in einer düs­te­ren Stun­de bahnt. Beim Beten oder Sin­gen des Son­nen­ge­sangs kann man aber auch an Jesus am Kreuz den­ken, der im Moment sei­ner tiefs­ten Gott­ver­las­sen­heit sei­ne Zuver­sicht hin­aus­schreit: „Vater, in dei­ne Hän­de befeh­le ich mei­nen Geist!“ (Lk 23, 46).

Damit sieht der Son­nen­ge­sang den gesam­ten Kos­mos und alles, was in ihm geschieht, im Licht der Erlö­sung – ohne dabei den Schrei der ver­wun­de­ten Mensch­heit und der ver­wun­de­ten Schöp­fung zu über­hö­ren. Und das ver­steck­te Chris­tus­mo­no­gramm (die Buch­sta­ben der ers­ten bei­den Wör­ter im ita­lie­ni­schen Text „Altis­si­mo Omni­po­ten­te“) ver­weist auf den Erlö­ser selbst: Chris­tus, das Alpha und das Ome­ga, den Anfang und das Ende von allem. Auch der Schluss­vers macht noch ein­mal den Gebets­cha­rak­ter die­ses außer­ge­wöhn­li­chen Lie­des deut­lich: „Lobt und preist mei­nen Herrn und dankt ihm und dient ihm mit gro­ßer Demut.“ Ob am Ende sogar die 33 Ver­se des Son­nen­lieds ein Ver­weis auf die 33 Lebens­jah­re Jesu sind, mag offenbleiben.

Der Son­nen­ge­sang des hei­li­gen Fran­zis­kus fas­zi­niert bis heu­te die Men­schen. Aber er ist noch mehr als ein Lied und ein Gebet. Der Son­nen­ge­sang ist auch ein Weck­ruf, eine Auf­for­de­rung zur Umkehr. Daher for­dert der Hei­li­ge in sei­nen „Ermah­nun­gen“ sei­ne Mit­brü­der auch auf, wo immer sie pre­di­gen, anschlie­ßend die­ses Lied zu sin­gen. Damit stellt Franz von Assi­si bis heu­te die Men­schen vor die Fra­ge, wie wir mit­ein­an­der und mit der Schöp­fung umge­hen wollen.

Gut 30 Jah­re nach der Ent­ste­hung des Son­nen­ge­sangs ver­fass­te der gro­ße Fran­zis­ka­ner-Theo­lo­ge Bona­ven­tura von Bagno­re­gio sein Pil­ger­buch „Itin­era­ri­um men­tis in Deo“ (oft über­setzt mit: Pil­ger­buch der See­le zu Gott). Dar­in schreibt er: „Die gan­ze Schöp­fung ist eine Lei­ter, um zu Gott auf­zu­stei­gen. Wer von so viel Glanz der geschaf­fe­nen Din­ge nicht erleuch­tet wird, ist blind; wer von so vie­len Aus­ru­fen nicht auf­ge­weckt wird, ist taub; wer Gott für all die­se voll­brach­ten Din­ge nicht preist, ist stumm; wer aus so vie­len Bewei­sen das ers­te Prin­zip nicht erkennt, ist töricht. Öff­ne also dei­ne Augen, lege dei­ne geis­ti­gen Ohren an dei­ne Ohren, löse dei­ne Lip­pen und rich­te dein Herz, damit du in allen Geschöp­fen dei­nen Gott siehst, hörst, lobst, liebst und anbe­test, ver­herr­lichst und ehrst.“

Im Jahr 2015 ver­öf­fent­lich­te Papst Fran­zis­kus die Enzy­kli­ka „Lau­da­to si“. Dar­in bringt er sei­ne Sor­ge um „das gemein­sa­me Haus“ (gemeint ist damit: die Schöp­fung, die Erde, unser Pla­net) zum Aus­druck. Dass der Titel die­ses Schrei­bens dem Son­nen­ge­sang ent­nom­men ist, zeigt wie sehr Franz von Assi­si auch 800 Jah­re spä­ter der Welt noch etwas zu sagen hat. Die ita­lie­ni­sche Regis­seu­rin Lilia­na Cava­ni, die zwei Fil­me über das Leben des hei­li­gen Fran­zis­kus pro­du­zier­te, hat ein­mal gesagt: „Franz von Assi­si ist kein Mann der Ver­gan­gen­heit, son­dern eher eine Figur der Zukunft. Wenn wir Men­schen über­le­ben wol­len, müs­sen wir alle ein biss­chen mehr wie er wer­den.“ Wie recht sie doch hat.

Text: Br. Chris­to­pho­rus Goedereis

Der Arti­kel ist zuerst in cap!, dem Maga­zin der Kapu­zi­ner erschienen. 

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