
FOTO: Tobias Rauser
BR. JULIAN PFEIFFER (21) und BR. WOLFGANG DREWS (90)
trafen sich zum brüderlichen Austausch im Kapuzinerkloster Werne.
Gespräch der Generationen: Gebet, Gelübde und Gemeinschaft
In den Klöstern der Kapuziner leben, beten und arbeiten junge und alte Ordensmänner zusammen. Was verbindet die Generationen? Ein Gespräch mit Br. Julian Pfeiffer (21) und Br. Wolfgang Drews (90).
Fast 70 Jahre trennen Sie beide, doch beide haben Sie die Entscheidung getroffen, Kapuziner zu werden. Warum?
Br. Julian Pfeiffer: Bei mir war diese Entscheidung mit Begegnungen und Menschen verbunden. Ich komme aus dem gleichen Dorf wie ein anderer Kapuziner. Schon länger trieb mich die Frage nach Gott und dem Glauben um – und auch der Wunsch, Theologie zu studieren, war schon existent. Eines Tages traf ich dann meinen späteren Mitbruder Stefan und wir kamen in Kontakt. Ich lebte ein paar Tage im Kloster in Münster mit. Ich weiß es noch heute, es war über Silvester. Eines Abends hatte ich ein fast überwältigendes Gefühl eines inneren Friedens in der stillen Zeit. Dieses Gefühl habe ich wirken lassen. Ich habe mir auch andere Orden angeschaut, aber am Ende stand fest: Ich möchte meinen Weg bei und mit den Kapuzinern gehen.
Br. Wolfgang Drews: Eine gute Begleitung ist in der Tat unersetzlich, das kann ich bestätigen. Bei mir fiel die Entscheidung damals etwas anders. Ich hatte aus meinem Elternhaus einen tiefen Glauben mitbekommen, der mich damals trug. Ich wollte Priester werden. Dass es die Kapuziner wurden, hatte aber keine besonderen Gründe. Ich klopfte in Frankfurt an, weil es mir dort gefiel. In der Ausbildung zum Kapuziner habe ich dann von Franziskus erfahren und es sind drei Worte in mir gereift: „Komm. Geh. Bleib“. Und so habe ich mein Leben gelebt: Komm – folge mir nach. Geh – und verkünde. Bleib – in meiner Liebe. Das trägt bis heute.
Soviele Jahre im Orden und als Priester: Hatten Sie mal eine große Glaubens- oder Berufungskrise?
Br. Wolfgang: Nein, ich hatte keine! Für mich gehört Vertrauen zum Glauben. Das hatte ich immer. Gerade im Alter, das so manches Leid mit sich bringt, vertraue ich noch viel intensiver diesem Jesus am Kreuz.
Br. Julian: Das fasziniert mich, denn mir geht es da anders. In meinem Glaubensleben gibt es immer wieder Momente, in denen das Vertrauen fehlt. In denen Zweifel aufkommen.
Aus meiner Sicht ist wichtig, die täglichen Gebete zu halten. Das trägt.
Wie gehen Sie damit um?
Br. Julian: Ich halte meine Zweifel Gott hin. Und dann kommt in der Tat das Vertrauen ins Spiel. Ich vertraue schon darauf, dass es einen Gott gibt, die Frage ist eher: Wo ist mein Platz? Diese Frage bringe ich vor Gott und höre, was zurückkommt.
Sie beide haben sich für einen Weg in der Gemeinschaft entschieden. Was macht die Kapuziner aus?
Br. Wolfgang: Ich wollte immer mit Menschen unterwegs sein. Mit Menschen, die mich brauchen, die ich beraten und begleiten kann. Und das ist es auch, was für mich das Kapuziner-Sein ausmacht. Die Nähe zu anderen Menschen, mit ihnen ihren Weg zu gehen.
Br. Julian: Das würde ich auch für mich übernehmen, aber noch etwas ergänzen: Für mich ist die Bodenständigkeit hier im Orden wichtig – und das Gebet. Und nicht zuletzt das mitbrüderliche Sein, weil wir in vielen Dingen als Brüder gemeinsam agieren und nicht nur auf Einzelposten unterwegs sind.
Sie haben mit dem Eintritt in den Orden drei Gelübde abgelegt: Armut, ehelose Keuschheit und Gehorsam. Die klassische Frage lautet da immer: Was ist das schwierigste Versprechen?
Br. Wolfgang: Ich denke, das schwierigste ist der Gehorsam. Horchend und im Willen des Anderen handeln und fertig werden. Das ist nicht immer so leicht. Und natürlich können unterwegs auch mal Schwierigkeiten mit der Sexualität auftreten, das ist ganz natürlich. Immer steht die Frage nach der Armut an: Es gilt im Herzen frei zu bleiben, sich nicht – an was auch immer – zu verlieren, außer an Jesus.
Br. Julian: Ich kann diese Frage noch nicht abschließend beantworten, auch wenn sie mich natürlich umtreibt. Mal sind alle drei Gelübde gleich schwer, mal alle drei gleich leicht, mal wiegt das eine mehr, mal das andere. Im Großen und Ganzen aber hängen die drei Versprechen zusammen: Wenn eins nicht funktioniert, dann wird es auch mit den anderen Dingen schwierig.
Nur wer fragt, und wer Gott als jemanden erlebt, der hilft und heilt, der kann immer wieder zu dieser Quelle zurückkommen.
Wie findet oder erhält man denn die eben angesprochene Tiefe im Glauben, das unerschütterliche Vertrauen?
Br. Wolfgang: Aus meiner Sicht ist wichtig, die täglichen Gebete zu halten. Das trägt. Wenn mir heute im Bett liegend einfällt, dass ich die Komplet noch nicht gebetet habe, dann stehe ich nochmal auf und setze mich hin. Da bin ich streng mit mir. Denn ich habe es eine Zeitlang auch anders gehalten, bis mir wieder bewusst geworden ist, wie wesentlich das Gebet ist. Der zweite wichtige Punkt ist der Blick auf das Kreuz: Jesus sagt, nimm dein Kreuz auf dich und folge mir nach.
Br. Julian: Mein Ansatz zur Beantwortung dieser Frage wäre das Wort „Lebenskrise“. Solche Krisen rufen Fragen hervor, die in eine Tiefe führen. Nur wer fragt, und wer Gott als jemanden erlebt, der hilft und heilt, der kann immer wieder zu dieser Quelle zurückkommen. Bei mir persönlich geht das nur in Verbindung mit Stille.
Wie schafft man das: Auf der einen Seite bei den Menschen zu sein – und auf der anderen Seite still zu werden, um diese Tiefe zu spüren?
Br. Julian: Ich sehe diesen Zwiespalt auch. Es ist schwer, beides zu schaffen. Ich habe selber einige Zeit bei uns im Orden mitten in einer Großstadt gelebt, und da ist es schon eine besondere Herausforderung, das Gebet und die Stille nicht zu vergessen. Was Du, Br. Wolfgang, zur Komplet gesagt hast, kann ich gut nachvollziehen und ich es habe es auch schon gespürt: Ich spüre oft diesen Impuls, noch einmal das Stundenbuch in die Hand zu nehmen, egal, wie müde ich bin. Das tut gut und hilft.
Br. Wolfgang: Dazu möchte ich Dir gerne noch etwas sagen: Es wird Dir im Leben immer wieder passieren, dass Du etwa in der Seelsorge so stark eingebunden bist, dass mal ein Gebet zu kurz kommt. Da darf man dann auch nicht zu ängstlich sein und meinen, man müsse alles nachholen oder es schnell runterrasseln. Ich habe in diesen Fällen dem lieben Gott gesagt: Du weißt, ich habe mich mit aller Kraft eingesetzt, ich hoffe, es war gut so. Auf keinen Fall sollte man unruhig werden, weil man meint, etwas verpasst zu haben. Das wäre mein Rat.
In den Konventen der Kapuziner leben Jung und Alt zusammen. Wie ist das denn mit der Gemeinschaft, wann ist sie ein großes Glück, und wann ist sie eher eine Last?
Br. Julian: Wenn man mit einem Bruder nicht so gut auskommt, dann kann es natürlich etwas schwieriger sein. Ansonsten ist es ein großes Glück: Weil man nicht allein im Chor sitzt, weil man in Gemeinschaft Gott sucht. Die Gemeinschaft ist auch immer wieder Antrieb, sich zu Gott aufzumachen und ihn zu suchen. Im Übrigen finde ich, dass Unruhe durchaus auch etwas Gutes hat, vor allem für das geistliche Leben. Konflikte dienen als Ansporn für Weiterentwicklung und Auseinandersetzung.
Die Gemeinschaft ist auch immer wieder Antrieb, sich zu Gott aufzumachen und ihn zu suchen.
Br. Wolfgang, Sie haben mal gesagt „Ich hatte immer Frieden im Orden“. Wie geht das denn?
Br. Wolfgang: Ich habe noch keinen Streit gehabt mit einem Mitbruder. Natürlich gibt es welche, die anders ticken als ich. Aber ich sage mir immer: Jeder ist mein Bruder, nicht ich habe ihn gewählt, sondern der liebe Gott. Und ich lasse mich auch nicht reizen, wenn mir jemand etwas an den Kopf wirft.
Sie haben einige Zeit junge Männer begleitet, die in den Orden eintreten wollen. Was wäre ihr Rat für junge Leute, die heute auf der Suche sind?
Br. Wolfgang: Schaut auf Franziskus und Klara! Dort gibt es soviel zu entdecken, was für die eigene Entwicklung wichtig ist.
Hier sitzen zwei am Tisch, die beide eine Priesterberufung spüren. Ist das ein Traumberuf?
Br. Wolfgang: Ja, für mich ist das ein Traumberuf. Ich wollte immer Priester werden.
Br. Julian: Auch für mich ist das ein Traumberuf. Ich möchte aber noch etwas hinzufügen, weil wir ja auf dem Synodalen Weg auch über die Rolle des Priestertums sprechen. Ich finde die Rolle des Priesters wertvoll, aber ich hoffe auch, dass die Kirche sich öffnet und den Klerikalismus überwindet.
Br. Wolfgang: Wenn jemand Jesus dienen will, dann sollte er das auch in Zukunft als Priester tun können. Für mich persönlich ist aber klar: Natürlich kann auch eine Frau diesen Dienst übernehmen.
Von was für einer Kirche träumen Sie?
Br. Wolfgang: Mein Ideal ist eine einfache Kirche, die im Volk, in der Gemeinde lebt. Mit einer echten Verbindung ins Leben der Menschen. Nah dran.
Br. Julian: Ich träume von einer Kirche, die nicht in Bürokratie und Verwaltung erstickt. Von einer Kirche, die bei den Menschen ist und Gott sucht. Die sich nicht in Politik verliert, sondern auf das Evangelium schaut und darauf, was der Heilige Geist will.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Tobias Rauser
Br. Julian Pfeiffer
Nach dem Abitur startete Br. Julian (Jahrgang 1999) mit dem Theologiestudium und lernte Griechisch und Hebräisch. In dieser Zeit wuchs in ihm der Wunsch, Kapuziner zu werden. Nach seinem einjährigen Noviziat im italienischen Camerino legte er im Jahr 2021 seine erste Profess ab. Ende 2022 verlängerte Br. Julian seine Gelübde in Münster, wo er seit Sommer wieder Theologie studiert. Ab Februar 2023 lebt Br. Julian in Salzburg.
Br. Wolfgang Drews
Der gelernte Elektromaschinenbauer (Jahrgang 1932) klopfte in jungen Jahren bei den Kapuzinern in Frankfurt am Main an die Klosterpforte. 1955 trat er in den Orden ein. Als Priester arbeitete er an vielen Orten, etwa in Stühlingen, Frankfurt und Werne. Viele Jahre war Br. Wolfgang Postulatsleiter, er prägte auch die Anfangsjahre des Klosters zum Mitleben in Stühlingen. Der Ordensmann lebt im Kapuzinerkloster in Werne.