
FOTO: KAPUZINER
Zu zweit auf dem Weg: Br. Jeremias und Br. Moritz in der Ukraine
Anfang März machten sich Br. Moritz und Br. Jeremias gemeinsam auf den Weg in die Ukraine. Im Interview sprechen die Kapuziner über franziskanische Spiritualität, die Bescheidenheit der Ukrainer und ihre weiteren Pläne.
Br. Jeremias, Br. Moritz, Sie waren in den letzten Wochen gemeinsam in der Ukraine unterwegs. Der heilige Franz von Assisi hat schon vor Jahrhunderten verfügt, dass die Brüder sich zu zweit auf den Weg machen sollen. Eine gute Idee?
Br. Jeremias: Es gibt keine bessere, das kann ich aus vollem Herzen sagen. Wenn sich Ordensleute auf die Ideen des heiligen Franziskus einlassen, dann ist es sinnvoll und bereichernd, zu zweit durch die Welt zu ziehen. In diesem Auftrag steckt ein spiritueller Aspekt, der wichtig ist: Aufeinander hören, den anderen ernst nehmen, im Gebet gemeinsam einen guten Weg finden.
Br. Moritz: Wer zu zweit mit der gleichen Mission im Einsatz ist, der merkt, dass man nicht nur eine Zweckgemeinschaft ist, sondern dass man als echte Brüder mit einem Ziel unterwegs ist.
Wie haben Sie sich denn vor drei Wochen im Kloster zusammengefunden? Bisher haben sich Ihre Wege ja nicht gekreuzt.
Br. Moritz: Ja, das ist in der Tat so. Wir kannten uns kaum. Ich komme frisch aus dem Noviziat in Italien und es gab bisher nur wenige kurze Momente des Aufeinandertreffens. Aber ehrlich gesagt war das kein großes Problem. Es hat nicht viel Zeit gebraucht, ein gemeinsames Mittagessen vor drei Wochen und ein kurzes Nachdenken, und dann war klar: Wir wollen gemeinsam etwas unternehmen!
Br. Jeremias: Wir hatten unterschiedliche Ideen, haben aber schnell zusammengefunden. Bei einem kurzen Treffen auf dem Mattenkapitel im September habe ich schon gemerkt: Da ist jemand, der ist spontan und gleichzeitig ernsthaft. Deswegen war mir sofort klar: Das kann gut funktionieren.
Bayern und Ruhrpott, geht das zusammen?
Br. Jeremias: Ich komme aus Oberhausen, habe aber bayerische Vorfahren und auch einen bayerischen Dickschädel. Was uns beide verbindet: Ehrlichkeit, also geradeheraus denken und sprechen. Auch die franziskanische Spiritualität verbindet uns.
Br. Moritz: Dazu kommt der Humor, und nachtragend sind wir auch beide nicht. Das ist wichtig. Was uns unterscheidet: Wir sind zwar beide direkt – aber der Bayer ist harmoniebedürftiger als der Ruhrpottler (lacht).
Was schätzen Sie an Ihrem Mitbruder?
Br. Jeremias: Br. Moritz ist ein geistlich-franziskanisch tief verwurzelter Mensch. Er ist ehrlich und sehr humorvoll, was wichtig war in unserem Einsatz. Und, das wichtigste: Moritz hat eine unendliche Liebe zu den Menschen, die in jeder Begegnung durchkommt.
Br. Moritz: Br. Jeremias hat Feuer, er ist engagiert und mutig. Ich schätze den brüderlichen Umgang sehr, den er pflegt. Auch wenn er ein paar Jahre älter als ich ist und viel länger im Orden, war es ein brüderlicher Einsatz auf Augenhöhe.
Wie haben Sie es erlebt, wie fanden die Kapuzinerbrüder in der Heimat Ihren Einsatz?
Br. Moritz: Für mich war das eine sehr schöne Erfahrung. Die Provinz und die Brüder vor Ort haben wirklich engagiert unsere Sache unterstützt. Das war mir persönlich auch sehr wichtig! Für mich als franziskanischem Ordensmann kann eine solche Reise nur gelingen, wenn sie vom Segen und dem Gebet der Mitbrüder getragen ist.
Als Sie vor drei Wochen gemeinsam im Kleinbus losgefahren sind, was hat Sie bewegt?
Br. Moritz: Die Laune war gut. Mit der Landschaft und jedem Kilometer Entfernung zur Heimat wuchs dann das Gefühl des Fremdseins. Der Verkehr wurde weniger, in der Ukraine gab es Straßenstellungen, ein komisches Gefühl. Am Ende stand eine Fremdheit, die ich so noch nie gefühlt habe in meinem Leben.
Br. Jeremias: Bei Katowice habe ich mir noch gedacht: Bis hierhin reichen meine Familienwurzeln. Ab nun bist Du wirklich fremd. Im Gedächtnis ist mir auch die etwas ironische Bemerkung der Grenzerin bei der Einreise in die Ukraine geblieben, die uns mit einem trockenen „Good luck“ verabschiedete.
Und dann?
Br. Jeremias: Es ging direkt los. Das tat auch gut. Wir kamen um 8.40 Uhr in Lviv an, und es hieß: Um neun Uhr geht es weiter zum Bahnhof, ihr seid fest eingeplant. Das hat der liebe Gott gut gefügt, wir wurden dort gebraucht und konnten helfen. Wenn wir gemerkt hätten, dass wir dort nur gestört hätten, wären wir sofort wieder abgereist.
Br. Moritz: Das Gefühl des Fremdseins verflog wirklich schnell. Auf der Rückreise habe ich dann gedacht: Ich verlasse hier Freunde.
Was macht die Menschen in der Ukraine aus?
Br. Moritz: Vor allem eine große Demut und Bescheidenheit. Ein Beispiel: Die Flüchtenden, die zum Teil Tage nichts gegessen hatten, nahmen sich bei uns am Bahnhof nur ein Brot, damit auch für den Nächsten noch etwas bleibt.
Br. Jeremias: Die Menschen haben eine Ruhe ausgestrahlt, die wirklich unglaublich war. Trotz des Krieges und trotz der Verfolgung waren alle höflich und haben sich auch noch für das Gegenüber interessiert. Das hat mich tief beeindruckt. Und kaum einer trägt, trotz der russischen Aggression, Hass im Herzen. Vielmehr Trauer, Entsetzen und völliges Unverständnis.
Br. Moritz: Im Priesterseminar, in dem wir in Lviv untergekommen sind, habe ich eine große Offenheit gespürt. Die jungen Männer vor Ort waren sehr fromm, waren aber immer zugänglich anderen Lebens- und Sichtweisen gegenüber. Sie waren sehr interessiert an unserem Leben als Kapuziner in der römisch-katholischen Kirche.
Was steht nun an?
Br. Moritz: Bei mir geht’s direkt mit dem Theologiestudium los, irgendwie eine absurde Vorstellung. Parallel dazu helfe ich, einen weiteren 40-Tonner für die Ukraine zu organisieren. Ich habe mit mir gerungen, ob ich das Semester absage und wieder in die Ukraine reise. Ich bin mit dieser Frage ins Gebet gegangen, und bin nun zu einer hoffentlich guten Entscheidung gekommen: Mein Platz ist in Deutschland. Ich werde solidarisch von hier helfen, wo ich kann.
Br. Jeremias: Ich werde mich wohl in der nächsten Woche wieder in den Kleinbus Richtung Osten setzen und in einem Kriseninterventions-Zentrum der Malteser am Bahnhof in Lviv arbeiten. Ich freue mich sehr, dass mich Br. Moritz von Münster aus unterstützt. Natürlich bin ich auch traurig, dass ich mich nun alleine auf den Weg machen werde. Die gemeinsamen Erfahrungen aber bleiben und tragen. Und im Gegensatz zu unserem ersten Einsatz in den letzten Wochen habe ich nun auch in der Ukraine Freunde. Ein spiritueller Austausch, geistige Gespräche, ein Miteinander, das alles ist möglich.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Tobias Rauser. Mehr zum Einsatz der beiden Brüder lesen Sie in unserem täglich aktualisierten Ukraine-Ticker.