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Bild: Kapuziner/Kuster

29. Novem­ber 2023

800 Jahre Wundmale des Franziskus (Serie: Teil 1/2)

Franz von Assi­si hat­te vor 800 Jah­ren, 1224, auf dem Berg La Ver­na eine Visi­on, in der er die Wund­ma­le emp­fing. Ein über-sinn­li­ches Phä­no­men? Der Fran­zis­kus-For­scher Br. Niklaus Kus­ter, Kapu­zi­ner in Rap­pers­wil, gibt Antwort.

«Es gibt auf der gan­zen Welt kei­nen hei­li­ge­ren Berg», steht auf dem alten Tor­bo­gen zum Berg­klos­ter La Ver­na. Der Anspruch ist uner­hört! Der Fels­rü­cken, der zwi­schen den jun­gen Fluss­tä­lern von Arno und Tiber liegt, soll selbst die bibli­schen Ber­ge an Bedeu­tung über­ra­gen: Bethel mit Jakobs Traum der Him­mels­lei­ter, den Horeb im Sinai mit der Oase des bren­nen­den Dorn­bu­sches und Got­tes Bun­des­schluss mit Isra­el, den Zion mit dem Tem­pel­berg, den Tabor bei Naza­reth und den Ölberg in Jeru­sa­lem, Ort der Him­mel­fahrt Jesu? Was beweg­te Fran­zis­ka­ner, einen Berg im Leben von Fran­zis­kus über alle ande­ren Ber­ge der Welt zu stellen?

Sinn­lich-besinn­li­che Orte
Wer auf den mar­kan­ten Berg­rü­cken steigt, fin­det tief zer­klüf­te­te Fel­sen inmit­ten rie­si­ger Buchen. Von hohen Fels­klip­pen schweift der Blick in die sanf­te Hügel­welt der öst­li­chen Tos­ka­na. Die Wäl­der fül­len sich mit dem Gesang unzäh­li­ger Vögel. Fran­zis­kus fand auf der Schul­ter des Ber­ges mit sei­nen Gefähr­ten eine ver­las­se­ne Ere­mi­ta­ge vor.

Frü­he­re Ein­sied­ler hat­ten da eine Kapel­le und ein ein­fa­ches Haus gebaut sowie natür­li­che Fels­höh­len erwei­tert. Die Ere­mi­ta­ge passt reiz­voll zu ande­ren stil­len Orten, an die sich die Brü­der von ihren Wan­de­run­gen eine Zeit­lang zurückzogen.

Wäh­rend zwei sich «müt­ter­lich» um das leib­li­che und see­li­sche Wohl der ande­ren küm­mer­ten, gönn­ten sich jene eine sorg­lo­se Aus­zeit, die ganz dem Gebet gehör­te. Sol­che Zei­ten erlaub­ten auch, Erfah­run­gen unter­wegs im Enga­ge­ment für Men­schen zu sor­tie­ren, sie in Got­tes Licht zu stel­len und dann mit neu­er Klar­heit wie­der durch Dör­fer und Städ­te zu ziehen.

Der Fal­ke von La Verna
Fran­zis­kus weil­te ab 1213 wie­der­holt auf dem Berg. Er tat es gern in hei­ßen Som­mer­mo­na­ten, die für das Wan­der­le­ben der Brü­der kli­ma­tisch ungüns­tig waren. Tho­mas von Cela­no erzählt in einer Rei­he von Tier­ge­schich­ten auch Epi­so­den, die in der stil­len Wild­nis von La Ver­na spielen.

Als Fran­zis­kus da vier­zig Tage allein ver­brach­te, gewöhn­te sich ein Fal­ke im Berg­wald an das Got­tes­lob, das der Bru­der sie­ben­mal bei Tag und ein­mal in der Nacht sang. Der Bio­graf spricht gar von Freund­schaft zwi­schen Fran­zis­kus und dem Fal­ken, der über sei­ner Höh­le nis­te­te. Schlief der Bru­der nachts zur Zeit des Gebets, habe ihm der Fal­ke «mit lau­tem Ruf die Stun­de ange­zeigt, in der der Got­tes­mann zu beten pfleg­te». Tho­mas schließt mit der Fra­ge: «Wen wun­dert es, wenn die Geschöp­fe den ehr­ten, der mehr als alle den Schöp­fer liebte?»

Fran­zis­kus’ gro­ße Versuchung
Die Berühmt­heit ver­dankt der Berg nicht einer Tier‑, son­dern einer Engels­ge­schich­te. Und tie­fer Frie­de muss da erst errun­gen wer­den. Es ist Spät­som­mer im Jahr 1224. Seit sei­ner Rück­kehr aus Ägyp­ten vier Jah­re zuvor, erblin­det Fran­zis­kus zuse­hends. Sein jun­ger Orden boomt und durch­läuft eine Wachs­tums­kri­se. Der Grün­der hat sich durch drei schwie­ri­ge Jah­re gekämpft. Er ist Mys­ti­ker und Cha­ris­ma­ti­ker, nicht Jurist und Mana­ger. Bereits im Herbst 1220 ist er von der Ordens­lei­tung zurückgetreten.

Für die Pfingst­ver­samm­lung 1221 hat er die Lebens­form in eine Regel­fas­sung gebracht, die jedoch von Rom abge­lehnt wur­de. In Frank­reich begin­nen sei­ne Brü­der Klös­ter zu bau­en. Fran­zis­kus hadert mit den Ver­ant­wort­li­chen und zieht sich immer mehr zurück. Sein Augen­lei­den und die Milz­pro­ble­me ver­schlim­mern sich. Er kämpft mit Selbst­zwei­feln. Zuneh­men­de Ent­frem­dung droht ihn im Orden zu isolieren.

In die­ser Ver­fas­sung ver­bringt er die Wochen zwi­schen Mit­te August und dem Fest der Erz­engel Ende Sep­tem­ber auf La Ver­na. Soll er sich für immer zurück­zie­hen? Muss er sich die Kon­trol­le über sei­ne Grün­dung wie­der erkämp­fen? Das Rin­gen erschöpft den kran­ken Fran­zis­kus an Leib und Seele.

Licht aus der Höhe
Jeden Sonn­tag beten die Brü­der den Lob­ge­sang des Zacha­ri­as. Ein Vers spricht Fran­zis­kus seit den Jah­ren der Sinn­su­che und sei­ner Beru­fung aus tiefs­ter See­le: Er singt von Licht, das auf­strahlt und ins Dunk­le leuch­tet. Das Motiv ist Teil des Mor­gen­lobs, das sei­nen Ort in der Däm­me­rung hat. Das Lied wird dem Vater des Täu­fers zuge­schrie­ben und blickt auf die Geburt des Mes­si­as vor­aus. In die enden­de Nacht erklin­gen die Wor­te: «Durch die beherz­te Lie­be unse­res Got­tes wird uns besu­chen das auf­strah­len­de Licht aus der Höhe und allen leuch­ten, die im Fins­tern sit­zen.» (Lk 1).

Mit­te Sep­tem­ber 1224 erfüllt sich die­se Zusa­ge nach Mona­ten des Rin­gens, die Fran­zis­kus an den Rand der Ver­zweif­lung gebracht haben, in einer über­ra­schen­den Visi­on. Die ältes­te Bild­bio­gra­fie, die gegen 1250 in Flo­renz ent­stand, stellt die Sze­ne als die hells­te der zwan­zig Bil­der dar: Der gol­de­ne Hin­ter­grund macht die Hälf­te der Bild­flä­che aus. Fin­det sich die Ere­mi­ta­ge real auf einem dicht bewal­de­ten Berg­zug, wird Franz hier in einem offe­nen Gar­ten von Licht umflu­tet. Eine engel­haf­te Gestalt erscheint am Him­mel und der Fels­rü­cken spie­gelt das flie­ßen­de Licht wider. Der Bru­der kniet auf einem Blu­men­tep­pich: Gesicht und Hän­de emp­fan­gen das «Licht aus der Höhe» – eben­so wie es die Pflan­zen tun, die sich auch zum Him­mel ausrichten.

Hin­ter dem Bru­der ist die Kapel­le sicht­bar. Hoch und schmal steht sie sym­bol­haft für die Enge, aus der der Beten­de an die­sem Sep­tem­ber­tag befreit wird. Ver­bin­den sich auf der einen Bild­dia­go­na­len der strah­len­de Him­mel und die leuch­ten­de Erde, sind auf der ande­ren Dia­go­na­len drei Licht­strei­fen sicht­bar, die von der himm­li­schen Gestalt auf Fran­zis­kus treffen.

Text: Br. Niklaus Kuster

Mehr zu die­ser beson­de­ren Got­tes­er­fah­rung, zu den Wund­ma­len des Fran­zis­kus und zur Bedeu­tung des Gesche­hens gibt es im zwei­ten Teil des Arti­kels von Br. Niklaus Kuster.

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