Interview

FOTO: KAPUZINER/LEMRICH

BR. HARALD WEBER

ist Jahr­gang 1970 und lebt als Kapu­zi­ner im Novi­zi­ats­klos­ter im ita­lie­ni­schen Tor­to­na. Er ist gewähl­ter Pro­vinz­rat der Deut­schen Kapuzinerprovinz. 

22. April 2024

„Eine europäische Identität als Kapuziner ist elementar“

Weni­ger Klös­ter und weni­ger Brü­der, grö­ße­re Pro­vin­zen und grö­ße­re Viel­falt: Das Leben im Orden ver­än­dert sich. Was sind die Chan­cen und Her­aus­for­de­run­gen? Was schafft Iden­ti­tät? Ein Inter­view mit Br. Harald Weber. 

Die Kapu­zi­ner ver­ste­hen sich als welt­wei­te Gemein­schaft. Was bedeu­tet das?
Wir Kapu­zi­ner sind auf der gan­zen Welt anzu­tref­fen. All die­se fran­zis­ka­ni­schen Brü­der, so unter­schied­lich sie sein mögen, sind gemein­sam auf dem Weg. Wir wol­len in der Nach­fol­ge des armen gekreu­zig­ten Herrn Jesus Chris­tus in den Fuß­stap­fen von Fran­zis­kus leben.

Ist damit auch eine inter­na­tio­na­le Soli­da­ri­tät verbunden?
Ja, das ist ein wich­ti­ges The­ma. Wir wol­len gemein­sam die­sen Weg der Chris­tus­nach­fol­ge beschrei­ten und soli­da­risch mit­ein­an­der leben. Es gab in die­sem Weltor­den sehr lan­ge eine Bewe­gung raus aus Euro­pa und Nord­ame­ri­ka in die süd­li­che Hemi­sphä­re. Im Sin­ne von Mis­si­on, wo Ordens­leu­te Geld, Know­how und vor allem den Glau­ben in ande­re Län­der gebracht haben. Heu­te gibt es eine gegen­läu­fi­ge Bewe­gung: Brü­der aus Indi­en oder Afri­ka kom­men nach Euro­pa, leben mit uns, stär­ken unse­re Klös­ter und arbei­ten in Kir­che und Pas­to­ral mit.

Wie ent­wi­ckelt sich der Orden weltweit?
Wir ver­zeich­nen einen Rück­gang an Ordens­leu­ten. Welt­weit gibt es etwas weni­ger als 10.000 Kapu­zi­ner, fünf­und­zwan­zig Jah­re zuvor waren es noch 11.000. Der Rück­gang ist vor allem der euro­päi­schen und nord­ame­ri­ka­ni­schen Ent­wick­lung geschul­det. In den Län­dern des glo­ba­len Südens wach­sen wir, aber auch nicht mehr so stark wie noch vor ein paar Jahren.

Wir brau­chen eine regio­na­le Behei­ma­tung – und zugleich ein gutes Mit­ein­an­der und eine Ver­net­zung in einem grö­ße­ren Raum.

Ordens­mann in einem Weltor­den sein, heißt auch, mit einer Viel­falt an Hal­tung und Mei­nung umge­hen zu müs­sen. Wie klappt das?
Das ist ja schon inner­halb Euro­pas so. Ich lebe in Ita­li­en und wer­de sehr oft kri­tisch auf den syn­oda­len Weg ange­spro­chen. Eini­ge Din­ge, die in säku­la­ri­sier­ten Regio­nen längst All­tag sind, wer­den in kon­ser­va­ti­ven Krei­sen arg­wöh­nisch beäugt und mit dem Stem­pel „Die Kir­che geht so den Bach run­ter“ ver­se­hen. Auf der ande­ren Sei­te steht oft der Vor­wurf, dass eini­ge in ihren Tra­di­tio­nen hän­gen­ge­blie­ben sind. Wich­tig aus mei­ner Sicht ist: im Gespräch blei­ben. Auf den Orden bezo­gen kann ich auf jeden Fall sagen: Wenn wir Mit­brü­der gemein­sam am Tisch und im Gebet sit­zen, stel­len wir meist fest, dass uns die Gemein­sam­kei­ten tra­gen – und nicht die Unter­schie­de trennen.

In der Deut­schen Kapu­zi­ner­pro­vinz mit Klös­tern in Deutsch­land, Nie­der­lan­de, Bel­gi­en und Öster­reich leben Brü­der aus vie­len Tei­len der Welt. Warum?
Das ist his­to­risch gewach­sen. In der Zeit, als wir in Euro­pa den Rück­gang erst­mals rich­tig spür­ten, gab es etwa in Indi­en unglaub­lich hohe Ein­tritts­zah­len. Brü­der kamen nach Deutsch­land, die deut­sche Pro­vinz unter­stütz­te die jun­gen, wach­sen­den Pro­vin­zen im Gegen­zug beim Bau von Schu­len und Novi­zia­ten. Die­se Art der Zusam­men­ar­beit führt immer wie­der zu Dis­kus­sio­nen. Denn Soli­da­ri­tät, sei sie nun finan­zi­ell oder per­so­nell, muss zwar eine Form bekom­men, darf aber kein Geschäft sein, son­dern soll­te das brü­der­li­che Mit­ein­an­der im Blick haben. Wie regeln wir die­se Din­ge in Zukunft? Das ist auch ein The­ma unse­res Gene­ral­ka­pi­tels, das im Som­mer ansteht.

Wo lie­gen die Her­aus­for­de­run­gen im All­tag, wenn man in den Klös­tern zusammenlebt?
Es geht um eine Offen­heit auf bei­den Sei­ten. Kom­men die Brü­der frei­wil­lig? Ist ihnen klar, in wel­chem Umfeld sie in Deutsch­land wir­ken? Und es gehört natür­lich auch eine Ver­än­de­rungs­be­reit­schaft der auf­neh­men­den Gemein­schaft dazu. Inte­gra­ti­on bedeu­tet immer auch, mich auf den ein­zu­las­sen, der kommt. Und der mich womög­lich auch verändert.

Sie gehö­ren zu einer Pro­vinz, die sich über vier Län­der erstreckt. Was bedeu­tet das ganz konkret?
Ich bin jemand, der ger­ne reist, der neue Din­ge sehr schätzt. Ich muss klar sagen: Für mich ist das eine Berei­che­rung. Letz­tes Jahr durf­te ich mit unse­rem Pos­tu­lan­ten eine Run­de durch Nie­der­lan­de und Bel­gi­en machen, mit vie­len span­nen­den Begeg­nun­gen. Ich stam­me auch aus der Gene­ra­ti­on Kapu­zi­ner, die ihr Novi­zi­at in Salz­burg gemacht hat und so den öster­rei­chi­schen Klös­tern schon ver­bun­den war. Als Teil der gewähl­ten Lei­tung der Pro­vinz neh­me ich natür­lich auch wahr, dass es ungleich kom­ple­xer gewor­den ist, das Gesamt­ge­bil­de zu lei­ten, zu steu­ern und zu ver­wal­ten. Ich neh­me zudem wahr, dass es Brü­dern anders geht als mir, dass da ein legi­ti­mes Gefühl von Distanz und Fremd­heit sein kann. Aber aus mei­ner Sicht ist es eine gro­ße Freu­de. Wenn ich etwa nach Ant­wer­pen kom­me und die bunt gemisch­te Gemein­schaft tref­fe, die aus Brü­dern aus Bel­gi­en, Polen, Paki­stan und Kon­go besteht, dann ist das eine wun­der­ba­re Erfahrung.

Gibt es eine Alter­na­ti­ve zum Zusam­men­wach­sen in Europa?
Nein, die gibt es mei­ner Ansicht nach nicht. Wir müs­sen uns auf das Klei­ner­wer­den ein­stel­len. Wir müs­sen uns auf das Zusam­men­wach­sen ein­las­sen. Sicher wäre es bes­ser, statt immer klei­ne Schrit­te zu machen, lie­ber einen gro­ßen Schritt zu gehen. Auf unse­rem letz­ten Kapi­tel haben die Kapu­zi­ner der deut­schen Pro­vinz genau die­sen Wunsch geäu­ßert – näm­lich die Pro­vinz­land­schaft in Euro­pa im Gan­zen neu zu den­ken. Mit einer Per­spek­ti­ve auf 15 Jah­re. Auf Sicht wird es in Euro­pa nur noch zwei, drei Pro­vin­zen geben. Wenn man einen Plan hat, eine Stra­te­gie des Zusam­men­wach­sens, dann kann man sich auch jetzt schon mit der Fra­ge der gemein­sa­men Iden­ti­tät beschäf­ti­gen. Und die­se euro­päi­sche Iden­ti­tät ist ele­men­tar. Nicht alles muss gleich sein, aber wir müs­sen um unse­re ver­bin­den­den Gemein­sam­kei­ten wis­sen. Wir brau­chen eine regio­na­le Behei­ma­tung – und zugleich ein gutes Mit­ein­an­der und eine Ver­net­zung in einem grö­ße­ren Raum.

Wie schafft man das, eine gemein­sa­me Identität?
Das Wich­tigs­te ist der Kon­takt, das Ken­nen­ler­nen. Eine Iden­ti­tät lässt sich nicht ver­ord­nen, man wächst da hin­ein. Mei­ne Gene­ra­ti­on hat sich im deutsch­spra­chi­gen Raum behei­ma­tet gefühlt, weil ich mein Novi­zi­at zusam­men mit Schwei­zern, Öster­rei­chern und Süd­ti­ro­lern gemacht habe. Heu­te lebe ich in einem Novi­zi­at in Ita­li­en, wo Kroa­ten, Ita­lie­ner, Fran­zo­sen, Slo­wa­ken und Deut­sche mit­ein­an­der leben (ein Inter­view mit dem deut­schen Novi­zen Br. Bri­an lesen Sie hier). Die­se jun­gen Män­ner wer­den sich in einer grö­ße­ren Selbst­ver­ständ­lich­keit als euro­päi­sche Kapu­zi­ner wahrnehmen.

Sie spre­chen das inter­na­tio­na­le Novi­zi­at an. Wie klappt das Zusam­men­le­ben dort?
Wir sind noch dabei, uns zu fin­den und zu sor­tie­ren. Und wenn man ehr­lich ist, ist das Sys­tem hier auch nicht unbe­dingt inter­na­tio­nal gedacht, son­dern wir sor­tie­ren uns in ein ita­lie­ni­sches Sys­tem ein. In die­ses brin­gen wir vie­le Din­ge, aber es ist und bleibt ein ita­lie­ni­sches Klos­ter, die Spra­che ist ita­lie­nisch. Und doch ver­än­dert sich hier etwas, in klei­nen Schrit­ten – und das ist gut, denn es gibt kei­ne Alter­na­ti­ve. Wir brau­chen Zusam­men­ar­beit, wir brau­chen grö­ße­re Aus­bil­dungs­kon­ven­te. Unse­re jün­ge­ren Brü­der pro­fi­tie­ren sehr davon, dass sie mit Gleich­ge­sinn­ten unter­wegs sind, die die glei­chen Fra­gen stel­len. Ein Novi­zi­at nur in Deutsch­land, mit nur einem Novi­zen, das ist kei­ne gute Aus­bil­dung und kei­ne Opti­on. Es ist ein Gewinn, hier in Tor­to­na mit ande­ren unter­wegs und zusam­men zu sein. 

Inte­gra­ti­on bedeu­tet immer auch, mich auf den ein­zu­las­sen, der kommt. Und der mich womög­lich auch verändert.

Was gefällt Ihnen ganz kon­kret in Tortona?
Es ist wun­der­bar und inspi­rie­rend, mit 16 jun­gen Män­nern zusam­men­zu­le­ben, die sich gera­de die wesent­li­chen Fra­gen ihres Lebens stel­len. Die wach­sen und sich ver­än­dern. Das beglei­ten zu dür­fen, das macht mir Freu­de. Nicht zuletzt mag ich Ita­li­en – mit sei­ner Leich­tig­keit und sei­ner Küche.

Wie wird das gemein­sa­me, euro­päi­sche Leben der Kapu­zi­ner in Euro­pa in zwan­zig Jah­ren aussehen?
Auf jeden Fall bunt und divers. Mit deut­lich weni­ger Klös­tern, die hof­fent­lich gut gewählt und ver­teilt sind. Regio­nal, aber auch an den Schwer­punk­ten ori­en­tiert, die unser Cha­ris­ma als Kapu­zi­ner aus­ma­chen. Damit mei­ne ich vor allem das Leben mit armen Men­schen. Und dann wer­den unse­re Kon­ven­te sicher inter­na­tio­nal besetzt sein: Mit Brü­dern aus Deutsch­land in Bel­gi­en, Brü­dern aus Indi­en in Ita­li­en oder Brü­dern aus Indo­ne­si­en in Polen. Das wird unser Leben bereichern.

Das Inter­view führ­te Tobi­as Rauser

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