
FOTO: KAPUZINER/LEMRICH
BR. HARALD WEBER
ist Jahrgang 1970 und lebt als Kapuziner im Noviziatskloster im italienischen Tortona. Er ist gewählter Provinzrat der Deutschen Kapuzinerprovinz.
„Eine europäische Identität als Kapuziner ist elementar“
Weniger Klöster und weniger Brüder, größere Provinzen und größere Vielfalt: Das Leben im Orden verändert sich. Was sind die Chancen und Herausforderungen? Was schafft Identität? Ein Interview mit Br. Harald Weber.
Die Kapuziner verstehen sich als weltweite Gemeinschaft. Was bedeutet das?
Wir Kapuziner sind auf der ganzen Welt anzutreffen. All diese franziskanischen Brüder, so unterschiedlich sie sein mögen, sind gemeinsam auf dem Weg. Wir wollen in der Nachfolge des armen gekreuzigten Herrn Jesus Christus in den Fußstapfen von Franziskus leben.
Ist damit auch eine internationale Solidarität verbunden?
Ja, das ist ein wichtiges Thema. Wir wollen gemeinsam diesen Weg der Christusnachfolge beschreiten und solidarisch miteinander leben. Es gab in diesem Weltorden sehr lange eine Bewegung raus aus Europa und Nordamerika in die südliche Hemisphäre. Im Sinne von Mission, wo Ordensleute Geld, Knowhow und vor allem den Glauben in andere Länder gebracht haben. Heute gibt es eine gegenläufige Bewegung: Brüder aus Indien oder Afrika kommen nach Europa, leben mit uns, stärken unsere Klöster und arbeiten in Kirche und Pastoral mit.
Wie entwickelt sich der Orden weltweit?
Wir verzeichnen einen Rückgang an Ordensleuten. Weltweit gibt es etwas weniger als 10.000 Kapuziner, fünfundzwanzig Jahre zuvor waren es noch 11.000. Der Rückgang ist vor allem der europäischen und nordamerikanischen Entwicklung geschuldet. In den Ländern des globalen Südens wachsen wir, aber auch nicht mehr so stark wie noch vor ein paar Jahren.
Wir brauchen eine regionale Beheimatung – und zugleich ein gutes Miteinander und eine Vernetzung in einem größeren Raum.
Ordensmann in einem Weltorden sein, heißt auch, mit einer Vielfalt an Haltung und Meinung umgehen zu müssen. Wie klappt das?
Das ist ja schon innerhalb Europas so. Ich lebe in Italien und werde sehr oft kritisch auf den synodalen Weg angesprochen. Einige Dinge, die in säkularisierten Regionen längst Alltag sind, werden in konservativen Kreisen argwöhnisch beäugt und mit dem Stempel „Die Kirche geht so den Bach runter“ versehen. Auf der anderen Seite steht oft der Vorwurf, dass einige in ihren Traditionen hängengeblieben sind. Wichtig aus meiner Sicht ist: im Gespräch bleiben. Auf den Orden bezogen kann ich auf jeden Fall sagen: Wenn wir Mitbrüder gemeinsam am Tisch und im Gebet sitzen, stellen wir meist fest, dass uns die Gemeinsamkeiten tragen – und nicht die Unterschiede trennen.
In der Deutschen Kapuzinerprovinz mit Klöstern in Deutschland, Niederlande, Belgien und Österreich leben Brüder aus vielen Teilen der Welt. Warum?
Das ist historisch gewachsen. In der Zeit, als wir in Europa den Rückgang erstmals richtig spürten, gab es etwa in Indien unglaublich hohe Eintrittszahlen. Brüder kamen nach Deutschland, die deutsche Provinz unterstützte die jungen, wachsenden Provinzen im Gegenzug beim Bau von Schulen und Noviziaten. Diese Art der Zusammenarbeit führt immer wieder zu Diskussionen. Denn Solidarität, sei sie nun finanziell oder personell, muss zwar eine Form bekommen, darf aber kein Geschäft sein, sondern sollte das brüderliche Miteinander im Blick haben. Wie regeln wir diese Dinge in Zukunft? Das ist auch ein Thema unseres Generalkapitels, das im Sommer ansteht.
Wo liegen die Herausforderungen im Alltag, wenn man in den Klöstern zusammenlebt?
Es geht um eine Offenheit auf beiden Seiten. Kommen die Brüder freiwillig? Ist ihnen klar, in welchem Umfeld sie in Deutschland wirken? Und es gehört natürlich auch eine Veränderungsbereitschaft der aufnehmenden Gemeinschaft dazu. Integration bedeutet immer auch, mich auf den einzulassen, der kommt. Und der mich womöglich auch verändert.
Sie gehören zu einer Provinz, die sich über vier Länder erstreckt. Was bedeutet das ganz konkret?
Ich bin jemand, der gerne reist, der neue Dinge sehr schätzt. Ich muss klar sagen: Für mich ist das eine Bereicherung. Letztes Jahr durfte ich mit unserem Postulanten eine Runde durch Niederlande und Belgien machen, mit vielen spannenden Begegnungen. Ich stamme auch aus der Generation Kapuziner, die ihr Noviziat in Salzburg gemacht hat und so den österreichischen Klöstern schon verbunden war. Als Teil der gewählten Leitung der Provinz nehme ich natürlich auch wahr, dass es ungleich komplexer geworden ist, das Gesamtgebilde zu leiten, zu steuern und zu verwalten. Ich nehme zudem wahr, dass es Brüdern anders geht als mir, dass da ein legitimes Gefühl von Distanz und Fremdheit sein kann. Aber aus meiner Sicht ist es eine große Freude. Wenn ich etwa nach Antwerpen komme und die bunt gemischte Gemeinschaft treffe, die aus Brüdern aus Belgien, Polen, Pakistan und Kongo besteht, dann ist das eine wunderbare Erfahrung.
Gibt es eine Alternative zum Zusammenwachsen in Europa?
Nein, die gibt es meiner Ansicht nach nicht. Wir müssen uns auf das Kleinerwerden einstellen. Wir müssen uns auf das Zusammenwachsen einlassen. Sicher wäre es besser, statt immer kleine Schritte zu machen, lieber einen großen Schritt zu gehen. Auf unserem letzten Kapitel haben die Kapuziner der deutschen Provinz genau diesen Wunsch geäußert – nämlich die Provinzlandschaft in Europa im Ganzen neu zu denken. Mit einer Perspektive auf 15 Jahre. Auf Sicht wird es in Europa nur noch zwei, drei Provinzen geben. Wenn man einen Plan hat, eine Strategie des Zusammenwachsens, dann kann man sich auch jetzt schon mit der Frage der gemeinsamen Identität beschäftigen. Und diese europäische Identität ist elementar. Nicht alles muss gleich sein, aber wir müssen um unsere verbindenden Gemeinsamkeiten wissen. Wir brauchen eine regionale Beheimatung – und zugleich ein gutes Miteinander und eine Vernetzung in einem größeren Raum.
Wie schafft man das, eine gemeinsame Identität?
Das Wichtigste ist der Kontakt, das Kennenlernen. Eine Identität lässt sich nicht verordnen, man wächst da hinein. Meine Generation hat sich im deutschsprachigen Raum beheimatet gefühlt, weil ich mein Noviziat zusammen mit Schweizern, Österreichern und Südtirolern gemacht habe. Heute lebe ich in einem Noviziat in Italien, wo Kroaten, Italiener, Franzosen, Slowaken und Deutsche miteinander leben (ein Interview mit dem deutschen Novizen Br. Brian lesen Sie hier). Diese jungen Männer werden sich in einer größeren Selbstverständlichkeit als europäische Kapuziner wahrnehmen.
Sie sprechen das internationale Noviziat an. Wie klappt das Zusammenleben dort?
Wir sind noch dabei, uns zu finden und zu sortieren. Und wenn man ehrlich ist, ist das System hier auch nicht unbedingt international gedacht, sondern wir sortieren uns in ein italienisches System ein. In dieses bringen wir viele Dinge, aber es ist und bleibt ein italienisches Kloster, die Sprache ist italienisch. Und doch verändert sich hier etwas, in kleinen Schritten – und das ist gut, denn es gibt keine Alternative. Wir brauchen Zusammenarbeit, wir brauchen größere Ausbildungskonvente. Unsere jüngeren Brüder profitieren sehr davon, dass sie mit Gleichgesinnten unterwegs sind, die die gleichen Fragen stellen. Ein Noviziat nur in Deutschland, mit nur einem Novizen, das ist keine gute Ausbildung und keine Option. Es ist ein Gewinn, hier in Tortona mit anderen unterwegs und zusammen zu sein.
Integration bedeutet immer auch, mich auf den einzulassen, der kommt. Und der mich womöglich auch verändert.
Was gefällt Ihnen ganz konkret in Tortona?
Es ist wunderbar und inspirierend, mit 16 jungen Männern zusammenzuleben, die sich gerade die wesentlichen Fragen ihres Lebens stellen. Die wachsen und sich verändern. Das begleiten zu dürfen, das macht mir Freude. Nicht zuletzt mag ich Italien – mit seiner Leichtigkeit und seiner Küche.
Wie wird das gemeinsame, europäische Leben der Kapuziner in Europa in zwanzig Jahren aussehen?
Auf jeden Fall bunt und divers. Mit deutlich weniger Klöstern, die hoffentlich gut gewählt und verteilt sind. Regional, aber auch an den Schwerpunkten orientiert, die unser Charisma als Kapuziner ausmachen. Damit meine ich vor allem das Leben mit armen Menschen. Und dann werden unsere Konvente sicher international besetzt sein: Mit Brüdern aus Deutschland in Belgien, Brüdern aus Indien in Italien oder Brüdern aus Indonesien in Polen. Das wird unser Leben bereichern.
Das Interview führte Tobias Rauser