News

FOTO: Tobi­as Rauser

BR. MARINUS PARZINGER

lebt als Kapu­zi­ner am Wall­fahrts­ort Alt­öt­ting. Dort besu­chen vie­le Pil­ge­rin­nen und Pil­ger die Bru­der-Kon­rad-Kir­che, in der sinn­stif­ten­de Vor­sät­ze des hei­li­gen Kapu­zi­ners in den Boden ein­ge­las­sen sind. 

5. Janu­ar 2023

Gut auf dem Weg

Kir­che und Gesell­schaft ver­än­dern sich – mit Fol­gen für Wall­fahrts­or­te wie Alt­öt­ting. Doch Pil­gern ist im Trend und bie­tet Ori­en­tie­rung. Ein Impuls von Br. Mari­nus Parzinger. 

Alt­öt­ting ist ein von Wall­fahrt gepräg­ter Ort. Reli­gi­ös auf­ge­la­den, gut erreich­bar, mit umfas­sen­der Infra­struk­tur. Es klingt über­zeich­net, trifft aber die Erfah­rung: Hier vor Ort berüh­ren sich Him­mel und Erde. Alt­öt­ting ist nicht nur ein maria­ni­sches Natio­nal­hei­lig­tum. Pil­ger kom­men auch zum hei­li­gen Bru­der Kon­rad, einem Kapu­zi­ner. Er ist Christ im All­tag, Meis­ter des Gebe­tes, er tut das All­täg­li­che in außer­ge­wöhn­li­cher Weise.

Alt­öt­ting pro­fi­tiert von Pil­gern, die aus ver­schie­de­nen Regio­nen kom­men. Sie sind eine Berei­che­rung für den Ort, für uns Kapu­zi­ner. Pil­ger sind Men­schen, die einer­seits die Tra­di­ti­on der Wall­fahrt wach­hal­ten, ande­rer­seits ihre Fra­gen mit­brin­gen. Pil­ger zei­gen uns, wie wich­tig es ist, die Unbe­weg­lich­keit zu über­win­den und neu auf­zu­bre­chen – als Ein­zel­ne und als Gemein­schaft. Die­se Hal­tung moti­viert, selbst suchend unter­wegs zu bleiben.

Doch klar ist auch: Die Wall­fahrt in Alt­öt­ting steht vor beson­de­ren Her­aus­for­de­run­gen. Eine Kri­se folgt der nächs­ten. Coro­na hat bewähr­te Struk­tu­ren geschwächt oder auf­ge­löst. Wege von Fuß­pil­ger­grup­pen müs­sen neu kon­zi­piert wer­den, zum Bei­spiel weil Gast­häu­ser und Rast­mög­lich­kei­ten nicht mehr bestehen. Das Per­so­nal ist knapp. Auch sinkt die Zahl der Got­tes­dienst­be­su­cher bestän­dig, auch die Zahl der Pries­ter und Mit­ar­bei­ten­den in der Seel­sor­ge geht deut­lich zurück. Das Ange­bot in groß­flä­chi­gen Seel­sor­ge­re­gio­nen wird dünn, sodass Wall­fahrts­or­te immer mehr die Funk­ti­on von geist­li­chen Zen­tren bekom­men. Gefragt sind Orte, an denen Räu­me und Men­schen offen sind für Begeg­nung, wo man erle­ben kann, wie Glau­ben geht, wo man eine authen­ti­sche Erfah­rung machen kann.

Pil­gern lehrt, dass wir bes­ser vor­an­kom­men, wenn wir Bal­last abwer­fen, wenn wir mit leich­tem Gepäck unter­wegs sind.

Auch die Pil­ger ver­än­dern sich: Die christ­lich gepräg­te Lebens­kul­tur schwin­det. Pil­ger sind stark indi­vi­dua­li­siert, ihre Lebens­for­men viel­fäl­tig. Sie kom­men ver­mehrt als Ein­zel­pil­ger oder sind Tou­ris­ten in benach­bar­ten Regio­nen, die den Wall­fahrts­ort besu­chen. Die Bin­de­kräf­te, auch des Glau­bens, haben erkenn­bar abge­nom­men. Wer heu­te glaubt, tut es ent­schie­den. Daher haben wir es über­wie­gend mit einer kla­ren Moti­va­ti­on zu tun. Wer nach Alt­öt­ting kommt, will etwas. 

Pil­gern hilft, mit Kri­sen umzu­ge­hen. Wer pil­gert, bricht auf, setzt sich mit Wan­del und Neu­be­ginn aus­ein­an­der. Pil­gern lehrt, dass wir bes­ser vor­an­kom­men, wenn wir Bal­last abwer­fen, wenn wir mit leich­tem Gepäck unter­wegs sind. Die­se Ein­sicht trifft sich mit der Sehn­sucht vie­ler Men­schen, die bereit sind, sich in Fra­ge stel­len zu las­sen, die Tie­fe und Wei­te in ihrem Leben suchen.

Und ja, Chris­ten schä­men sich für ihre Kir­che, das The­ma Miss­brauch ist da nur ein The­ma. Von der befrei­en­den und froh­ma­chen­den Bot­schaft ist oft wenig zu spü­ren. Doch gera­de in Umbruchs­zei­ten wer­den alte For­men wie­der­ent­deckt. Die lan­ge Geschich­te des Ortes hilft: da ist etwas Bestän­di­ges, das sich bewährt hat und heu­te noch trägt. Zugleich gibt es den Wunsch nach neu­er, zeit­ge­mä­ßer Reli­gio­si­tät: ange­mes­se­ne Spra­che, anspre­chen­der Stil, nie­der­schwel­lig im Angebot.

Pil­ger zei­gen uns, wie wich­tig es ist, die Unbe­weg­lich­keit zu über­win­den und neu auf­zu­bre­chen – als Ein­zel­ne und als Gemeinschaft.

Wall­fahrt ist etwas Leben­di­ges, das sich wan­delt. Was bedeu­tet das für uns? Pil­gern ist ein Trend, aber kein Selbst­läu­fer. Wir müs­sen uns auf die Chan­cen kon­zen­trie­ren, unser Per­so­nal schu­len, ehren­amt­li­che Hel­fer beglei­ten. Die Wall­fahrts­pas­to­ral birgt Poten­zi­al und hat eine hohe Rele­vanz: Pil­ger sind Grenz­gän­ger auf Zeit. Pil­gern ermög­licht das Tran­szen­die­ren des All­tags. Ritua­le sind hilf­reich, sie hel­fen Ohn­macht zu bewäl­ti­gen und geben Orientierung.

Men­schen haben dabei ihren eige­nen Zugang und indi­vi­du­el­le Moti­ve. Sie machen sub­jek­ti­ve Erfah­run­gen und pro­bie­ren sich aus. Die Erwar­tun­gen sind bio­gra­fie­be­zo­gen viel­fäl­tig, was Seel­sor­ger her­aus­for­dert. Mei­ne Erfah­rung ist, dass Men­schen am Pil­ger­ort eher bereit sind, ihr Herz zu öff­nen als im sozia­len Nah­be­reich, der Wohn­ort­pfar­rei. Was im All­tag zuge­schüt­tet und ver­bor­gen ist, kommt beim Pil­gern an die Ober­flä­che, kommt ins Wort. Pil­ger erzäh­len am Ziel von ihren Erleb­nis­sen und Erfah­run­gen. Sie deu­ten sie selbst. Sie wol­len kei­ne fer­ti­gen Antworten.

Franz von Assi­si, unser Ordens­grün­der, moch­te Orte mit beson­de­rer Strahl­kraft. Er hat­te Rück­zugs­or­te, an denen er Kraft schöp­fen konn­te. Im Leben braucht es ein Gegen­ge­wicht zur Akti­vi­tät. Die Span­nung von akti­vem und kon­tem­pla­ti­vem Leben fin­det sich schon in der Bio­gra­phie des Franz von Assi­si. Er ist Gott Sucher. Er sucht Frie­den und Ein­heit mit allen Geschöp­fen und der Mit­welt. Er ver­steht sich als Bru­der aller Men­schen. Die Spi­ri­tua­li­tät von Orden präg­te und prägt auch heu­te die Seel­sor­ge an Pilgerstätten.

Auf dem Weg sein mit Gott ist ein altes, bibli­sches Bild und zugleich eine Ver­ste­hens­hil­fe mensch­li­cher Exis­tenz. Das fran­zis­ka­ni­sche Selbst­ver­ständ­nis passt dazu: die Bereit­schaft im Ver­trau­en auf Gott los­zu­las­sen, mit fla­cher Hier­ar­chie und einem Mini­mum an Absi­che­rung „Gast auf Erden“ zu sein. Mit der Hoff­nung, ein­mal für immer anzukommen. 

Unse­re fran­zis­ka­ni­sche Beru­fung stellt uns an die Sei­te der Men­schen. Wir beglei­ten, wir bie­ten Gast­freund­schaft, wir geben Anteil an unse­rer Spi­ri­tua­li­tät. In einer zuneh­mend indi­vi­dua­li­sier­ten Gesell­schaft wächst der Wunsch nach einem Leben in Gemein­schaft, das zum Zei­chen wird. Gefragt ist das Zeug­nis einer geschwis­ter­li­chen Gemein­schaft, die das Evan­ge­li­um Jesu Chris­ti zum Maß­stab der Lebens­ge­stal­tung macht. Der Glau­be, dass es für mich und jeden Men­schen einen Weg gibt und auch ein Ziel, an dem ich mit Got­tes Hil­fe ankom­men kann, weckt Hoff­nung und bestärkt. Die Höhen und Tie­fen auf dem Weg sind leich­ter zu bewäl­ti­gen, wenn ich Gefähr­ten­schaft erfahre.

KAPNEWS

Der News­let­ter der Kapuziner
Wol­len Sie über die Kapu­zi­ner und ihr Enga­ge­ment  infor­miert blei­ben? Dann mel­den Sie sich kos­ten­los für unse­re monat­li­chen „KAPNEWSan.
www.kapuziner.org/newsletter

START­SEI­TE
KAPNEWS

Der News­let­ter der Kapuziner
Wol­len Sie über die Kapu­zi­ner und ihr Enga­ge­ment  infor­miert blei­ben? Dann mel­den Sie sich kos­ten­los für unse­re monat­li­chen „KAPNEWSan.
www.kapuziner.org/newsletter